London, Universitätskrankenhaus
Ich bin nun wieder drei Tage wach.
Wenn ich aus meinem Schlaf erwache, fühle ich mich, als würde man die Energie aus meinem Körper pressen. Beim ersten Mal war es noch viel überwältigender, als jetzt, beim zweiten Mal. Es ist surreal. Weder kann ich dann schlafen, noch wirklich essen. Mein Appetit, der früher sehr ausgewogen war, scheint jetzt kaum noch existent und selbst, wenn ich esse, passiert es nicht selten, dass ich danach alles ,,dem Gott der Kloschüssel als Opfergabe bringe.'' So sagt Jade jedenfalls. Sie mag das Wort ,,kotzen'' nicht sehr gerne.
Ich erinnere mich daran. Also, als ich nach dem ersten ,,Schlafanfall'', so nennen die Ärzte es, erwacht bin. Alles war endlos schwarz und tief und kalt. Es fühlte sich an, als würde mein Körper aus einem See aufsteigen; immer höher und höher, bis ich mich Luft schnappend in der gleißenden Sonne, die durch das Krankenhausfenster fiel, wiederfand. Zunächst erinnerte ich mich an nichts. Verwirrt blickte ich in die Augen einer Krankenschwester, die sofort einen Arzt und auch meine Eltern rief. Sie erklärten mir, was passiert war. Ich hatte nicht viel Zeit, um mich über irgendetwas zu wundern. Menschen in weißen Kitteln strömten herbei, drehten an Geräten und fragten mich aus. Erst, als meine Mutter eintraf, ließen sie nach und nach von mir ab.
Ein dunkelhaariger, älterer Arzt hatte an meinem Bett gestanden und mir fürsorglich die Schulter getätschelt. Ich fühlte mich wie in Trance und sah zu ihm auf.
,,Später wird noch eine Psychologin mit Ihnen reden, Miss Doe. Nun sind Sie uns aber fürs Erste aber los. Ihre Mutter kann Sie sicher noch ein wenig aufklären.''
Er wirkte nett, doch mein Gehirn war leergefegt. Ich fühlte, wie meine Lider schwer wurden und die restliche Energie aus meinem Körper wie Wasser sickern, als ich meine Mutter ansah. Sie stand immer noch im Türrahmen, kam jedoch näher, als der Arzt das Zimmer verließ. Sie trug ein Kostüm und wirkte gehetzt, ja fast, als hätte sie noch einen Termin und leide unter immensem Zeitdruck. Nichts Neues also.
,,Mein Liebling'', keuchte sie auf und dann drückte sie meinen Kopf gegen den sündhaft teuren Stoff ihres Jacketts. ,,Wir sind so froh, dass du wieder wach bist.''
Soso, hatte ich gedacht, für meinen Vater redest du also mit. Der Herr hat anscheinend keine Zeit gefunden, seine einzige Tochter zu besuchen, die gerade aus einem Kurzzeitkoma erwacht war. Ich sagte aber nichts.
Die Ärzte hatten mir bereits erklärt, dass ich ganze 7 Tage geschlafen hatte. Eigentlich hätte diese Information alleine mich vollkommen durcheinanderbringen sollen. Ich hätte tausende Fragen haben sollen. Wieso? Weshalb? Warum? Doch alles, an das ich denken konnte, war dieser seltsame Traum, der mich immer noch in seinen Klauen hielt. Dieses tiefe, verschluckende und eiskalte Wasser, auf dem es keine Oberfläche zu geben schien...
,,Die Ärzte wissen keinen Rat für uns, Milli. Du scheinst an einer unbekannten Art von Narkolepsie, der Schlafkrankheit, zu leiden. Aber ein Fall wie deiner ist bis jetzt noch nicht verzeichnet worden.''
Ich sah sie an. Milli hatte sie mich schon lange nicht mehr genannt. Ihre Augen waren ganz anders, als meine. Ihre hatten ein tiefes, sattes Blau und ihre Haare waren blond und seiden und fielen ihr glatt auf die Schultern. Auch ihr Gesicht, so empfand ich, glich keineswegs meinem. Sie war sicher eine schöne Frau, doch ihre Karriere hatte jede Unbeschwertheit und Jugendlichkeit aus ihren wahrscheinlich einst rosigen Zügen gesaugt.
Es verletzte mich keineswegs, dass sie, während sie an meinem Bett saß und meine Hand hielt, immer wieder auf ihre Armbanduhr sah und mir dann verlegene Blicke zuwarf. Meine Mutter ist eine vielbeschäftigte Frau, arbeitet für die englische Bank und ja, ich denke, sie lebt auch dafür. Jedenfalls war ich gewöhnt daran, nicht im Mittelpunkt ihres Lebens zu stehen.
DU LIEST GERADE
Die Weltenwandlerin & die Sklaven von Lyx
FantasyEmilia Doe ist das ,,Schneewittchen von London'' und ein großes Rätsel für die Ärzte. Immer wieder verfällt sie in einen mehrtägigen Schlaf, aus dem sie niemand zu erwecken vermag. Während ihre Familie und die Medizin krampfhaft versuchen, die 19 Jä...