Marié

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Die Frau, deren Namen Melisa war, hatte sich schon seit Stunden zwischen den vielen Kisten ein Lager gebaut und schlief. Joshua hatte sich in ihre Umarmung gedrängt und schlief den Schlaf eines unschuldigen Kindes.

Der Anblick von Mutter und Sohn versetzte mir einen feinen Stich.

Ich würde es nie mehr können, würde nie mehr Schutz in einer Mütterlichen Umarmung finden.

Der Mond stand schon seit Stunden am Himmelszelt, als der Mann sich zu mir umdrehte.

„ Leg dich Schlafen, Mädchen. Du siehst jetzt schon aus wie eine Leiche und der Weg wird noch lang sein“ 

Ich nickte ergeben und rollte mich auf den harten Brettern des Karrens zusammen.

Doch an Schlaf konnte ich nicht einmal denken. 

Er schien ein Gut geworden zu sein, was mir nicht mehr vergönnt war.

Immer wenn ich meine Augen schloss sah ich meine Familie, meine geliebte Mutter, meinen Bruder.

Leise flossen Tränen über meine Wangen, versickerten in meinem Haar.

Wieso hatte man mir alles genommen?

Was hatten wir getan, um den Zorn des Königs auf uns zu lenken?

Ich wusste nicht wie lange ich noch da lag, bis mein erschöpfter Körper endlich seinen Tribut einforderte und ich in einen erschöpften, traumlosen Schlaf fiel.

Als ich meine Augen wieder aufschlug ging gerade die Sonne hinter den Bergen auf, so weit war ich noch nie von meiner Heimat entfernt gewesen.

Vielleicht hätte ich so etwas wie Schmerz empfunden, wenn mein Inneres nicht von einer eisigen Kälte heimgesucht worden wäre.

Es war ein Gefühl von unendlicher Leere, als hätte ich mit jeder geweinten Träne, einen weiteren Teil meiner Seele verloren.

Wo war das beschwingte Gefühl, als mich das Fernweh gepackt hatte? Wo war die freundschaftliche Zuneigung zu Melisa? Wo war ich selbst in dieser Leere?

Die Sonne streckte langsam ihre Strahlen nach den restlichen Schatten der Nacht aus, als sich Joshua vor mich hockte.

Der Karren hatte angehalten, Mann und Ochse schliefen.

„ Marié?“ 

Sie war tot, wollte ich schon widersprechen, als mir einfiel, dass ich nun sie war.

Ich hatte Gestern, als man mich nach meinem Namen fragte, nicht lange gezögert und ihren genannt.

Wahrscheinlich aus Angst davor schon alleine durch meinen Name erkannt zu werden.

Vielleicht war es Dumm gewesen, denn wer wusste schon wie mein wahrer Name lautete. Der Name eines dreckigen, armen Mädchens, was schon längst tot sein sollte.

Wenn man mich überhaupt suchen würde, dann mit einer Zeichnung oder der kalte Soldat selbst würde das Richterschwert über meinen Kopf halten.

„ Ja?“ Mein Mund verzerrte sich zu einem Lächeln, obwohl ich spürte dass es mir zu einer Fratze entglitt.

„ Hast du Hunger?“ Dem kleinen Burschen schien es nicht aufzufallen.

Langsam richtete ich mich auf fuhr ruppig mit meinen Fingern durch mein Haar.

„ Ich möchte euch nichts weg essen.“ Joshua sah mich mit großen Augen an. „ Mutter sagte, es würde sie freuen, wenn so ein mageres Ding wie du, etwas isst!“

Ich sah an mir herab. War ich so dürr geworden in den letzten Jahren der Armut?

Nie hatte ich mich damit befasst, wie ich aussah, es hatte viele andere, wichtigere Themen gegeben.

Melisa lächelte mich über die Schultern ihres Sohnes an und hob ihn vom Karren.

„ Du hast keine Nahrung bei dir und bis wir ein Dorf passieren dauert es noch. Bis dahin bist du verhungert.“ 

Sie hielt mir ein stück Brot und Käse hin, dankbar nahm ich es.

„ Ich danke euch!“ 

Die Frau sah mich freundlich lächelnd an.

„ Du wirst uns ein wenig helfen müssen, mit dem Ochsen und den Kisten, ja?“

Ich nickte schnell.

Auch wenn es nur ein Widerhall von einem Gefühl war, eine Verheißung auf etwas was mir verwehrt war, verspürte ich Zuneigung.

 Gucke immer nach hinten, meine Tochter, suhle dich nicht im Erfolg. Es wird dir das Genick brechen, wie deiner Meisterin!

Ich erstarrte, als ich in das Brot beißen wollte und sah mich hektisch um.

Nichts, nur ein Ochse und ein schlafender Mann…und eine rothaarige Frau die hinter einigen Bäumen versteckt im Gestrüpp stand.

 „Pass auf dich auf, Lyra…Schein und Sein, Maske und Gesicht…"

Schnell wendete ich mich wieder ab.

War mein Geist schon so zerstört worden, dass ich meine Wahnvorstellungen behalten würde?

Trotz alle dem sah ich mir mein Brot und den Käse genauer an. Beides war alt und trocken, aber hatte noch nicht Schimmel angesetzt.

Es roch wie es riechen sollte.

Vor was auch immer mich mein verwirrter Geist mich in Form der Frau warnen wollte, es war noch nicht eingetreten.

Herzhaft biss ich in das Essen. 

Aber vielleicht sollte ich wirklich vorsichtig sein… Wahrscheinlich wurde ich gesucht, je eher ich Tot war, desto besser.

Was auch immer meine Familie getan hatte, das wir alle sterben sollten.

Ich musste aufpassen, um nicht gefangen zu werden.

Seufzend blickte ich empor zum Horizont, die Sonne war nun auf dem Weg zu ihrem Zenit.

War ich wie die Sonne? War mein Zenit der Tod, oder das Überleben?

Brisingr-Brenne nicht im Feuer deiner VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt