Dear Diary - Wenn die Vergangenheit dich verfolgt

Kapitel 2

Als ich heute morgen aufgewacht bin, haben sich sämtliche meiner Körperteile gänzlich taub angefühlt. Mein Kopf tat weh und als ich mir, alles andere als ausgeruht, über meinen Mund fuhr, konnte ich einen klebrigen Kakao-Milchschaum-Bart ausmachen.

Jetzt stehe ich unter der Dusche und versuche die Erinnerungen an die letzte Nacht, aus meinem Gedächtnis zu waschen. Mit kaltem Wasser, versteht sich, da wir uns das warmen Wasser ganz einfach, auf Dauer nicht leisten können.

Doch die blutüberzogene Ratte will einfach nicht aus meinem Gedächtnis verschwinden und auch der vermummte Mann ist ziemlich hartnäckig.

" Ich gehe einkaufen!" Meine Mutter ist im Flur, vor meiner Zimmertür. " Ist OK. Bis dann." Seit einer geschlagenen Stunde liege ich nun schon auf meinem Bett und starre die kahle Wand an, versuche einen klaren Gedanken zu fassen. Über meinem Kopf läuft eine Spinne geradezu panisch herum. Hin und her, hin und her. Ich folge ihr mit meinen Augen, bis ich langsam schläfrig werde.

Mein Blick fällt auf die Uhr, die auf meinem Schreibtisch steht.  Es ist 10:47.
Mom ist noch nicht wieder zu Hause. Ich beschließe ein Buch zu lesen, das habe ich lange nicht mehr getan. Schwerfällig stehe ich also auf und hole unter meinem Bett eine Kiste hervor, in der ich mein Hab und Gut aufbewahre. Ich öffne sie und zum Vorschein kommen ein paar Bücher, Fotos und... mein altes Tagebuch! Das habe ich ja schon ganz vergessen! Früher habe ich jeden Tag etwas hineingeschrieben. Aber in letzter Zeit war mir einfach nicht mehr danach, etwas zu schreiben.

Das Wort "Diary" ziert den Umschlag. Der Schlüssel hängt auch noch dran, also beschließe ich ein paar Einträg zu lesen. Ich schließe das Schloss auf und schlage den ersten Beitrag auf.

Diesen habe ich schon vor mehr als zwei Jahren verfasst. Ich war mit meinen Eltern im Zoo und habe die Schimpansen so lustig gefunden. Ich kann mich an den Tag erinnern und muss schmunzeln als ich daran denke, wie viel Zeit ich vor dem Affenkäfig verbracht habe.

Jedoch werde ich augenblicklich wieder ernster, denn damals war ich so überzeugt gewesen von meiner kleinen heilen, nahezu perfekten Welt. Und jetzt, circa zwei Jahre später habe ich fast nichts mehr.

Es ist bereits 11:35. Langsam mache ich mir Sorgen, denn meine Mutter ist noch immer nicht zurück. Naja... vielleicht muss sie noch etwas anderes erledigen.

Ich bin gerade in einen Eintrag vertieft als plötzlich das Telefon in der Küche klingelt. Vielleicht ruft meine Mutter von einer Telefonzelle aus an. Ich laufe in die Küche um abzuheben.

"Hallo?" Stille.
"Hallo? Wer ist denn da? Mom bist du es?" Abermals meldet sich niemand. Gerade als ich auflegen will höre ich ein Rascheln am anderen Ende der Leitung.

Die Geräusche die jetzt bis zu mir durchdringen sind sehr leise weshalb ich den Hörer regelrecht an mein Ohr presse. Kurz ist es wieder still, dann setzt ein gleichmäßiges, rasselndes Atmen ein. Ich bekomme eine Gänsehaut. "Wer ist denn da?"
Ein letztes Mal frage ich in die Stille hinein. Doch es meldet sich niemand, da ist nur dieses unheimliche Atmen.

Bevor ich noch etwas sagen kann setzt ein langer Piep-Ton ein. Die Person muss aufgelegt haben. Erst jetzt bemerke ich, dass mir der Schweiß auf der Stirn steht. Meine Hände sind nass geschwitzt, mein Mund ist trocken.Kurz stehe ich einfach nur da, bis ich den Hörer auf die Halterung knalle.

Ich versuche mir einzureden, es sei nur ein harmloser Telefonstreich gewesen. Ein kalter Schauer durchfährt mich als ich noch einmal an das rasselnde Atmen der unbekannten Person denken muss. Schnell schüttle ich den Kopf um den Gedanken irgendwie wieder loszuwerden. Jedoch scheitert mein Versuch, einen klaren Kopf zu bekommen, kläglich. Ich setze mich auf einen Stuhl und starre aus dem Fenster. Ein paar einzelne Schneeflocken tanzen vor meinem Fenster herum. Ich beobachte sie und bemerke nicht einmal, dass die Haustür aufgegangen ist. Erst als meine Mom sagt, dass sie mir mein Lieblingsjoghurt mitgebracht hat, bemerke ich ihre Anwesenheit. Ich bin froh, dass sie wieder zu Hause ist.