DER SADIST

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(„Schwarze Messen")


Er schlug auf ihn ein, er schlug, fünfundzwanzig Schläge waren vorgesehen, es war die große Rechnung für kleine Missetaten, das heißt, er nannte es „Missetaten", nicht kleine, es waren aber nur ganz kleine Vergehen, wenn man diese Kindervergehen Vergehen nennt, er hatte eine ganze Rechnungsweise für Vergehen, er hieß Rudolf Stephan, er lebte von 1912 bis 1990, er war römisch-katholischer Pfarrer.

Der Achtjährige hatte sich Papier in die Hose zum Schutz des Popos untergelegt, damit er den Stock, der da auf ihn eingeschlagen wurde, nicht so stark spüre; das hatte Rudolf Stephan natürlich sofort bemerkt und ihn mit höhnischem aufgefordert, das Papier sofort herauszunehmen. Ja, und beim Schlagen hatte er ein Lächeln auf den Lippen, der Sadist.

Nach dem Schlagen entdeckte das Kind, dass es blutige Striemen hatte; für den Sadisten war es nur feige, erlogen und es war für ihn sogar „verworfen", das heißt wie der Engelsturz hinunter in die Hölle-so sei das Kind in die Hölle gestürzt und darum durfte es gequält werden.

Das Leben mit Sadisten ist schrecklich, sie finden immer etwas, um zu strafen, und dieser Pfarrer Rudolf Stephan, zu dem die Mutter des Kindes, nachdem sie alles verloren hatte, ihren Ehemann, ihren anderen, noch kleinen Sohn und ihre kleine Tochter, und dann in Armut leben musste mit dem überlebenden Sohn, zu diesem sadistischen Pfarrer Rudolf Stephan, der ihr schöne Augen machte, war sie nach zwei Jahren Widerstand in größter Not geflohen und wurde seine Haushälterin, wie man das nannte und nennt, und darum hatte dieser Pseudostiefvater alle Möglichkeiten seinen Sadismus an dem Kind, dem schwächsten aller Opfer, in versteckten und geordneten Bahnen freien Weg zu geben.

Natürlich müsste es schon bekannt gewesen sein, allen, dass dieser Mann ein Sadist war, aber natürlich wurde das nie offen ausgesprochen und schon gar nicht angezeigt. Im Religionsunterricht misshandelte er immer wieder unaufmerksame oder den Unterricht seiner Ansicht nach störende Kinder, vor allem Buben. Er rief sie heraus zu sich, wo er gerade saß, meist in den ersten Sitzreihen, er verdreht ihnen die seitlichen kurzen Stirnhaar zu einem Geringel und zog sie mit Genuss und einem höhnischen Lächeln mit einem gut gelungenen Griff hinauf, so dass es besonders schmerzte. Sein Religionsunterricht war durchzogen von einer ganz abgestimmten Palette an Strafen: die Haare, die süßen, wie man sagte, verdrehen und ziehen, dann aber auch Schläge mit dem Rohr-Zeigestab auf die ausgestreckten Finger; dann wurden Kinder in den Pfarrhof bestellt, nicht so oft, aber doch regelmäßig, und unter den Schlägen eines Rohrstockes übers Knie gelegt, eigentlich über einen Sessel gelegt.

Den Rohrstock nannte er den „Tröster". Der Rohrstock sollte das Kind trösten durch die Schmerzen. Und er sagte auch: „Du bettelst ja nach Strafe" und lächelte dabei. Es war ihm ein Genuss zu strafen. Immer dieses Lächeln, das seine Freude am Strafen ihm auf die Lippen trieb.

Das größte Opfer des Sadisten aber war dieser Junge, der bei ihm lebte und über den er eine totalitäre Herrschaft aufübte, für den er der große Henker spielte. Henker-sein, das war es, was für ihn Kindererziehung bedeutete.

Fünf Schläge für nicht rechzeitiges Fertigessen, fünf Schläge für Unaufmerksamkeit im Religionsunterricht, fünf Schläge für Nicht-aufmerksames Zuhören im Alltag, fünf Schläge für Fehler beim Ministrantendienst, fünf Schläge für Müdigkeit am Morgen, fünf Schläge für falsch Angaben, ob absichtlich oder unabsichtlich, fünf Schläge für schlechte Noten in der Schule, usw., usw..Das waren die vielen Regeln der Strafen des Pfarrers Rudolf Stephan.

Aber es gab nicht nur körperliche Strafen, es gab Verhöhnung. Der Pfarrer verhöhnte das Kind, dieses Kind, das schon so viel Leid erlebt hat, wurde verhöhnt, verhöhnt auch für das Leid, das es erlebt hat.

Es waren sozusagen immer „Schwarze Messen". Sadismus ist ein Teufelsdienst, ein Dienst an dem Teufel, den der Täter in seinem Kopf hat und ihm die Schwarzen Messen zelebriert.

Und so ging es über Jahre, und es war noch so vieles.

Die Mutter war eine unfreiwillige Komplizin. Manchmal allerdings droht sie, mit dem Kind wegzugehen und unternahm auch 3 Versuche, die aber bald scheiterten. Sie fand nie die Kraft,

die Trennung zu realisieren. Dieser Sadist, dieser Pfarrer, dieser Teufel hatte alle Möglichkeiten, um sie an sich zu binden.

Es hätte wahrscheinlich Alternativen gegeben, wenn sie zum Weggehen den Mut gehabt hätte,

sie hatte ja eine abgeschlossene Ausbildung zur Buchhalterin und hatte früher in diesem Beruf in einer großen Firma auch gearbeitet. Sie sah die Alternativen wohl nicht; die Aussicht auf die Alternativen war in ihrem Geist verstellt, sie sah nichts und vielleicht ließ sie das Sehen in ihrem Geist auch nicht zu, wohin sie gehen könnte. Auch keiner der Verwandten konnte oder wollte helfen. Und so blieb es.

Das Kind kam ins Internat. Dort warteten eine andere Schwarze Messe auf die Kind, über die jetzt aber nicht gesprochen werden soll. Bei den Schulbrüdern des Heiligen De La Salle in Wien, Strebersdorf.

Dann kam er nur zu Weihnachten und zu Ostern nach Hause in den Pfarrhof.

Der Pfarrer war dann sogar netter zu ihm, vielleicht dass die Distanz über Monate den Sadisten etwas besänftigte. In den Großen Ferien gab es, wenn auch nicht so oft wie früher Schläge.

Das war das Schicksal des Kindes.

Schlimmer als die Schläge noch waren waren die Worte, bösen Worte. Weil das Kind aus Angst log, log, um nicht geschlagen zu werden, erfand der Pfarrer Rudolf Stephan einen Namen für das Kind; er nannte es Mentax, das lateinische Wort für „der Lügner". Er rief ihn nur Mentax; Mentax, Mentax, das Kind musste beginnen auf diesen Namen zu hören, das Kind, innerlich zerrissen, fühlend, dass dieses Mentax ihm die Seele kaputt machte. Es ging ja darum, dem Kind die Seele kaputt zu machen, das Kind total zu unterwerfen. Das nannte man Erziehung, d.h. das nannte der Pfarrer Erziehung, diese Erziehung zielte auf die Zerbrechen von Leib und Seele des Kindes, so sollte es ein hilflosen Werkzeug in der Hand des Pfarrers werden.

Rudolf Stephan trug eine Maske für Außenstehende und gab sich gescheit, offen und weltgewandt, immer Inneren aber glaubte er wohl an Dämonen und sah wie viele seines Standes den Teufel, der ausgetrieben werden musste. Die Sadisten sind ja oft die perfekten Träger von freundlichen Masken, wie die Kriminologie weiß. Die Einschüchterung für die Opfer ist so groß, dass auch das Opfer nichts nach außen dringen lässt, ja es schämt sich sogar darüber, dass ihm das passieren muss, und er ergreift sogar die Partei das Täters, dessen Tun er durch die eigenen Vergehen entschuldigt. Ganz tief im Inneren aber spürt das Opfer, dass da ihm Böses angetan wird, doch dieses Spüren dringt nur verschleiert zum Bewusstsein.

Da sagt einer, das sei ja in jener Zeit üblich gewesen, dass man Kinder misshandle, um sie zu bestrafen und zu erziehen. Ja, das gab es in diesen Zeiten, doch es geht um das Ausmaß und mit welcher Haltung das geschieht. Dieser Pfarrer Rudolf Stephan zog hinter sich eine Spur der Grobheiten und dem Kind gegenüber, das bei ihm wohnte, nützte er jede Gelegenheit, um es zu misshandeln. Das waren nicht momentane, aus Ärger oder Jähzorn gemachte Misshandlungen, nein, das war ein ganzes System von Bestrafungen, zu den körperlichen Misshandlungen kamen die seelischen, die häufigen Verhöhnungen, die böse Namensgebung, das war eine ganz mit Freude und Lust gemachte Inszenierung des Sadismus.

Und man irre sich nicht, das Kind wusste auch schon, obwohl es noch klein war, dass das alles nicht in Ordnung war, dass ihm etwas Böses angetan wurde. Und es war unterworfen durch das Übermaß der Gewalt. Zudem regiert die „Omerta", dass man nicht darüber sprechen darf.

Einmal aber sprach das Kind doch. Der Bischof Franz ðak war zu einer Art Visitation in den Pfarrhof gekommen und redete mit dem Pfarrer, mit der Mutter des Kindes, der Haushälterin, und auch mit dem Kind. Das Kind fühlte, dass es hier etwas vorzubringen hatte und sagte, dass es regelmäßig misshandelt werde. Der Bischof nahm es zur Kenntnis. Mehr allerdings geschah nicht, die Misshandlungen nahmen nicht ab. +-

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⏰ Last updated: Dec 20, 2019 ⏰

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