Regenschauer

25 5 0
                                    


Langsam versuchte ich meine Augen zu öffnen. Alles fühlte sich so schwer an. Meine Beine, meine Arme, mein Oberkörper, mein Kopf, selbst meine Augenlieder fühlten sich tonnenschwer an. Und Schmerzen, überall Schmerzen. Ein eindringliches Piepsen durchflutete meinen pulsierenden Kopf. Langsam gelang es mir, meine Augen ein stückweit mehr zu öffnen. Ein warmes, dunkles Licht drang durch meine Augenschlitze hindurch und ich versuchte mich zu erinnern wo ich war. Ich drehte meinen schmerzenden Nacken leicht nach links und bemerkte ein Ziehen in der Nase. Waren das etwa Schläuche? War ich im Krankenhaus? Ich drehte mich nach rechts und sah, wie Regen gegen die hohen Fenster peitschte. Gleich den Regentropfen, die das Glas herunterrollten, rollte mir eine Träne die Wange hinunter und plötzlich erinnerte ich mich wieder an alles. Er hatte mich versucht zu töten. Ich verspürte pures Glück durch meinen ganzen Körper hindurch, was den Schmerz übertönte. Endlich war alles vorbei.

„Selma... Wie konnte es nur so weit kommen...", meine große Schwester Aleyna saß neben mir auf dem Bett und hielt meine Hand. Nur sie weiß was wirklich passiert ist, nur sie weiß, dass es kein Unfall war.

Es war an einem schönen, warmen Herbsttag gewesen. Die Blätter erleuchteten die Landschaft in allen Farben. Ich saß auf der Dachterrasse und betrachtete den Himmel. Alles sah so friedlich aus, so still und unbeschwert. Auch ich saß ruhig und tief eingesenkt auf der Hängematte, während mein Inneres schon seit Tagen wie in Zeitlupe zusammenbrach. Mein Freund, Nick, hatte mich wieder einmal betrogen. Ich war mit Nick erst ein paar Wochen zusammen gewesen, da begannen bereits die Probleme. Streitigkeiten, Schläge, Untreue – das volle Programm. Er war mein erster Freund und so ließ ich naiv alles über mich ergehen und hoffte auf ein gutes Ende.

Nun saß ich da in der Hängematte. Ich rief ihn an und bat um ein Treffen. Nach wochenlangem Leiden, Wut, Hass, Trauer und vielen Tränen war ich nun so leer gewesen, dass ich bereit war dieses Kapitel nun abzuschließen.

„Bitte beruhige dich Nick, beruhige dich. Ich kann so einfach nicht mehr weiter machen...". Er packte mich am Hals und knallte meinen Kopf gegen die Hausmauer: „DU KLEINE SCHLAMPE WILLST BESTIMMEN WANN ES FERTIG IST! DU!? ICH WERDE DIR DAS LEBEN ZUR HÖLLE MACHEN SELMA, HAST DU MICH VERSTANDEN?!" Als sein Griff mich losließ, fiel ich zu Boden und sah ihn in einem schwarzen Schleier weglaufen.

Ein paar Stunden später wachte ich in meinem Zimmer auf. Wahrscheinlich hatte mich Aleyna irgendwie aus dem Garten ins Haus geschleppt. Aleyna kannte Nick, und sie war diejenige, die mir die Kraft dazu gab, von ihm los zu kommen.

Die Tage vergingen und nichts passierte. Keine Nachricht, kein Anruf, kein plötzlicher Besuch von Nick. Es war, als schnürte mir die Angst die Luft ab. Doch mit jeder Stunde, die verging, ohne dass etwas passierte, entspannte ich mich immer mehr. Es vergingen Wochen nach der Trennung. Ich konnte endlich wieder Nächte durchschlafen, spielte wieder Klavier, ging unbeschwert zur Uni und traf wieder meine alten Freunde. Ich begann endlich wieder zu leben.

„Warum gehen wir doch gleich zu dieser stinklangweiligen Vorlesung, die montags abends statt findet und vom schlimmsten Prof in ganz Frankfurt gehalten wird? Mir ist es mal wieder entfallen.." „Leeexi...", stöhnten Stella und ich im Chor. „Wir sehen uns morgen Leute, vergiss mir nicht die Notizen aus der Vorlesung zu schicken Stella", ich umarmte meine Freundinnen und machte mich auf den Weg zum Parkplatz. Es war windig und nass. Der Herbst gab den Stab wohl langsam ab an den Winter. Während ich bemüht war, im Dunkeln die Pfützen zu erkennen und dabei meine Bücher nicht fallen zu lassen, klingelte auch noch mein Telefon. Ich zog es aus meiner Jackentasche und klemmte es zwischen Schulter und Ohr.

„Selma? Wo bist du?" „Ich bin gleich am Auto und bald daheim Aleyna, die Vorlesung hat etwas länger gedauert. Ich hoffe nur, du hast etwas Schönes..."

All meine Bücher fielen mit samt dem Handy in den Matsch. Da stand er, angelehnt an mein Auto.

Dem Himmel sei DankWo Geschichten leben. Entdecke jetzt