♤NATH♤
Mit einem schmerzerfüllten Keuchen stolperte ich in die dunkle Gasse und fiel auf die Knie, wobei ich meinen Seesack fallen ließ und Nero, welcher mit seinem Gleichgewicht zu kämpfen hatte.
"Verdammte Scheiße!", knurrte Jack, beugte sich vornüber und übergab sich hinter ein paar Mülltonnen.
Ich schaffte es zwar meinen Mageninhalt bei mir zu behalten, aber auch ich fühlte mich beschissen.
Ein Höllentor zu öffnen war normalerweise kein Problem, wenn man durchging, fühlte es sich an, als würde man einen Backofen öffnen, aber diese Hitze machte mir ja nichts aus.
Aber diesmal hatte es sich angefühlt, als wäre ich durch einen, mitNapalm und Rasierklingen gefüllten Schlauch gekrochen.
"Wo sind wir, Kleiner?", fragte Nero, der sich bereits halbwegsgefangen hatte und sich nun fragend umblickte.
"Ich dachte wir wollten nach London?"
Mühsam rappelte ich mich auf, zog mein Smartphone aus der Hosentasche und schaltete es ein. Es war zu bewölkt um den Stand der Sonne zu sehen, aber es musste ungefähr Mittag sein. Jack war inzwischen fertig, wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und rückte Lucinda zurecht, seineAxt, die vor einer gefühlten Ewigkeiten einem der besten Jäger von SOL gehört hatte.
Ich warf einen verwirrten Blick auf das Display meines Handys, sah michnochmal um und aktualisierte das GPS.
Nein, ein Fehler war ausgeschlossen.
"San Rafael.", murmelte ich.
"Ein paar Kilometer nördlich von San Francisco."
Das war über achttausend Kilometer von London entfernt, wie konnte das passieren? In der Vergangeheit war es hin und wieder vorgekommen, dass ich mein Ziel beim Schattenreisen um ein paar hundert Kilometer verfehlt hatte, aber die Höllentore ließen sich eigentlich nur noch sehr gezielt öffnen und es erfordert viel Konzentration.
"Nath", sagte Jack. "Du siehst echt scheiße aus. Alles in Ordnung?"
Ich schüttelte kurz den Kopf und sammelte mein Gedanken, dann antwortete ich: "Klar. Es war nur ziemlich anstrengend."
Kurzerhand öffnete ich den Browser an meinem Handy, tippte etwas ein und sagte: "Sorry Leute, Fish and Chips können wir wohl vergessen, aber hier in der Nähe ist ein Pizza-Laden. Ich könnte jetzt definitiv etwas zu essen vertragen."
Nero nickte aufgeregt und Jack grinste, ehe er die Augen für einen Moment schloss und einen Illusions-Zauber wirkte. Wenige Sekunden später stand vor uns ein Surfer-Typ mit zerwuschelter Frisur, einer Pyjamahose mit Entchen darauf und einem hellblauen Hemd, dass sich schrecklich mit seiner Haut biss, die zwar einen weniger intensiven Rotton hatte, aber dennoch nach einem weltrekordverdächtigen Sonnenbrand aussah. Seine Axt sah nun aus wie eine schlichte Akustik-Gitarre, die an einem Stoffgurt über seiner Schulter hing.
"Also los.", grinste der Dämon. "Ich könnte ein ganzes Pferd verdrücken."
Die Hälfte meiner Pizza hatte ich bereits hinuntergeschlungen, ehe ich einen großen Schluck Bier trank und den Karton neben mich auf die Parkbank stellte.
"Das ist verdammt merkwürdig.", sagte ich mehr zu mir selbst, und betrachtete meinen Unterarm, wo sich, unter dem Stoff des Mantels und meiner Haut, der skelettene Schlüssel befand. Im vergangenen Jahr hatte ich mich an das Ding gewöhnt, trotz der Angst vor Nebenwirkungen durch die uralte Magie, doch inzwischen fühlte er sich an wie einTeil von mir. Innerhalb der Hölle hatte ich problemlos reisen können, deshalb war es verwunderlich, dass ich London so weit verfehlt hatte.
"Du solltest nicht so viel grübeln.", unterbrach Jack meineGedanken, klopfte mir auf die Schulter und lachte.
"Du bist ein freier Mann. Ein ganzes, verficktes Jahr in der Hölle, das ist länger als jemals ein Sterblicher dort überlebt hat. Du hast genug Geld um ein neues Leben anzufangen, du kannst tun was immer du willst. Darüber hatten wir doch schon so oft geredet."
Ich konnte ein schwaches Lächeln nicht unterdrücken und erwiderte:"Medizin. Ich wollte Medizin studieren. Leben retten, statt eszu nehmen."
Mit einem leisen Schmatzen verschlang Nero den letzten Bissen seinerThunfisch-Pizza und begann sich seine Pfoten zu putzen.
"Du als Student...", meinte der Kater lachend. "Wir beide, eine kleine Wohnung und jede Menge Alkohol. Das wird eine tolle Zeit."
Ich schmunzelte, trank einen Schluck Bier und tastete nach meinen Zigaretten. Mit einem schnappenden Geräusch klappte ich das Zippo auf, zündete die Kippe an und inhalierte den heißen Rauch, während ich die Sonnenstrahlen der Novembersonne auf meiner Haut genoss.
Schließlich hatte ich aufgeraucht und Jack hatte seine Pizza gegessen und die Reste von meiner gleich mit.
"Es ist an der Zeit, mein Freund.", sagte ich, schnippte meinen Zigarettenstummel in einen Gully und erhob mich.
Der Dämon stand auf und folgte mir in eine abgelegene Gasse, dicht gefolgt von Nero.
"Du wirst mir fehlen, Fellknäuel.", sagte Jack und kraulte den Kater hinterm Ohr.
"Fick Dich, Jack.", erwidere Nero in einem fast liebevollen Ton. "Du wirst mir auch fehlen."
Jack wandte sich zu mir und roter Rauch wirbelte um ihn, ließ die Illusion verschwinden und aus ihm wieder den muskulösen Dämon mit verschmitzen Zügen und den zwei gebogenen Hörnern werden.
Ich packte seinen Unterarm und Jack zog mich in eine bärenartige Umarmung, die einem gewöhnlichen Menschen vermutlich mehrere Rippen gebrochen hätte.
"Machs gut, Kleiner.", flüsterte Jack mit heiserer Stimme.
"Nathaniel Black, Schlächter von Leviathan und Träger der Goldenen Flamme. Ichwerde unsere Pokerabende nie vergessen. Verdammt, von unsererSauftour mit Luzifers Weinvorräten und dem Dutzend Succubi wird man noch jahrzehntelang sprechen. Du wirst mir fehlen..."
Ich lachte leise, aber mir saß ein Kloß im Hals.
"Du wirst mir auch fehlen, mein Freund."
Der Dämon ließ meinen Arm los und ich schloss die Augen, wobei ich meine Hand auf die dreckige, vollgesprayte Wand richtete.
Ich konzentrierte mich, tastete mit meinem Geist nach dem beinernen Schlüssel und versuchte die uralte Magie zu wecken. Doch vergeblich.
Mehrere Minuten lang stand ich da, hochkonzentriert, doch nichts geschah.
Dann, urplötzlich, stieß ich auf eine undurchdringliche Barriere, eine massive Wand aus Magie, mächtiger als alles, was ich je gespürt hatte.
"Fuck." ,stieß ich aus und öffnete meine Augen.
Meine Gedanken rasten, meine Hände hatte ich zu Fäusten geballt und ich drehte mich langsam um zu Nero und Jack, die mich fragend anstarrten.
"Was ist los?", fragte der Kater mit dem Katzenäquivalent einergerunzelten Stirn.
"Die Hölle...", sagte ich in einem düsteren Ton.
"Jemand hat die Grenzen dichtgemacht. Und zwar endgültig. Mir ist esvermutlich nur dank dem Schlüssel gelungen rauszukommen, aber der Rückweg ist verschlossen."
"Und was heißt das jetzt.", fragte Jack und zog den Axtgurt fester.
"Du sitzt hier fest.", antwortete ich und sah dem Kater und dem Dämon in die Augen.
"So wie alle anderen Götter und Dämonen. Und wenn es tatsächlich so schlimm ist wie befürchtet, sind selbst die Seelen hier gefangen.Das bedeutet, dass man die Dämonen nicht mehr in die Hölle schicken kann."
Nero knurrte leise.
"Nahezu unsterbliche Dämonen und Götter. Das ist selbst für unsere Verhältnisse ziemlich übel. Was werden wir jetzt tun?"
Ich warf mir meinen Seesack über die Schulter, trat an den beiden vorbei und überprüfte den Sitz meiner Pistolen, ehe ich mir eine Kippe anzündete.
"Wir besuchen ein paar alte Freunde."
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Götterdämmerung
FantasyEin Jahr und einen Tag. So lange ist Nathaniel Black durch die Hölle gegangen. Im wahresten Sinne des Wortes. Nun ist er wieder zurück auf der Erde und möchte eigentlich nur ein ruhiges Leben führen. Doch in diesem einen Jahr ist sehr viel gescheh...