12.00 Uhr, noch 12 Stunden

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12.00 Uhr, noch 12 Stunden

Mit meinen achtundzwanzig Jahren wage ich nicht zu sagen schon alles oder auch nur viel gesehen zu haben. Vieles blieb mir verborgen, viele träume und wünsche konnte ich mir nicht erfüllen, wobei der größte nun doch im Erfüllung ging.
Auf den Tag genau zehn Jahre ist es nun her das ich Julia die Frage aller Fragen gestellt habe. Wir saßen in ihrem Lieblings Restaurant, wir lachten und erzählen aller Hand dummes Zeug über unser bestandenes Abitur und unsere lächerlichen Vorstellungen über die Zukunft. Das Restaurant trug den Namen “le petit“ welcher auch wirklich treffend war, man brauchte keine zehn Schritte um den Laden der Länge nach zu durchqueren und der breite nach noch weniger.
Im laufe dieses abends, des zweiundzwanzigsten Mai, einen Tag vor dem Geburtstag meiner angebeteten entschuldigte ich mich für einen Moment. Auf der Toilette angekommen begann ich damit mich zu sammeln und mir einen Schwung kaltes Wasser ins Gesicht zu werfen um der Nervosität entgegenzuwirken.

Auf dem weg zum Tisch zurück nahm ich mir auf halber Strecke noch einen kleinen Moment sie zu bewundern, ihr schulterlanges blondes Haar, ihre blauen Augen in dem sich von nahem kleine Diamanten zeigen, jeden einzelnen süßen Leberfleck der von mir liebevoll Schokoperle genannt wurde, eine Figur nicht wie die eines Modells sondern eine Figur die Modells haben sollten und dieses Lächeln. Eben dieses Lächeln warf sie mir zu als sie mich da so stehen sah in meinem guten Anzug mit verträumten Augen, gerade als ich mir begann die Frage zu stellen wie ich sie denn verdient habe ruf sie hinüber >>Komm her du Trottel, der sekt wird schal!<<. Sie wusste genau wie sie mit mir umzuspringen hat. >>Auf einen gelungenen Abend.<< warf ich ein nachdem ich am Tisch angekommen war. Wir stießen an und nach einem kleinen klingen der Gläser genossen wir dieses edle Tröpfchen.
>>Soll ich den Abend unvergesslich machen?<< warf ich mit zitternder Stimme ein auf das nur ein beschämtes Lächeln als Antwort folgte. Mit wackeligen Beinen erhob ich mich aus diesem bequemen Stuhl, begab mich neben sie und kniete mich neben sie nieder, noch bevor eine Silbe über meine Lippen kam boxte sie mir auf den Arm, zog mich hoch und schrie aus tiefstem Herzen ein freudiges >>Ja, ja und drei mal ja!<< heraus. Nach einem sehr intensiven Kuss und einem kleinen Applaus der anderen Gäste und angestellten bezahlte ich die Rechnung und machte mich mit Julia auf den weg, schon in der Schule brachte ich sie fast jeden Tag nach Hause zu ihrem Vater und dies wollte ich auch an jenem Abend tun. Wir mussten etwa einen Kilometer in Richtung Südstadt laufen, den Bahnhofstunnel durchqueren und noch etwa zweihundert Meter weiter un da wären wir gewesen, doch nicht an diesem Abend.
Sie bemerkte des öfteren ihr ginge es nicht gut, ihr sei komisch. Ich sagte ihr das sei nur die Aufregung, welche sie gar nicht so sehr verspüren müsste, da ich ihren Vater schon um ihre Hand gebeten habe, doch trotzdem fing sie an wacklig auf den Beinen zu werden. Am Bahnhof angekommen begaben wir uns zur Treppe, die in den Tunnel führte, plötzlich packte Julia meinen Ärmel und viel, ich viel ihr hinterher, versuchte sie im Flug aufzuhalten, doch gelang es mir nicht. Es wurde dunkel.
Einige Bilder nahm ich noch wahr, Passanten, Sanitäter und einen Krankenwagen von innen. Im Krankenhaus aufgewacht drehte sich alles und ich übergab mich eine Weile lang bis ich bemerkt habe das meine verlobte im bett neben mir liegt, mit geschlossenen Augen, an Schläuche angeschlossen und Regungslos daliegend.
Ein Arzt kam herein, erklärte mir das meine rechte Schulter zertrümmert sein und Julia nicht mehr leben würde wenn ich mich nicht wie die Passanten sagten >> im Flug unter sie geworfen<< hätte >>Doch<< viel der große, schwarze Arzt mit französischem Akzent fort >> sie im Koma, einem künstlerischen Koma aus dem es eine nur sehr geringe Chance gibt auf die Seite der lebenden zurück zu kehren.<<
Kein Wort kam mir über die Lippen, kein Ausdruck von Trauer, Schmerz oder zumindest Wut war in meinem Gesicht, nur das absolute nichts war zu sehen. Irgendetwas erzählte der Arzt noch vor sich hin doch schenkte ich dem keinerlei Beachtung, ich schaute nur zu meiner großen Liebe in der Erwartung das sie jeden Moment aufwachen würde. Eins wusste ich mit absoluter Gewissheit, ich würde sie nicht sterben lassen, niemals.

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