Wie alles anfing

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„Nein!" Er schlug heftig mit beiden Fäusten gegen die Wand und verharrte in dieser Position. Sein Gesicht war errötet und verzerrt vom Ärger, seine Augen stierten aus ihren Höhlen wie die wahnsinnigen Hörner des Teufels, sein Herz schlug ihm fest in der Brust und drohte sie zu zerreißen. Er war außer sich vor Wut, drehte sich mit Schwung um, riss seinen Mantel von der Halterung und rannte hinaus an die Luft, wo er stehen blieb, die Augen schloss und seinen Kopf nach oben richtete. Mit tiefen Atemzügen versuchte er sich zu beruhigen.

Als er seine Augen wieder öffnete, sah er um sich. Die Straße war leer, sein Blick folgte einer Zeitung, welche durch den starken Wind über die Straße geweht wurde. Er war wieder ruhig. Er war verstimmt, aber nicht mehr besessen von Wut und Ärger. Er stieg langsam die einzige Treppenstufe hinunter, die zum Hauseingang führt und verließ das Grundstück. Seine Schritte, die sich die Straße entlang zogen, waren langsam, aber stark und bestimmt. Sein Kopf wusste nicht wohin er ging, doch seine Beine trugen ihn mitten durch die Stadt. Er merkte, wie er selbst müde wurde, doch seine Beine liefen immer weiter, bis er schließlich vor einem großen, weißen Gebäude zum Stehen kam.

Dann sah er hinauf und das Gebäude vor ihm schoss aus dem Boden wie ein riesiger Vulkan aus Putz und Glas und blinzelte ihn böse an. Er erschrak, als ihn ein bodenloses Gefühl zu Boden riss, der sich kurz darauf öffnete, um ihn in die Tiefe zu ziehen, doch nichts geschah. Er konnte sich drehen und sah in den Abgrund, auf welchem er lag, gehalten von einer durchsichtigen Schicht, die jeden Moment zu reißen drohte. Um ihn herum war eine unbeschreibliche Lautstärke, die sich aus hupenden Autos, redenden Menschen und dem Geräusch, dass die Erde machte, wenn sie sich dreht, zusammensetzte. Hinzu kam das ohrenbetäubende Geräusch, was ihn nur zu oft heimsuchte, begleitet von unmenschlichen Kopfschmerzen: es klang schrill, laut und hoch, doch zugleich übertönte es all die anderen Geräusche, die ihn so sehr irritierten. Mit einem Mal sank sein Kopf ab, das Geräusch, sowie der Kopfschmerz waren wie weggeblasen, er war nie gefallen, sondern stand immer noch vor dem Gebäude.

Er blickte nach links, er sah nichts, nur Leute, Autos, Schilder und Lichter. Er blickte nach rechts, er sah nichts, nur eine Straße, die in ein Waldstück führte. Er erkannte es wieder, obwohl er es zum ersten Mal sah. Er zögerte, drehte sich auf dem Absatz und ging zögerlich zu der kleinen Treppe, die hinunterführte zu einem Weg, über den man direkt in das Stück Wald gelangte. Unweigerlich wollte ein Teil in ihm genau diese Treppe hinabsteigen, also tat er es. Er war schließlich schon hier. Über ihm hörte er die Vögel zwitschern als er auf den Weg schritt, also blickte er hinauf in die Baumkronen, durch die das Licht schimmerte und hin an ein Prisma erinnerte. Ein Prisma, wie er es als Kind an seinem Nachttisch hatte, er hatte es von seinem Vater bekommen, bevor er starb.

Die Äste wiegten sich im Wind, sodass die Blätter rauschten, das Laub knisterte und knirschte unter den Sohlen seiner Schuhe und die kleinen Äste der großen Büschen blieben an seinen Locken hängen, als würden sie ihn zurückhalten wollen. Nach einiger Zeit bemerkte er, dass er vom Weg abgekommen war. Er wusste nicht, wo er war, was er hier tat und war sich auch nicht besonders sicher, wer er war, doch das nächste was er sah erschrak ihn so sehr, dass er fiel. Unter den Blättern, den Ästen, dem Laub, dem Schmutz auf dem Boden blitzte eine schneeweiße Hand auf, er hatte soeben seine erste Leiche gefunden.


„Und wie haben Sie sie gefunden, sagten sie?" Eine Frau in einem langen, grauen Mantel und mit Notizblock schaute ihn fragend und zugleich prüfend und verurteilend an.
„Ich war Spazieren" Er räusperte sich, er fühlte sich ertappt, fragte sich zugleich wieso und sah zu Boden. Die Frau nickte und versprach ihm, dass dies alles gewesen sei. Bei weiteren Fragen würde sie sich melden, er wäre nun frei zu gehen. Er nickte, fuhr sich mit der Hand übers Kinn und sein Blick traf wieder die Hand, die er nur einige Minuten zuvor entdeckt hatte, die aber jetzt unter dem Stoff hervorschien, der sie zu bedecken versuchte.

„Sie können gehen." wiederholte die Frau auffordernd und blickte ihn streng an. Er blickte ein letztes Mal auf die Hand, bevor diese verdeckt wurde und er sich langsam umdrehte und zurück zur Hauptstraße stapfte. Er dachte nach, wer wohl diese Person sein könnte, die er da gefunden hatte. Er hatte ja nicht mal das Gesicht gesehen, geschweige denn wusste er, welchen Geschlechts die Person war. Er fragte sich, was wohl geschehen war, zuvor, bevor die Person unter Blättern versteckt war und er sie hatte finden müssen. Er fühlte sich komisch, er fragte sich, wie er überhaupt in den Wald gekommen war. Er konnte sich nicht einmal erinnern, dass er so weit gelaufen war. Er fragte sich, wieso er zu dem Gebäude gelaufen war, er wusste nicht einmal wo es stand. Plötzlich blieb er stehen und blickt zum Blätterdach. Der Himmel war verdunkelt und das über ihm erinnerte nicht mehr an ein Prisma, es erinnerte an Schuld.

Mit seiner KraftWhere stories live. Discover now