Kapitel 12

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"Tut mir leid, dass du solch einen Eindruck von mir hast", bringt er dann heraus. Für einige Sekunden herrscht wieder Stille. "Was hälst du davon, wenn ich mir morgen den ganzen Tag frei nehme? Dann können wir machen was auch immer du möchtest." Augenblicklich huscht ein Lächeln über mein Gesicht. "Das würde mich wirklich sehr freuen." Chris lässt meine Hände los und zieht mich zu sich heran. Ich vergrabe meinen Kopf an seiner Halsbeuge und inhaliere seinen berauschenden Duft. Er streicht mir gedankenverloren durch die Haare und drückt mir zwischenzeitlich mal einen Kuss darauf. "Wolltest du nicht los?", frage ich dann, als mir wieder einfällt warum er die Jacke angezogen hat. "Hmmm", brummt er nur und löst sich langsam von mir. Neben mir sitzend nimmt er meinen Kopf in die Hände, um mich noch einmal zu küssen. Der Kuss wird schnell intensiver und leidenschaftlicher. Schließlich sitze ich nach wenigen Minuten auf seinem Schoß und vergrabe die Hände in seinen Haaren während er meinen Rücken und meinen Po mit den Seinen erkundet. Ihm entfleucht einen kleines Stöhnen, als er meine empfindsamste Stelle findet. Schwer atmend hebt er mir leicht an und schiebt mich neben sich auf's Sofa. Plötzlich scheint sich etwas in ihm zu regen und das nicht im positiven Sinn. Ich habe das Gefühl, dass ein wenig Angst in seinem Blick liegt. "Tut mir leid. Ich kann das nicht", sagt er, sich die Haare raufend, steht auf und läuft hinaus in den Flur. Ich höre noch das Klappern des Schlüssels und das Schließen der Wohnungstür. Dann herrscht Stille in der ganzen Wohnung. Nur mein Atmen und das Ticken der Uhr ist noch zu hören. Vermischt mit dem Rauschen meines Blutes, welches gerade, schneller als nötig, durch meinen Körper zu schießen scheint. Was war das denn nun wieder? Das soll erst der Anfang sein, wie sich in den nächsten Wochen noch herausstellen soll.
Ich verbringe den Rest des Tages noch im Büro. Ich leiste Manuela ein wenig Gesellschaft bei der Arbeit. Ich habe die Befürchtung, dass ich sonst zu viel nicht mitbekomme, wenn ich nicht ab und zu mal vorbei schaue und mich auf dem Laufenden halte. Schließlich habe ich noch gar nicht so viel gearbeitet bevor ich schwanger wurde.
Am nächsten Morgen finde ich nur einen Zettel auf dem Esstisch. Von Chris fehlt sonst jede Spur. Seufzend lese ich mir seine Botschaft durch. "Tut mir Leid. Ich musste schnell in die Werkstatt. Es gibt Probleme mit den Lieferungen. Wir holen unseren gemeinsamen Tag nach, versprochen." steht darauf. Natürlich. War ja klar. Betrübt mache ich mir meinen Tee und frühstücke gemütlich. Wie soll das nur weiter gehen?
So vergehen die nächsten Monate. Genau nach dem gleichen Schema. Wir haben kaum noch Zeit für einander. Ich schleppe mich allein durch die Untersuchungen beim Arzt und die restlichen Termine, während Chris, wer weiß was, in der Werkstatt und im Büro treibt. Es gibt keine Zärtlichkeiten mehr, keine Nähe mehr. Wir entfernen uns immer mehr voneinander. Einerseits bricht es mir das Herz, andererseits gewöhnt man sich daran. Ich klammere mich mit allen was ich habe an meine kleine Luisa.
Es ist ein warmer Tag im Herbst, als ich an Steffis und Andreas' Esstisch sitze. Heute wollen beide ihre Tour starten. Die Beiden haben sich schon nach draußen verzogen, um mit anzupacken. Seufzend schaue ich aus dem Fenster und beobachte Chris dabei wie er ein Case nach dem Anderen aus der Werkstatt zum LKW schiebt. "Was ist denn los?", reißt Steffi mich aus meinen Gedanken. "Ich komme einfach nicht mehr an ihn ran. Ich weiß überhaupt nicht, ob das alles noch einen Sinn macht", gestehe ich. Steffi schaut mich stirnrunzelnd an. "Da ist einfach nichts mehr. Wenn ich morgens aufstehe ist er weg und wenn er abends nach Hause kommt, verzieht er sich direkt ins Bett oder sitzt mit seinem Laptop neben mir. Ich weiß überhaupt nicht ob er mich liebt.. oder unser Kind", fahre ich fort. Steffi streicht mir mitfühlend über die Hand. "Das wird schon wieder. Wenn die Kleine da ist, wird er merken was er an euch hat." Ich wünschte ich könnte ihren Worten Glauben schenken. Mittlerweile bin ich in der 40. Woche schwanger. Die Frauenärztin hat mir bereits bestätigt, dass es nun jeden Moment so weit sein kann. Und trotzdem hat Chris darauf bestanden die Tour zu beginnen, obwohl er weiß, dass ich jeden Moment die kleine Luisa auf die Welt bringen könnte, wenn es los geht. "Es sind ja nur zwei Tage", hat er gemeint, "Da wird schon noch nichts passieren." Ich weiß zwar, dass es, durch mein enges Becken wahrscheinlich ein Kaiserschnitt werden wird, aber trotzden hätte ich ihn gern dabei. Einfach als Stütze. Als wir sehen, dass der letzte Truck nun vom Parkplatz rollt und der letzte Bus vorfährt, gehen wir nach draußen um uns zu verabschieden. Als erstes werde ich von Andreas in eine liebevolle Umarmung gezogen, bevor er sich mit einem zärtlichen Kuss von seiner Frau verabschiedet. "Pass mir bloß auf Karo auf", sagt er ihr dann. Währenddessen bekomme ich von Chris nur eine kurze Umarmung und einen kleinen Kuss auf die Stirn. "Warte bloß auf mich", sagt er dann ermahnend zu meinem Bauch und drückt leicht einen Kuss darauf. Das bringt mich nun doch wieder zum Lächeln. Es ist die erste körperliche Berühung die ich seit Tagen von ihm gespürt habe. Beide verschwinden im Bus und fahren davon in Richtung Dortmund. Das war's nun also. Wieder einmal war ich allein mit meinen Sorgen. Ich bleibe für den Rest des Tages bei Steffi und den Kindern. Sie hat darauf bestanden und dem gebe ich gerne nach. Sie ist so eine gute Freundin geworden. Den ganzen Nachmittag spielen wir mit den Kindern im Garten. Wobei eher Steffi mit ihnen spielt und ich in der Hollywoodschaukel sitze und lächelnd dabei zusehe. Ein dumpfes Klopfen in meinem Bauch lässt mich aufstehen, als wir am späten Abend auf dem Sofa sitzen und uns eine DVD anschauen. Doch plötzlich folgt ein Ziehen in meinem Unterleib. Instinktiv beuge ich mich nach vorn. "Alles in Ordnung?", fragt Steffi die sogleich zu mir kommt. "Ich glaub ich muss ins Krankenhaus", meine ich dann, als das nächste Ziehen folgt. Diesmal schon etwas stärker. Nein, nein bitte nicht, denke ich noch, doch mein Instinkt verrät mir, dass ich meine kleine Tochter bald in den Armen halten werde.

Illusionen der Hoffnung Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt