|Teil 1|

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Max Krüger gähnte herzhaft, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Es war halb sechs Uhr morgens und er wollte einfach nur noch ins Bett. Kein Wunder nach dieser Nachtschicht! Er schwor sich, dass er nie wieder das Berichteschreiben so lange vor sich herschieben würde. Doch im selben Moment wusste er auch, dass er diesen Schwur niemals einhalten würde.
Es war nicht so, dass Max sehr faul wäre, ganz im Gegenteil! Seine Wohnung war äußerst ordentlich, doch dabei konnte er sich wenigstens laut die Musik anstellen und er betätigte sich dabei auch noch sportlich. Jedenfalls konnte keiner bestreiten, dass auf dem Boden herumkrauchen, um den Staub unter dem Sofa wegsaugen oder auf den Möbeln herum zu klettern, um die Spinnenweben von der Decke zu fischen, kein Sport war.
Einen Bericht zu schreiben bedeutete unterdess, in völliger Stille an seinem Schreibtisch zu sitzen und das manchmal mehrere Stunden lang.

Während Max sich noch im Flur den Pullover über den Kopf zog, tappte eine seiner Katzen aus dem Wohnzimmer zu ihm hinüber und miaute ihn klagend an.
,,Hey, Kleiner.", meinte er und strich dem gestreiften Vierbeiner über den Kopf. Dieser begann zu schnurren und regte sich der Hand entgegen. Max ließ sich in den Schneidersitz sinken und streichelte seinen kleinen Freund weiter. Bald kam auch sein Bruder und wollte ebenfalls gestreichelt werden.

Und so war es schon fast viertel sieben, als er sich von ihnen lösen konnte, um sich die letzten Klamotten vom Körper zu schälen und sich todmüde in sein Bett zu legen. Die zwei Katzen folgten im ins Schlafzimmer und machte es sich auf einer der Betthälften bequem, während Max die andere bekam. Die beiden Fellknäule waren seine einzigen Mitbewohner, seit dem seine Freundin Vanessa sich vor einem halbem Jahr von ihm getrennt hatte und ausgezogen war. Die Katzen hatten sie ihm hiergelassen.

Er fuhr sich übers Gesicht, er sollte nicht darüber nachdenken, sondern lieber schlafen.
Als er wieder aufwachte war es bereits vierzehn Uhr und er wurde von beiden Katzen flehend angemauzt, dass er ihnen endlich etwas zu essen geben sollte. Stöhnend rollte er sich aus dem Bett und tappte verschlafen in die Küche. Dort zog er das Katzenfutter aus dem Schrank, öffnete die Dose und verteilte den Inhalt auf einem Teller, den er zu Boden stellte. Seine beide Vierbeiner machte sich sofort über die Mahlzeit her, während er seine Kaffeemaschine anschaltete. Diese erfüllte kurze Zeit später den Raum mit einem sanften Gurgeln und Max kramte sich ein kleines Frühstück zusammen. Als die Kaffeemaschine fertig war, freute sich Max über den riesigen Becher Kaffee.

Das Frühstück verlief still, nur das Schmatzen der Katzen und sein eigener Atem durchschnitten die Stille. Nachdem er sein Geschirr und den leer gefutterten Teller der Katzen in die Spülmaschine geräumt hatte, wollte er sich eigentlich daran machen, die Wäsche zu waschen, doch dann klingelte plötzlich sein Handy.

,,Hey, Frodo", wurde er von Flo begrüßt und Max rümpfte aufgrund des Spitznames, der seine geringe Körpergröße betonen sollte, die Nase.
,,Wie oft habe ich dir schon, dass du mich nicht so nenne sollst?"

,,Mindestens tausend Mal", erwiderte sein Freund gutgelaunt, doch dann schwang seine Stimme ins Ernste um.
,,Hör zu, ich habe gerade einen Anruf bekommen. Du erinnerst dich an das Foto von heute früh?"
,,Das von Joiko und seinem Freund? Ja, ich habe es mitgenommen. Liegt in meiner Hosentasche", antwortete er.

,,Gut, dass du es noch hast. Joiko ist heute morgen wohl total ausgerastet, weil er das Bild wieder haben wollte, aber das Wachpersonal sich geweigert hat, uns anzurufen. Er muss ziemlich gewalttätig geworden sein, sie haben ihn in eine dieser Zellen gesperrt, wo nichts drin ist. Würdest du da hinfahren und ihm das Foto geben? Ich habe rausgehört, dass er sich weigert zu essen und wir können nicht riskieren, dass er uns wegstirb"

,,Okay, geht klar. Danke für den Anruf"
,,Nichts zu danke. Wir sehen uns morgen, Frodse", meinte Flo
,,Ja, grüß' Ina von mir.", erwiderte er lächelnd, es tat immer gut, Flo's Stimme zu hören.
,,Mach' ich"
Und damit war das Gespräch beendet. Max warf alle seine Pläne für den heutigen Tag über den Haufen und ging ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen. Er zog ein dunkelrotes Shirt an und die Jeans von gestern, aus der Hosentasche nahm er das Foto.
Einen Moment lang betrachtete er die beiden jungen Männer auf dem Bild. So jung, so glücklich, so sorglos. Ja, aber vorallem undschuldig. Hatte zu dieser Zeit, als dieses Foto aufgenommen worden war, Joiko schon mit dem morden angefangen? Hatte Felix Denzer davon gewusst? Er konnte sich kaum vorstellen, dass er es nicht gewusst hatte.

Er steckte das Foto zurück, trat in die Flur, warf sich seine Jacke über die Schultern und nahm sich Haus- und Autoschlüssel von der Kommode. Zum Abschied kraulte er nochmal kurz seine Katzen und murmelte ihnen zu: ,,Ich bin kurz weg. Macht keinen Unsinn, okay?"

Nachdem er sich eine halbe Stunde lang durch den Berliner Nachmittagsverkehr geqäult hatte, fuhr er endlich vor dem Haftgebäude vor.
,,Nächstes Mal nehm' ich die U-Bahn!", fluchte er und warf sehr energisch seine Autotür zu. Er stampfte missmutig die Stufen zum Eingang hoch und betrat das Gebäude. Am Empfangsschalter zeigte er seine Polizeimarke vor und fragte nach Jakob Joiko. Der Mann hinter dem Thresen, der in den Fünfzigern zu sein schien, winkte einen jungen Wachmann heran, der Max ein paar Gänge entlang zu einem Besucherraum.
Bevor er den Raum verließ, um Joiko aus seiner Zelle zu holen, warnte er Max noch.
,,Sie sollte vorsichtig sein. Er ist wirklich gefährlich."
Max seufzte auf: ,,Ich weiß, ich war seit einem halben Jahr hinter ihm her"

Als Joiko in den Raum geführt wurde, sah er noch grässlicher aus, als am morgen. Die Haare standen in alle Richtungen ab, er wirkte kränklich und erschöpft. Aber seine Augen strahlten eine kalte Bosheit aus, als er Max ansah.

,,Du hast ganz schönen Ärger gemacht, wie ich gehört habe", begann er mit dem Gespräch. Sein Gegenüber funkelte ihn an: ,,Ich will mein Foto wieder haben!"
Einen Moment lang sah er den Verbrecher an, zwei Szenarien spielten sich in seinem Kopf ab. Er würde Joiko, dass Bild geben und dieser würde, weil er das bekommen hatte, was er wollte oder aber er würde sich ein Stück weit öffnen. Natürlich hatten sie bereits ein Geständnis von ihm, aber Max wollte mehr wissen: wer waren seinen Auftraggeber, wer hing alles in dieser Sache mit drin.

Er atmete kurz durch und ließ sich auf das Risiko, dass er kein Wort zu hören bekommen würde, ein. Er zog das Foto aus der Hosentasche und reichte es Joiko hinüber. Dieser ergriff es, so gut es mit Handschellen gefesselten Hände eben ging. Er klammerte sich gerade zu an das Bild, betrachte die beiden Menschen darauf. Max glaubte einen kurzen Augenblick, dass seine Augen verdächtig zu schimmern begonnen hatte, doch es musste sich um eine Spiegelung des Lichts gehandelt haben, denn im nächsten Moment war das Glitzern verschwunden.

Max lehnte sich zurück und verschränkte lässig die Arme vor der Brust, während der Mörder vor ihm gebannt auf das Bild starrte.

,,Hat er davon gewusst? Von den Morden, meine ich.", wollte er wissen und Joiko schreckte er aus seinen Gedanken hoch.
,,Felix? Am Anfang nicht, nein. Aber er hat gemerkt, dass mit mir irgendwas nicht stimmt und eines Tages bin ich blutverschmiert in der Wohnung aufgetaucht. Ich hatte gedacht, er schläft schon, aber er hat auf mich gewartet. Er hat mich ausgequetscht und ich konnte ihn einfach nicht belügen, ich habe ihn alles erzählt. Er wollte mit mir zur Polizei gehen, dass ich denen alles sage, aber ich konnte einfach nicht. Die...die hätte mich umgelegt."

,,Hat man ihn deswegen umgebracht?" Er musste Joiko jetzt beim Reden halten, nach einer Weile würde er alles auspacken!

Jakob nickte und seine verkrampften sich: ,,Ich wollte aussteigen, alles gestehen und irgendwann mit Felix ein neues Leben anfangen. Aber du kommst dort nicht einfach raus. Und dann war Felix aufeinmal verschwunden und ich erhielt einen Brief, in dem war einfach nur seine Kette drin. Da war es mir dann klar."

Max blinzelte interessiert und beugte sich vor.
,,Du hast keine Leiche gesehen? Nichts?"
Sein Gegenüber begann verbittert zu lächeln: ,,Wenn sie jemanden umbringen wollen, dann tun sie es auch. Das war ihre Rache an mir. Sie haben mir das genommen, was ich am meisten geliebt habe."

Er wollte gerade etwas erwidern, da klingelte sein Handy.
,,Max!", keuchte ein atemloser Florian ihm ins Ohr, ,,Du musst sofort kommen!"
,,Was ist los?!", fragte er entsetzt und in seinem Kopf spielten sich sogleich hunderte Horrorszenen ab.

,,Es gab wieder einen Mord!"

The photograph Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt