1

18 2 0
                                    

"Diese verdammten Chemie-Klausuren bringen mich noch ins Grab!", stöhnte Caitlin , während sie ihr Tablett mit dem heutigen Mittagessen mehr oder weniger umsichtig auf dem Tisch deponierte.  Beim Aufprall schwappte ein bisschen Orangensaft über den Glasrand und durchnässte die danebenliegende Serviette, die somit unbrauchbar wurde.   

"Mist. Hast du noch eine?"; fragte sie daraufhin mich und sah mich hoffnungsvoll an. Doch auch ich hatte meine einzige Serviette gerade eben benutzt und schüttelte demzufolge nur entschuldigend den Kopf. Caitlin warf daraufhin entnervt den Kopf in den Nacken, schob sich mit lauten Gequietsche vom Tisch weg und stampfte durch die Mensa.

"Na, wirklich gut drauf scheint sie heute nicht zu sein", bemerkte jemand direkt neben mir mit spöttischem Unterton. Schnell drehte ich mich zu der Stimme und erkannte meinen besten Freund Teddy, der mich schmunzelnd ansah und ebenfalls Platz am Tisch nahm.

"Eher weniger", sagte ich und musste auch grinsen. "Aber sie hat auch gerade Chemie geschrieben und du weißt ja, wie sich ihr Weltbild dann verändern kann." Meine engste Freundin hatte sich schon öfter die Laune durch besagte Chemie-Klausuren vermiesen lassen. Nicht immer meinte sie dann alles so, wie sie es sagte. Auch ihre Wahrnehmung konnte sie dann gezielt auf die negativen Ereignisse des Tages minimieren, was den Umgang mit ihr erheblich erschwerte. Zu aller Menschen Glück hatte sich das Problem meist schon am nächsten Tag erledigt.

 Teddy führte gerade seine Gabel zum Mund, als Caitlin sich wieder geräuschvoll zu meiner Rechten niederließ. 

"Das ist einfach unglaublich!", begann sie in erhöhter Lautstärke. "Säuren waren noch nicht einmal im Unterricht erwähnt worden, geschweige denn als Klausurschwerpunkt genannt! Wem kann man denn zumuten, sich an ein Thema zu erinnern, welches über 2 Jahre her ist und nicht wiederholt wurde? Nicht einmal Tobias war in der Lage alle Aufgaben zu diesem Punkt zu bearbeiten!"

"Nur langsam, es wird schon nicht so schlimm sein", versuchte Teddy sie zu beruhigen, allerdings mit wenig Erfolg. 

"Natürlich wird es so schlimm sein! Ich kann doch nicht Punkte für etwas bekommen, was ich nicht geschrieben habe!", konterte Caitlin sofort und stocherte wütend in ihren Erbsen herum. Wie gesagt, heute beschränkte sich ihr Blickfeld auf die negativen Dinge, die der Tag mit sich brachte. 

"Cathy, du musst nur noch Geschichte überleben, dann kannst du hier raus.", startete nun ich den Versuch, meine Freundin aufzuheitern. Diese nickte nur seufzend und widmete sich dann wieder ihrer Mahlzeit. Ich tat es ihr gleich. 

Ja, das waren wir drei. Caitlin Grief, die aufbrausende, leidenschaftliche, mit dem Herzen lebende Kämpferin, die schon im Alter von drei Jahren ihre Mutter verloren hatte und von da an einzig und allein von ihrem Vater groß gezogen worden war. Dieser hatte vor fünf Jahren neu geheiratet und ist dann mit Caitlin zusammen zu seiner neuen Ehefrau hierher nach London gezogen. Damals sind Cathy und ich schnell gute Freunde geworden. Ich war das einsame, stille Mäuschen, zwar hervorragend was die schulischen Leistungen betraf, aber meine sozialen Kompetenzen gingen gleich null. Cathy war tatsächlich die erste, die näheren Kontakt zu mir gesucht hat und nicht gleich den Streberstempel hinter mich gesetzt hat. Dass sich eine so enge Freundschaft daraus entwickeln würde, konnte keiner ahnen, doch mittlerweile waren wir unzertrennlich.

Theodore "Teddy" West stieß erst vergangenes Jahr zu uns. Er war der typische "Neue" in unserer Klasse. Zu Beginn der zehnten Klasse wurde er uns als neues Klassenmitglied vorgestellt. Wahrscheinlich hätte ich ihn niemals näher kennengelernt, wenn nicht Caitlin ihn sofort angesprochen und sozusagen unter ihre Fittiche genommen hätte. Offen und kontaktfreudig wie sie war, konnte sie es nicht lassen und ernannte ihn wenig später als ein weiteres Mitglied unsere Truppe. Sehr begeistert war ich davon erst einmal nicht, immerhin brauchte ich Jahre, bis ich jemandem vertraute. Ausgenommen Cathy. Doch nach einer wirklich kurzen Einlaufzeit begann auch ich Teddy zu mögen und wir drei wuchsen zusammen. Die beiden waren meine engsten Freunde, wenn auch meine einzigen. und ich konnte mir ein Leben ohne sie einfach nicht mehr vorstellen.

Jetzt waren wir schon in der elften Klasse angelangt und es ging dem Ende zu. Was wir nach unserem Schulabschluss machen würden, war insofern klar, dass wir alle auf ein College gehen wollten. Des Weiteren planten wir, jedem High School-Schüler-Wunsch entsprechend, in eine gemeinsame WG zu ziehen. Ob sich das dann auch so bewahrheiten würde, stand noch in den Sternen.

Das Klingeln, welches das Enden der pause einläutete, riss mich letztendlich aus meinen Gedanken.

"Na dann auf ins Verderben", murmelte Cathy. Teddy und ich verdrehten bloß die Augen, brachten dann aber kommentarlos unsere Tablette weg und allesamt machten wir uns auf den weg zu unseren Kursen.


Selbstverständlich überlebten wir alle das besagte "Verderben" und trafen uns vor dem Hauptausgang der Schule wieder. Teddy schulterte gerade noch seine Schultasche, während Cathy ihre Jacke zurecht zupfte, dann ging es hinaus.

"Verflucht nochmal, kann dieser Tag noch schlimmer werden?", wetterte Cathy sofort los, als sie den ersten Blick nach draußen getan hatte. Allerdings konnte ich ihren Ärger dieses Mal verstehen. Der eben noch nur graue, trübe November-Himmel hatte sich binnen weniger Minuten in ein tiefes Dunkelgrau verwandelt und es schüttete wie aus Eimern. Der Boden war über und über mit Pfützen besetzt, die ein halbwegs trockenes Nach-Hause-Kommen schier unmöglich machten. Der starke Wind, der einem die Regentropfen um die Ohren peitschte, machte das Ganze auch nicht besser.

Schleunigst zog Cathy die Tür wieder zu, lehnte sich an die angrenzende Wand und schloss entnervt die Augen.

"Wie sollen wir jetzt nach Hause kommen?", fragte sie verdächtig ruhig.

"Ich frag mal meinen Dad, ob er dich mitnehmen kann.", schlug ich vor, "Teddy, du..."

"Ich krieg das schon so hin, alles gut. Muss sowieso noch in der Stadt bleiben.", meinte er und winkte ab.

"Okay.." Ich fischte mein Handy aus der Jackentasche um meinen Dad anzurufen, da entdeckte ich eine Nachricht von ihm.

"Hey Rhiannon, ich kann dich leider nicht abholen. Nimmst du bitte den Bus?" 

Das konnte doch nicht wahr sein. Genau heute, als es wirklich dringend war, musste etwas dazwischen kommen? Cathy hatte Recht: Dieser Tag war bis auf das letzte Detail verflucht.

Man musste mir die schlechte Nachricht wohl angesehen haben können, denn Cathy fragte gleich, nachdem sie in mein Gesicht gesehen hatte, ob es nicht ging.

"Tut mir leid, aber er kann uns nicht abholen. Ich muss auch den Bus nehmen... ", sagte ich entschuldigend und ließ das Handy wieder in die Tasche fallen.

"Okay, kein Problem. ich warte einfach noch ein bisschen mit Teddy, ja?" Sie blickte ihn erwartungsvoll an. Dieser nickte lächelnd. 

"Vielleicht klärt es ja noch ein bisschen auf...", meinte ich hoffnungsvoll, um die beiden aufzumuntern. 

"Das passt schon. Beeil du dich lieber, damit du noch deinen Bus schaffst!"; erinnerte mich Teddy und öffnete die Tür schon einen Spalt breit. Sofort blies mir eisiger, nasser Wind entgegen, und reflexartig zog ich meine Jacke bis zum Hals zu.

"Na dann. Bis morgen!", verabschiedete ich mich und lief los.

How about Jacob McDunar?Where stories live. Discover now