Intro

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>Scio me nescire< ~Sokrates
________Ich weiß, dass ich nichts weiß



Es war an einem warmen leicht sonnigen Montag Morgen, als ich den Briefkasten öffnete und darin einen Umschlag und Briefe vorfand. Auf dem Umschlag war mein Name zu lesen. Konzentriert hielt ich meinen Kaffeebecher in meiner rechten, wohlfühlend das er bereits lau war. Ich linste auf meine Armbanduhr und stellte fest die Zeit etwas zu sehr vertrödellt zu haben. Also schmiss ich den Umschlag und die Briefe auf die Seite zog eilig meine Kapuzenjacke an - obwohl es gefühlt viel zu heiß dafür war aber unter Zeitdruck denkt man nicht an sowas naja wie dem auch sei - und stolperte mehr als ungeschickt in meine Schuhe rein und ebenso mit diesen auch gleich mal hinaus. Wieder schaute ich auf den Tacho. "Drei Minuten bis der Bus kommt. HALT NEIN. 180 Sekunden.. schaff ich easy sind doch bloß 700 Meter zur Halte" dachte ich mir in der üblichen morgendlichen Stresssituation, die ein Mensch, welcher jede Minute, NEIN, jede Millisekunde an Schlaf braucht, die ihm heutzutage in dieser Welt der Schüler und Arbeiter vergönnt wird, nun eben so haben kann.
Während ich noch das Haus verlasse, muss ich leider noch meine Kopfhörer in mein sogenanntes "Smartphone" stöpseln, die Ohrstöpsel in meine Ohren stöpseln oh je gleich mal 30 Sekunden weniger also jetzt aber zack zack burschi Spotify auf und let's go. Ich renne Richtung Hauptstraße biege ab und sehe den Weg vor mir als wäre die Ziellinie voraus. Noch beim Rennen um jeden einzelnen Meter die Sekunde erspähe ich eine 2€ Münze auf dem Gehsteig aber verflucht noch eins ich darf jetzt nicht anhalten der Bus ist gleich dort drüben und meine Mathe Lehrerin reißt mir nicht nur einmal den Kopf ab falls ich diesen letzten Bus, welchen ich zur Gewährleistung meiner eigenen Sicherheit erwischen muss, verpasse. Fast geschafft.. Ab durch die Hintertür MIST vorbeigerannt. Paar Schritte zurück, Stand finden Fuß 1 Fuß 2 und Schritt Richtung Sitzplatz. An diesem Tag krippierte - ne schmarn sorry - kapierte ich endlich die in dem Erste Hilfe Kurs erwähnte sogenannte Schnappatmung anhand selbst gemachter Erfahrung.
Natürlich wollte ich nicht "absichtlich" zu spät kommen, aber hätte ich den Bus verpasst, hätte ich zumindest meinen "Einmal zu spät kommen kann jedem mal passieren"-Joker einlösen können - ja klar vonwegen nicht bei dieser Lehrerin NO WAY. Ich brauchte mich nur an den Schüler zu erinnern, welcher das erste Mal überhaupt vier Minuten zu spät kam, seine Mütze noch trug und so dermaßen die Hosen abgeben durfte, dass einfach jeder nach unten oder zur Seite blickte. Hätte er damals doch nur die Mütze ausgezogen, denn diese Lehrerin hatte einen Groll gegen Kopfbedeckungen im Unterricht. Natürlich war das jedem ein Mysterium aber nichtsdestotrotz war der Vorschlag eines Mitschülers, einen Hütestreik extra für unsere liebevolle Lehrerin zu veranstalten eine spannende und unabschätzbare Möglichkeit, unsere Dankbarkeit herzlich und liebevoll auszusprechen. Trotz des Wissens über die nennen wirs "Hütephobie" der Lehrerin wollte niemand ein zu spät kommen riskieren, denn seit diesem Tag war es schwer abzuwägen, welchen Effekt das zu spät kommen an sich hatte.

Die Busfahrt verging schnell und ich saß da, hörte die übliche Playlist und war in den üblichen Gedanken eines 17 jährigen Schülers, der sich noch nie etwas zu Schulden kommen hat lassen, vertieft.
Sicherlich dachte ich wie fast jeder andere, dass die Fragen die ich mir so stellte etwas besonderes wären. Doch seien wir mal ehrlich : Wirklich jeder wollte doch wissen, warum die Banane krumm ist oder ob das Huhn oder das Ei zuerst da war.
Oder warum Frauen einen BH tragen müssen, obwohl es Männer gibt die davon auch gebraucht machen sollten, wenn es doch nur nicht so "unkonventionell" sei verflixt.
Der Bus hielt an und ich bahnte mir einen Weg durch die Menschenmasse. Der Weg zur Schule war wie jeden Tag derselbe und immer noch in Gedanken versunken ließ ich mich von meinen Beinen dahin tragen. In der Aula der Schule angekommen, konnte ich mich nur schwer von meinen Kopfhörern trennen. Aber es musste sein, denn sonst hätte das Risiko bestanden, von einem Lehrer angesprochen worden zu sein. Ich lief die Treppen hoch, Richtung Klassenzimmer und verstaute währenddessen meine Kopfhörer. Wie immer grüßten nur einige Bekannte und gute Kumpels und ich grüßte zurück. Ich setzte mich an meinen Platz - natürlich überaus motiviert - und ziemlich darauf gespannt, ob jemand dieses Mal zu spät kommen würde. Niemand hatte es bisher gewagt den Dämon unserer Lehrerin aufs neue herauf zu beschwören.
Plötzlich rief sie meinen Namen und ich guckte verwundert in ihre Richtung. "Was?" reagierte ich überrascht. "Das heißt 'Wie bitte?'" korrigierte sie mich lächelnd mit ungewöhnlicher Sanftheit in ihrer Stimme. "Könntest du schnell Kreide holen gehen?". "Klar wenns nur das ist die weiße oder?" fragte ich sicherheitshalber noch einmal. Sie nickte zustimmend und ich marschierte los, teils vollkommen erleichtert teils verwundert, weshalb der Tonfall und der Gesichtsausdruck der Lehrerin entspannter waren als üblich. Ohne mir weiter Gedanken darüber zu machen, kehrte ich mit 3 Stangen weißer Kreide ins Klassenzimmer zurück und legte sie auf das Pult. Dann bedankte sie sich und ich verstand, dass irgendetwas verändert an dieser Frau war. Man konnte kaum ihre plötzliche Gelassenheit und ruhige wenn nicht sogar etwas betrübte Ausstrahlung ignorieren. Und doch war sie nur die Person, die gutes Geld dafür bekam uns das Fach Mathematik auf ihre Weise näher zu bringen. Nach einer kurzen Begrüßung der Klasse schrieb sie mit der Kreide eine einfache Gleichung an die Tafel : x + y = 2. Des weiteren erklärte sie uns, dass y = ± 1 sei. Ein Mitschüler meldete sich und gab die Lösung x = 1 bekannt. Unsere Lehrerin erklärte daraufhin, dass y mehrere Werte hat und x und y abhängig voneinander sind, je nachdem als was man y betrachtet. "Wenn y = 1 ist dann muss x = 1 sein, denn wenn x und y zwei ergeben soll muss x an y angepasst werden egal wie y auch lauten mag. Beide Variablen sind abhängig voneinander und sobald eine mal nicht mitspielt kann es zu keinem glücklichen Ergebnis kommen." vermittelte sie in einem etwas schnelleren Tonfall, als wollte sie uns über mehr als nur diese Gleichung belehren. Ein weiterer Mitschüler gab beide korrekten Antworten, welche letztendlich verlangt wurden."So nun gut das wars für heute Hausaufgaben gibt es ausnahmsweise mal keine. Wir sehen uns dann am Mittwoch wieder." sagte sie nach nicht einmal guten 15 Minuten Unterricht. Was auch immer passiert sein mag, dass unsere Lehrerin diesen Montag so locker war, keiner hatte etwas dagegen, früher aus dem Unterricht zu gehen.

Der restliche Tag verging schnell und ich kehrte mit dem Bus und meinen Kopfhörern heim. Ach ja die gute alte Haustür, die weltentrennde aufsperrbare Barriere zwischen der aufregenden noch nicht vollständig erkundeten Außenwelt und den äußerst Konflikt und mit negativen Energie versehenen vier Wänden, die ich mein Zuhause nennen durfte. Der Spruch "Home sweet home" war hierbei völlige Übertreibung. Ich hatte nicht viele Hobbys und saß wie die meisten am Computer und spielte Computerspiele so nach dem Motto : Bevor ich nur rumsitze und nichts tue investiere ich die freie Zeit in Computerspiele, bei denen taktisches denken, Fingerfertigkeit und Koordination verbessert werden können. Natürlich gab es noch die "Geschichte der Antike" oder die "Romantik in der Musikgeschichte" als Themen, die ich mir für den Unterricht hätte aneignen sollen. Aber seien wir mal ehrlich : Wann bitte brauch ich dieses Wissen jemals wieder und macht es Sinn etwas zu lernen was einen sowieso nicht interessiert?
Sigmund Freud hingegen wäre der Meinung gewesen, dass ich dem Über-Ich - also dem angeblich "vernunftbegabten" Teil meines Gehirnes - nachgeben sollte sowie das alle Menschen einem vorpredigen wollen. Jeder sei seines Glückes Schmied, doch was ist mit den ärmeren Gegenden? Kann wirklich jeder sein eigenes Glück finden, wenn ihm die Last der Industrieländer auf den Schultern liegt, welche die ärmeren aufgrund deren Überlebenswillen und Bedarf an Hilfe in noch so geringerer Menge in Kauf nehmen?
Sicher kann man auch mit einer Hütte genügend Wasser und Essen und einer Familie relativ gesehen glücklich sein. Aber solange sich die Menschheit soweit vermehrt, bis die Ressourcen wirklich knapp werden, muss es immer Gewinner und Verlierer geben. Dennoch liegt es an uns die Welt zu verändern, wir, die verkleideten Menschenaffen, deren Haarwuchs genetisch zurückgegangen und dessen Gangart mittlerweile auf zwei Beinen beruht, die gerne ihre Hände aufeinander kollidieren, um Begeisterung auszudrücken oder rumkreischen und weinen, wenn sie sich hilflos fühlen oder aber auch einfach nur am mitfiebern sind, seien es der Untergang der Titanic, der Gute, welcher dem Bösen im Film den Todesstoß versetzt, weil dieser die Familie des Guten auf dem Gewissen hat oder ein einfaches Champions League Finale.

Love Scars - Eine große Nummer mit KummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt