Kapitel 1

35 4 0
                                    

Ich wache schweißgebadet auf. Ich habe wieder von meinem Vater geträumt. Wie der Fremde ihn auf den Boden drückt. Wie er das Messer hebt. Es niedersausen lässt... Der erstickte Schrei meines Vaters, das leise Röcheln in der Dunkelheit. Und da ist diese Hand die nach mir greift. Blut klebt an den schwarzen Handschuhen. Das Blut meines Vaters. Der am Boden liegt. Tot. Ermordet.

Ich wische meine nassen Hände in meine Decke. Mein Polster ist feucht. Ich drehe ihn um und schaue auf die Uhr. 0:24. Zu früh um aufzustehen. Ich schließe wieder die Augen. Versuche krampfhaft einzuschlafen. Die Minuten vergehen wie Stunden. 0:25. 0:26. 0:27. Langsam falle ich in einen unruhigen, traumlosen Schlaf.

Ich schrecke hoch. Ich habe ein Geräusch gehört. Habe ich geträumt? Nein, das war echt. Die Vorhänge tanzen im Wind, da ich das Fenster offen gelassen habe. Langsam stehe ich auf und gehe zum Fenster. Da! Hat sich da nicht gerade etwas bewegt? Ich strenge meine Augen an und lehne mich leicht aus dem Fenster. In dem fahlen Licht der Straßenlaterne sehe ich schemenhaft den Baum vor unserem Haus. Er sieht aus als wolle er mit seinen langen dicken Ästen nach mir greifen. Gerade will ich das Fenster schließen da entdecke ich etwas hinter dem dicken Baumstamm. Eine Gestalt in einem tiefschwarzen Umhang. Die Kapuze ist weit ins Gesicht gezogen. In dem düsteren Licht kann ich fast nichts erkennen. Das Gesicht ist verdeckt doch ich weiß das die Gestalt zu mir herauf sieht. In diesem Moment. Ich will schreien, vom Fenster weglaufen, einfach nur hier weg. Vom Fenster weg, aus diesem Zimmer, aus diesem Haus, aus dieser Stadt. Doch ich schreie nicht. Ich laufe nicht weg. Ich starre nur nach unten. Zu dem Baumstamm, zu der Gestalt. Auf einmal kommt wieder Leben in mich. Ich schlage das Fenster zu und werfe einen letzten Blick nach draußen. Ich kann niemanden erkennen. Vielleicht hat sich mein Unterbewusstsein einen Spaß mit mir erlaubt. Oder doch nicht?

Hastig ziehe ich die Vorhänge zu und schalte die Lampe auf meinem Schreibtisch ein. Ich muss wegen dem hellen Licht blinzeln, drehe mich zu meinem Bett um... und fange laut an zu schreien.

Eine tote, aufgeschlitzte Ratte liegt auf meinem Kopfpolster. Er ist blutdurchtränkt. Man kann einige undefinierbare Eingeweide erkennen. Und ich? Ich schreie. Ich lasse heraus womit ich mich vorher zurückgehalten habe. Ich muss würgen und drehe mich weg um sie nicht länger anzusehen.

Doch als ich mich nach gefühlten Stunden wieder umdrehe ist da keine Ratte mehr. Kein Blut, keine Eingeweide. Ungläubig gehe ich auf mein Bett zu und setze mich auf die Bettkante. Langsam fahre ich über das Laken und über den Polsterbezug. Alles ist vollkommen trocken. Ich werde verrückt! Zuerst die dunkle Gestalt und jetzt sehe ich schon Tierkadaver! Geht es wieder los?

Von meinem Geschrei ist Mom wachgeworden. Ganz außer Atem steht sie in der Tür. "Was ist los?" Immer noch verstört starre ich sie an, bis ich meine Sprache wieder finde: "Ich... hab nur schlecht geträumt, Mom. Alles Gut!" Meine Mutter sieht zwar nicht so aus als würde sie mir glauben, jedoch ist sie wohl zu müde um mir zu widersprechen. Nach einem kurzen "Gute Nacht!" schlurft sie zurück in ihr Zimmer.

An Schlaf ist jetzt nicht mehr zu denken. Leise gehe ich in die Küche und setze mich auf einen der wackeligen Stühle. Ich atme tief durch und stehe dann auf um mir eine heiße Schokolade zu machen. Erschöpft setzte ich mich, mit der Tasse in der Hand, an den Tisch. Wenn ich das jemandem erzählen würde, würde mir keiner glauben! Mein Psychiater würde es nur wieder auf das Trauma schieben, so wie immer, meine Mom ebenso.

Am Anfang, kurz nachdem mein Dad gestorben war, hatte ich viele solcher Erscheinungen. An jeder Ecke sah ich vermummte Menschen mit blutigen Messern, oder ganz einfach meinen Dad in der Blutlache. Es war schrecklich. Doch durch meinen Psychiater und durch Honey und Elli schaffte ich es, mich wieder auf andere Dinge zu konzentrieren. Die Träume verloren etwas an Dunkelheit und die vermummten Menschen verschwanden aus meiner Umgebung. Alles hatte sich gebessert doch die heutigen Geschehnisse bereiten mir Sorgen.

Ich zerbreche mir noch lange den Kopf darüber, bis meine Augenlider schwerer werden, ich meinen Kopf auf den Tisch lege und in der Küche in einen tiefen traumlosen Schlaf falle.

Dear Diary - Wenn die Vergangenheit dich verfolgtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt