2. Hausschreck und Stubentiger

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Albert Scheck war soetwas wie ein gutmütiger Herbergsvater gewesen, kein griesgrämiger Hausmeister, der einen drei Mal am Tag auf den Treppendienst hinwies oder Kindern das Schreien, Kreischen, Lachen und Herumspringen im Hausflur verbot.

Nach seinem tödlichen Treppensturz im letzten Jahr hatte seine Frau Erika den Job übernommen. Vieles hatte sich seitdem verändert. Nicht unbedingt zum Guten. Erika Scheck stand für Ordnung, Kontrolle und ausgeprägte Unfreundlichkeit.

Als ich auf den Hinterhof rollte, kam sie mir in ihrem geblümten Arbeitskittel und Filzpantoffeln an den Füßen entgegen gewackelt. Ich hatte keine Chance unerkannt an ihr vorbei zu kommen.

„Herr Scholz!"

Mit in die Hüften gestemmten Armen baute sie sich vor mir auf.

„Ihre Katze hat sie vermisst! Das arme Tier."

Verdammt! Den Stubentiger hatte ich ganz vergessen.

„Haben sie denn gar kein Herz, sie Streuner?"

Frau Scheck lächelte nicht. Die kleinen schwarzen Härchen auf ihrer Oberlippe zitterten. Sie war heute schon die zweite, die mir die Leviten las. Ich zog einen Zehner aus meiner Hosentasche und hielt ihn ihr hin.

„Ich weiß, dass sie sie gefüttert haben. Danke dafür!"

„Die Haare hat sie mir vom Kopf gefressen! Was ist das bloß für ein Vieh! Weißes Fell, und diese schwarzen Augen. Unheimlich Herr Scholz! Sehr unheimlich!"

Ohne ein Blinzeln riss sie mir den Schein aus der Hand. Bevor sie ihn in ihrem Kittel verschwinden ließ wischte sie ihn an dem Blümchenstoff sauber. Mir fiel ein, dass ich Schecks' schwarzen Kater schon längere Zeit nicht gesehen hatte.

Die Alte trat unangenehm nah an mich heran, so dass ich ihre Nikotinhaare riechen konnte.

„Wo haben sie eigentlich gesteckt?"

Ich überlegte.

„Zelturlaub."

Klar. Das war nicht die Wahrheit. Aber auch nicht wirklich gelogen. Doch was ging es die Scheck schon an wo ich mich herumtrieb?
Sie musterte mich neugierig, von unten bis oben.

Wenn sie hibbelig war oder sich ärgerte, zog sie gern ihre knittrige
Zigarettenpackung aus der Tasche und rauchte. Ich kannte mich nicht gut mit Zigaretten aus, aber richtiges Rauchen schien mir das nicht zu sein. Vielmehr paffte sie die Zigaretten. Die Folge: Binnen kürzester Zeit war sie von einer dichten Qualmwolke eingehüllt, aus der nur noch Beine und Füße herausschauten.

Ich ließ Frau Scheck stehen und schob mein Fahrrad hinüber zum Holzschuppen. Sie rief mir noch irgendetwas durch den Rauch hinterher, doch ich hörte nicht mehr zu.

Das klägliche Miauen konnte ich schon von der Treppe aus hören. Als ich die Wohnungstür aufschob schoss mir die Katze durch die Beine und blieb mit vorwurfsvollem Blick auf der obersten Treppenstufe stehen. Sie drehte den Kopf auf die Seite. Was für eine merkwürdige Bewegung. So was hatte ich bei einer Katze noch nie gesehen. Es hätte mich nicht gewundert wenn sie jetzt zu sprechen angefangen hätte.

Ich beugte mich zu ihr hinunter.

„Entschuldige bitte. Ich wollte nicht so lange wegbleiben. Kannst du mir noch einmal verzeihen? Ich habe ein paar interessante Bilder mitgebracht, die wir uns ansehen können. Na, was sagst du?"

Die Katze lief ein paar Stufen die Treppe hinunter, blieb dann stehen und kam schließlich wieder zu mir herauf. Ich strich ihr über das Rückenfell. Sie schien mir verziehen zu haben.

In der Wohnung roch es nach Staub und abgestandener Luft. Im Spülbecken stapelte sich das Geschirr, den Tisch hatte ich vergessen abzudecken. Ein ranziges Stück Butter stand zwischen angeknabberter Wurst und gewellten Käsescheiben.

Frau Scheck hatte die Katze offenbar in der Wohnung eingeschlossen und war nur zum Füttern hergekommen. Das Katzenklo war hemmungslos verdreckt.

Ich hoffte, dass die Alte sich nicht allzu genau bei mir umgesehen hatte. Hier gab es einfach zu viele Dinge, die sich wunderbar für Klatsch und Tratsch eigneten.

Ich eilte durch die Wohnung und riss die Fenster auf. Dann ging ich ins Bad und ließ die Badewanne ein. Während das Wasser aus dem Hahn gurgelte und der Schaum sich höher und höher türmte, goss ich mir eine Tasse Kaffee auf. Dabei dachte ich an Mara. Dann an den Blendax-Riesen mit dem Kaffeefleck. Was wohl mit meinem Milchkaffee passiert war? Ich stellte mir vor wie Mara ihn in die Küche trug, heimlich daran nippte und an mich dachte.

Mit dem Kaffeebecher in der Hand stieg ich in die Wanne. Die Katze rollte sich auf dem hellblauen Läufer zusammen.

Die Katze. Das war ihr Name seit sie im letzten Sommer eines Tages vor meinem Küchenfenster auftauchte und jämmerlich jaulend Einlass begehrte. Aber war es überhaupt eine Katze? Nicht vielleicht doch ein Kater?

Ich hatte dem Tierchen noch keinen Namen gegeben! Was für eine schändliche Vernachlässigung.

Unheimlich fand Frau Scheck das Tier. Na gut, die schwarz umrandeten Augen konnte man aus Entfernung tatsächlich für die Augenhöhlen eines Totenschädels halten. Doch wenn man sich dem hübsch geformten Kopf näherte, sah man die gütigen Augen und hatte den Tod sofort vergessen.

Eine halbe Flasche Duschgel benötigte ich für die Reinigung meines verwilderten Körpers. Beim Ablaufen des Wassers blieb ein dunkler Schmutzrand in der Wanne kleben.

Zwischen dem zweiten und dritten Kaffee legte ich die Filme in die Entwicklerdose. Danach beschmierte ich mir ein paar Scheiben Knäckebrot mit Butter und belegte sie mit Käseresten, die ich im Kühlschrank fand.

Nachdem ich den Abwasch gemacht hatte, öffnete ich mir eine Flasche Bier und ging in mein besenkammergroßes Fotostudio. Ich nahm den Wecker mit und stellte ihn neben die Entwicklerschalen, denn hier drinnen vergaß ich gern die Zeit.

Die Zigarettenpackung entdeckte ich, als ich nach den Plastikflaschen mit der Entwicklerflüssigkeit greifen wollte.

HB.

Ich rauchte nicht. Und selbst wenn, dann niemals diese Oma-Marke! Meine Großmutter allerdings hatte HB geliebt. Bis zum letzten Atemzug. Meine Erinnerungen an sie waren nicht die besten.

Es gab nur einen Menschen in meinem Dunstkreis, der die Schachtel hier vergessen haben konnte. Frau Scheck.

Ich betrachtete die Kartons, in denen meine entwickelten Bilder lagerten. Sie standen nicht wie gewohnt übereinander, sondern waren leicht gegeneinander verschoben. Frau Scheck musste einige von ihnen herausgezogen und geöffnet haben.

Dieses Biest!

In meinen Schläfen hämmerte der Puls. Sollte ich sofort hinunter flitzen und sie zur Rede stellen? Ich konnte die Katze mitnehmen. Sie würde Frau Scheck die Augen auskratzen.

Oder sollte ich abwarten und sie beim nächsten Zusammentreffen ganz beiläufig auf den Vorfall ansprechen? Schließlich war ich nicht ganz unschuldig. Bereitwillig war ich auf den Vorschlag ihres Mannes eingegangen für den Notfall einen Zweitschlüssel bei sich zu deponieren. Dummerweise hatte ich nach seinem Ableben immer wieder vergessen, ihn zurück zu fordern.

Ich atmete ein. Ich atmete aus. Müde wie ich war entschied ich mich dafür, die Wohnung am heutigen Abend nicht mehr zu verlassen und mich lieber um die Fotos zu kümmern. Frau Scheck lief mir schließlich nicht davon.

Bevor ich in die Dunkelkammer ging sah ich noch einmal hinunter auf den Hof. Die Alte lief noch immer dort herum. Mit gesenktem Kopf schlurfte sie von einer Ecke zur anderen. Suchte sie ihren Kater? Ab und an blieb sie stehen, steckte ihre Hände in die Taschen der Kittelschürze und wühlte darin herum.

Die arme Frau Scheck. Sie vermisste eine ihrer Zigarettenpackungen. Wahrscheinlich war ihr gerade siedenheiß eingefallen, wo sie sie hatte liegen lassen. Der Gedanke an ihr Erschrecken ließ mir einen wohligen Schauer über den gewaschenen Rücken laufen.

Lupo Scholz dreht auf (Fantasy/Humor)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt