Prolog

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Ein halbes Jahr danach, 11. Januar

Ich spüre, wie mir der kalte Wind meine Haare ins Gesicht schleudert. Ich müsste mir die Haare schon länger her schneiden, komme aber schon seit Längerem nicht dazu. Genauso wie für alle anderen normalen Beschäftigungen: Schule, Freunde, Familie,...Ich war mit meinem Herzen schon lange nicht mehr bei den „normalen" Dingen, es musste für die Anderen jedoch so aussehen. Wie sehr ich doch mein altes Leben zurück haben will, dass ich noch vor einem halben Jahr geführt habe. Ich habe es so gar nicht geschätzt, obwohl es im Vergleich zu meinem jetzigen Leben unvorstellbar schön war. Ich schüttele den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben. Ich darf mich nicht ablenken. Ich muss alle Gedanken, die ganze Konzentration nur dem jetzt Wichtigen und Einzigen, was zählt, opfern. Ich habe schon zu viel getan, mich zu sehr eingemischt, um jetzt aufzuhören. Ich weiß schon zu viel, um zu vergessen.

Ich atme tief ein und wieder aus, wie es meine Mutter mir beigebracht hat, wenn ich nicht wusste wie ich weiter machen soll oder wenn ich aufgeregt war. Ein Schmerz durchstößt mein Herz bei dem Gedanken an meine Mama. Doch ich verdränge auch diesen Gedanken, dieses Gefühl.

Es riecht nach Zimt und Frische. Nach Weihnachten, obwohl es schon eine Weile her ist. Ein Bild erscheint vor meinen Augen: wie ich, mein Bruder und meine Schwester vor dem Tannenbaum sitzen und lachend die Geschenke auspacken. Wie Mum und Dad auf der roten Ledercouch sitzen und uns zuschauen, Kaffee in den Händen haltend. Ein Feuer in dem Kamin und der Geruch an Zimt und Wärme in der Luft. Wie sicher und geborgen ich mich da gefühlt habe...anders als jetzt. Damals hatte ich so vielen vertraut und nicht an das Böse in dieser Welt gedacht, ich hatte so wenige Sorgen. Wie naiv ich doch war...heute zucke ich vor jedem unerwarteten Geräusch zurück. Heute bin ich vorsichtig mit jedem Menschen, vertraue ihm nicht, egal wie lang ich ihn kenne. Ich kann mit niemanden über dieses riesige Problem reden, ich kann mit niemanden meine Sorgen, meine Angst teilen. Niemand kann mir diese Unsicherheit nehmen. Stattdessen bin ich so alleine. Als ob ich einsam in der Wüste stehe, obwohl 5 Meter von mir entfernt eine Karawane durch den Sand läuft. Das macht die Sache noch unerträglicher als sie sowieso schon ist. Es ist so schwer so zu tun, als ob alles normal ist, meine Eltern anzulächeln, ihnen einen Kuss auf die Wangen geben und im selben Moment an dieses Monster zu denken. Doch ich will niemanden in Gefahr bringen, in der ich gerade schwebe. Ich darf niemandem vertrauen, vielleicht steckt er ja mit drin...

Ich schüttele wieder den Kopf. Ich habe mich schon wieder abgelenkt! Konzentrier dich, konzentrier dich, konzentrier di- ...knack...Ich halte den Atem an. Was war das? Mein Herz fängt an schneller zu schlagen. Doch bevor ich panisch werde, ermahne ich mich die Panik, die sich langsam ich mir breit macht, zu verdrängen. Einatmen, Ausatmen, Einatmen, Ausatmen. Beruhig dich, verdammt noch mal. Jetzt wirst du schon paranoid.

Knack.

Nein. Ich bilde mir nichts ein. Was ist das? Angst breitet sich in mir aus. Mein Herz schlägt noch schneller, immer schneller und schneller. Es ist ein Gefühl, als ob jemand mit einem Hammer gegen mein Inneres klopft. Ich halte den Atem an und konzentriere mich auf die Geräusche. Einen Moment ist alles still und friedlich...doch dann höre ich ein Stampfen. Es ist so leise und gedämpft, sodass ich es wahrscheinlich unter normalen Umständen gar nicht bemerkt hätte. Aber es ist nichts normal und jetzt bin ich mir ganz sicher: jemand schleicht sich an mich ran. Für einen kurzen Moment überfällt mich die Panik.

Mein Atem geht stockweise.

Meine Hände fangen an zu schwitzen und zu zittern.

Doch ich schiebe alle Gefühle beiseite. Es gelingt mir nicht gleich, aber dann sehe ich wieder alles von damals vor Augen. Ich darf nicht zulassen, dass er wieder damit durchkommt. Er muss dafür büßen! Und dabei wird mir meine Angst und Panik nur im Weg sein. Ich brauche jetzt einen klaren Kopf. Ich muss die Fassung bewahren.

and suddenly it was overWo Geschichten leben. Entdecke jetzt