4 | Sage

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Die Sommerferien waren die Hölle für mich gewesen. Da war Tylers Beerdigung gewesen, all die mitleidigen Blicke. Ich war nach der Beerdigung sofort gegangen. Ich war nicht zur Trauerfeier geblieben. Ich konnte einfach nicht mit diesen Leuten, die Tyler nicht so gut kannten wie ich, an einem Tisch sitzen. Sie trauerten einfach nicht so wie ich.

Und dann war da noch meine Mutter, die dachte, sie könne mich über Tylers Tod hinwegtrösten. Aber sie verstand nicht, dass sie mich nicht darüber hinwegtrösten konnte. Tyler war tot. Das ließ sich nicht mit ein paar tröstenden Worten vergessen.

Ich wollte einfach alleine sein und trauern. Und zwar die vollen sechs Wochen. Ich verließ kaum das Zimmer und dachte die meiste Zeit nur an Tyler. Zumindest fing ich nicht mehr bei dem kleinsten Gedanken an ihn an zu heulen.

Manchmal kam Kaelyn vorbei und wir versanken in alten Erinnerungen an Tyler. Versanken in längst vergangenen Tagen, die nie zurück kommen würden.

Und nach diesen traurigen Sommerferien ging schließlich die Schule wieder los.
Und nachdem ich geduscht und angezogen war, sah ich sogar wieder einigermaßen wie ein Mensch aus.

Und nun saß ich wieder hier. An meinem gewohnten Platz am Fenster. Kaelyn kam herein und setzte sich neben mich. Dahin, wo sonst immer Tyler saß. "Hey", sagte sie leise. "Hey", sagte auch ich, genauso leise. "Wie geht's dir?", fragte sie. Ich schaute sie an. "Mmh, geht so", antwortete ich kurz angebunden. Ich wollte gerade nicht reden.

Da kam Mrs Johnson herein. Doch nicht allein. Hinter ihr betrat ein hochgewachsener Junge den Raum. Er hatte dunkelbraune Haare, die ihm fast in die braunen Augen fielen und einen durchtrainierten Oberkörper. Er sah nicht schlecht aus.

Beim hereingehen nickte er kurz Jack zu, der in der letzten Reihe saß.
"Wir haben einen neuen Schüler", sagte Mrs Johnson und deutete auf den Jungen. "Das ist Nathan", stellte sie ihn vor. "Setz dich doch neben Kaelyn", meinte sie und deutete auf den leeren Tisch neben uns.

Früher hatten Tyler, Kaelyn und ich hier gesessen und eine Dreierreihe gebildet. Jetzt hatten wir unsere Dreierreihe wieder. Nur eben ohne Tyler.

Nathan nickte und ließ sich schließlich neben Kaelyn nieder. Er lächelte uns zu, doch ich drehte den Kopf weg. Mir war nicht nach Nettigkeiten zumute. Irgendwie kotzte es mich an, dass er auf Tylers Platz saß. Aber schließlich konnten wir den Platz nicht ewig freihalten, bis Tyler beschloss aus seinem Grab zu steigen und wieder zur Schule zu gehen. Bei diesem absurden Gedanken musste ich fast grinsen. Aber nur fast.

Dann fuhr Mrs Johnson mit dem organisatorischem Kram fort. Neuer Stundenplan, etc. Auf diesem sah ich, dass wir dieses Jahr im Sportunterricht schwimmen gehen würden. Na toll.

Nach dem Unterricht ging ich zu Mrs Johnson und sprach sie auf den Schwimmunterricht an. Ich konnte unmöglich schwimmen gehen. Mrs Johnson meinte, dass ich dann womöglich in einer anderen Klasse mit zum Sportunterricht müsste.
Noch besser.

Da musste ich jetzt durch. Ich seufzte innerlich und verließ das Klassenzimmer.
Auf diese Art würde zumindest niemand etwas von meiner Angststörung erfahren. Sie würden wahrscheinlich nicht einmal bemerken, dass ich weg war. Das hoffte ich zumindest.

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523 Wörter
21.10.2017

DrowningWo Geschichten leben. Entdecke jetzt