Ungeduldig schaue ich auf die Uhr. Es ist 21:17 Uhr und Caitlin ist immer noch nicht da. Ich nehme gelangweilt einen Schluck aus meinem Rotweinglas, weswegen ich mal wieder ein paar verwunderte Blicke ernte, denn hier in Kenmore ist es als Mitbürger männlichen Geschlechts nicht üblich etwas anderes als Bier oder Whiskey zu bestellen. Ich habe schon öfters versucht mich mit dem Geschmack von Bier anzufreunden, aber es ist einfach nicht meine Ding. Von Whiskey will ich gar nicht erst anfangen.
Dann höre ich wie jemand an der Tür den Schirm trocken schüttelt und kurz darauf sehe ich auch schon eine triefend nasse Caitlin.
"Bist du dem Monster von Loch Ness begegnet?", frage ich sie gespielt entgeistert.
Sie schaut mich an als würde sie überlegen wie sie mich auf der Stelle am besten umbringen könnte.
Ich lächel sie entschuldigend an. "Du kennst mich. Wenn ich niemanden zum necken habe komme ich hier noch um vor Langeweile."
"Entschuldigung angenommen.", grinst sie und nimmt einen Schluck aus meinem Weinglas.
Ich schaue sie böse an doch es hat nicht den gewünschten Effekt. Caitlin muss eher noch aufpassen, dass sie den Rotwein vor Lachen nicht ausspuckt. Dann umarmt sie mich erstmal zur Begrüßung und bestellt sich erstmal ein Guinness, wodurch sie mich nochmal femininer aussehen lässt. Dann legt sie ihre Handgelenke auf den Tisch und schaut mich gespannt an.
"Aber jetzt erzähl erstmal, Callum! Warum hast du mich heute herbestellt?", fragt sie mit großen Augen.
Anstatt zu antworten hole ich langsam einen Briefumschlag aus meiner Jackentasche. Dabei wollte ich eigentlich meinen ernsten Gesichtsausdruck bewahren, doch ich merke wie sich meine Mundwinkel automatisch nach oben bewegen, bis ich vor Freude strahlend lächel.
"Uhhh! Du hast den Studienplatz bekommen! Ich wusste es!", jubelt Caitlin ohne auch nur einen Blick auf den Brief zu werfen und in einer Lautstärke, dass es jetzt ganz Kenmore weiß. Ich nicke immer noch strahlend. "Lass dich drücken!", sagt sie und schließt mich in ihre Arme. Anschließend pack ich die Zusage wieder in meine Jackentasche.
Ich scheine es immer noch nicht realisiert zu haben. Ich werde nach Berlin ziehen. Auf mich warten so viele neue Erfahrungen. Ich habe durch ein Stipendium die Möglichkeit meine Leidenschaft, Grafikdesign, an einer der renommiertesten privaten Hochschule weltweit zu studieren. Die größte Stadt, in der ich bisher war, ist Edinburgh, doch selbst dort hatte ich nicht die Möglichkeit mich auszuleben und neue Kontakte zu knüpfen, denn immer war ich mit meinen altmodischen, traditionellen und vor allem konservativen Eltern unterwegs. Ansonsten treibe ich mich hauptsächlich hier in Kenmore rum. Als ich vor meinem Abschluss noch zur Schule ging kam ich noch ab und zu ins Nachbardorf, doch dort bin ich mittlerweile auch schon seit Wochen nicht mehr gewesen. Warum auch? Außer der Secondary School gab es in Aberfeldy auch nicht mehr als in Kenmore. Habe ich schon erwähnt wie froh ich bin die ganzen Käffer hinter mir zu lassen?
Gemeinsam mit Caitlin fange ich an zu fantasieren, was in Berlin alles passieren könnte.
"Stell die vor du lernst da voll den heißen Typen kennen. So en richtiger Bad-Boy mit schwarzen Haaren, Bart und geheimnisvollen Blick. Und mit so riesigen Wangenknochen und..."
"Ohh Caitlin, verschone mich bitte von deinem Fetisch für Wangenknochen.", unterbreche ich sie lachend. Je länger wir darüber reden und grübeln desto schräger werden die Visionen. Immer wieder müssen wir gegenseitig über unsere Spekulationen lachen, doch dann wird Caitlin wieder ernster: "Aber Callum? Versprich mir bitte, dass du dir in Berlin treu bleibst und nicht vergisst wo du herkommst und auch immer hergehören wirst. Ok?"
"Aww, ich verspreche, dass ich im Herzen immer dein British Boy bleiben werde.", bestätige ich kichernd und nehme sie mal wieder in den Arm. Unsere Geste der Zuneigung wird von dem Kellner, ein Mann mittleren Alters, der sich nach seinem wohlverdienten Feierabend sehnt, unterbrochen.
"Ähm... wir würden jetzt dann schließen.", sagt er vorsichtig und schaut uns an als hätte er noch nie zwei Menschen gesehen, die sich umarmen. Wir schauen uns um und bemerken, das wir ausgenommen vom Kellner die einzigen Menschen im Pub sind. Ein flüchtiger Blick auf die Uhr verrät mir, dass es mittlerweile schon weit nach Mitternacht ist und wir total die Zeit vergessen haben.
"Ähm... natürlich!", antworte ich und wir ziehen uns unsere Jacken und Schals an (anfangs September in Schottland meiner Meinung nach schon absolut notwendig) und verlassen das Pub.
Man sieht von außen im Fenster noch die Silhouette des Kellners dabei, wie er unsere Gläser abräumt. Außer den Straßenlaternen brennt sonst in Kenmore kein Licht mehr um diese Zeit. Die Einwohner haben schon längst ihre Vorhänge zugezogen und schlummern in ihren Betten. Ich verabschiede mich von Caitlin und laufe über den schlecht ausgebauten kiesigen und matschigen Weg nach Hause. Da es seit Stunden immer noch regnet muss ich mir immer wieder meine nassen kastanienbraunen Haare aus dem Gesicht streichen. Ich gehöre hier einfach nicht hin.
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Callum (boyxboy)
RomanceDer 18-jährige Callum wächst in einem verschlafenen Dorf in Schottland auf, in dem sowas wie Homosexualität noch Neuland ist. Da er für sein Studium nach Berlin zieht, hat Callum nun die Chance Großstadtluft zu schnuppern. Nach verschiedensten Erle...