Das Feuer

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                                                                            Kapitel II

Ich sah den Fluss Héra, wie er sich still und dunkel durch den schattigen Wald schlang, wie eine Ader durch das Fleisch.

Das bunte Lager lag inmitten einer kleinen Lichtung, geschützt von den hohen Tannen, geschützt vor dem Bösen, das überall lauerte.

Mein Herz wurde schwer, als ich das rege Treiben unter mir beobachtete, wie das Lachen zu meinem Geist empor schallte.

Tief im Inneren meiner selbst wusste ich, dass dies unter mir nicht der Realität entsprach, doch es tat so gut zu glauben, es sei doch so.

Ich beobachtete die Frauen wie sie tratschend Wäsche wuschen, die Kinder, die jauchzend über die Weide jagten, das Vieh, was erschreckt die Flucht antrat.

Es war ein solch schöner  Anblick, dass ich fast schon meine Hand ausstreckte um dem kleinen Jungen durch sein Haar zu streichen, der gerade stolpernd vor seinen Freunden stehen blieb und ihnen stolz etwas zeigte.

Doch je länger ich das Treiben beobachtete desto stärker veränderte es sich, der Wind wurde herber, das Wasser dunkler und gefährlicher, die Stimmen verzerrter.

Es war, als ob sich  ein schwarzer Schleier über die Landschaft legte.

Die Menschen aber schienen es nicht zu merken, während in meinem Inneren ein Sturm aufzog.

Mein Geist entfernte sich voller Angst von dem Lager, obwohl ich trotz meiner Furcht bleiben wollte.

Ich wollte bei ihnen bleiben, bei den Menschen,  denn sie waren ein Teil von mir, ich war ein Teil des Lagers!

Doch eiserne Bänder zogen mich weiter.

Je tiefer ich in den Wald schwebte, desto verschwommener wurden die bunten Farben des Lagers vor mir, bis sie gänzlich ausgelöscht waren.

Wie Tinte auf die Regen fiel.

„ Sie sind schwach, sie nützen uns nichts mehr, Töte sie Morgwen…Töte sie!“ , 

zischte eine Stimme, sie war so laut und durchdringend, dass ich fast in die Knie gegangen wäre, um mich schützend auf dem Waldboden einzurollen.

„Sie sind nicht mehr als eine Last für unser Reich…arme Gaukler, die stehlen und dem Volk schaden…Töte sie!“ Ich kannte diese kalte  Stimme und doch wusste ich nicht, wem sie gehörte.

Plötzlich wurde mein Geist in die Höhe gezogen, über die Baumkronen hinweg.

Ich schwebte und fiel.

Dieses Gefühl, es kam mir so bekannt vor, doch immer wenn ich nach der Erinnerung griff entglitt sie mir, bis sie endgültig in die Fänge des Sturms geriet, der alles in mir auffraß.

„ Tötet sie!“ Das Brüllen ließ meinen Körper erbeben, Raben erhoben sich krächzend aus den Baumreihen, umhüllten mich.

Bis sie plötzlich auseinander stoben, das Lager unter mir war nur noch ein Meer aus Schreien und verzehrenden Flammen.

Ich wollte schreien, wollte ihnen helfen, doch ich konnte nicht, ich war gefesselt.

Es vergingen nur wenige Herzschläge, bis das Flammenmeer unter mir still wurde.

Sie waren, all die Menschen, sie waren tot, vergangen in den Flammen.

Ein Riss zog sich tief durch meine Seele, durch mein schlagendes Herz.

Wieso? Die Frage glitt stumm über meine Lippen.

Wieso hatten sie sterben müssen?

Ein verschwommenes Bild erschien vor meinen Augen, es zeigte mir eine Frau.

Wallend ergoss sich Feuerhaar über ihre schmalen Schultern, umrahmte ihr weißes, vom Wahnsinn zerfressenes Gesicht.

Ihre leeren Augen fixierten mich, und als sie anfing zu Sprechen lief dunkles Blut über ihre Lippen.

„ Weil du es wolltest, Lyra, weil wir es wollten!“

Der Riss wurde größer, riss meine Seele, mein Herz entzwei.

Ich fing an zu Fallen, wie ein Vogel, dem man mitten im Flug die Flügel gebrochen hatte.

Es war meine Stimme gewesen, die durch den Wald gehallt war.

Als ich meine Augen aufschlug, verschwamm meine Sicht sofort wieder.

Tränen fingen an über meine Wangen zu laufen.

Warum hatte ich dem Soldaten gezeigt wo sich das Lager befand? Warum hatte ich nicht in eine falsche Richtung gezeigt?

Weil du leben wolltest, wisperte eine kalte, zischende Stimme.

Die Stimme der rothaarigen Frau.

Traumbilder versuchten sich in meiner verletzten Seele einzunisten, mit einem unterdrückten Stöhnen schob ich sie beiseite.

Es war nur ein Traum, nur ein Traum!

„ Du bist wach, Kind!“ Mein Blick klärte sich und mein Kopf drehte sich von alleine zu der Gestalt die zu mir sprach.

Langsam nahm ich mein Umfeld wahr.

Mein Körper lag auf dem Bauch auf einem weichen Lager, meine rechte Schulter war verbunden, der abgebrochene Pfeil lag noch neben meinem Krankenlager.

Die Gestalt, welche mich mit rauer Stimme angesprochen hatte, war eine alte Frau, die sich auf einen Stock stützte.

Bei jedem Schritt den sie tat, klirrten die Ketten leise, die an ihren geflickten Röcken hingen.

Das wirre graue  Haar fiel lang über ihren gebückten Rücken.

Sie erinnerte mich an Marié, die den Bauern auf der Straße für wenig Geld die glorreiche Zukunft aus den Händen las.

„ Hast dich ja lange ausgeruht!“ Erstaunlich flink und geschmeidig hockte sie sich neben mein Lager.

„ Wer…seid…ihr?“ Krächzte ich mit ausgetrockneter Kehle.

„ Das, mein Kind, musst du selbst herausfinden, aber…“ Ihre knorrige Hand strich mir eine dunkle Locke aus der Stirn „…Ich weiß wer du bist!“

Brisingr-Brenne nicht im Feuer deiner VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt