Es war kalt. Zu kalt um einen klaren Gedanken fassen zu können. Mit zittrigen Fingern holte ich mir Handschuhe aus meiner Tasche, in der Hoffnung, sie wären nicht zu dünn, um meinen Händen wenigstens einen Ansatz der normalen Körpertemperatur wiederzugeben. Ich schaute auf die Anzeige, die am Dach des Bahnhofs angebracht war. Noch ganze zehn Minuten voller Kälte und Zittern. Ein alter Mann kam auf mich zu. Er sah traurig aus, aber das spielte in einer so grauen Gegend wie hier genauso wenig eine Rolle, wie die Tatsache, dass das Schulgebäude dringend saniert werden musste. Das Gesamtbild einer so tristen Gegend hätte mich vor weniger als drei Monaten so sehr abgeschreckt, dass ich nicht einmal im Traum darauf gekommen wäre, diese Stadt zu besuchen. Aber man wird in diesen Alltag hineingedrängt, verschoben.
Die flackernden Laternen an der Straße vor dem Bahnhof warfen beunruhigende Schatten auf die vorbeifahrenden Autos.
Als die Bahn endlich kam, stieg ich voller Dankbarkeit ein. Die Wärme und das endlich wieder normale Licht ließen es zu, einmal tief und entspannt durch zu atmen. Die Türen schlossen sich mit dem mir so unheimlich vertrauten Geräusch und der Zug setzte sich in Bewegung. Ein junger Mann, der sich auf den Sitz neben mich gesetzt hatte, lächelte mich freundlich an und nahm sich seinen Rucksack vor. Er kramte eine Zeitung heraus und hielt sie mir vor die Nase. Ich nahm sie und las den ersten Artikel. Was ich sah, schockierte mich ab der ersten Sekunde: "Jugendliche verprügeln Grundschüler!" Ich frage mich wirklich immer wieder wieso Menschen so kalt und böse sein können.
Wieder aufgewärmt und erfüllt von einem mulmigen Gefühl, stieg ich aus der Bahn. Ich gab dem Mann seine Zeitung zurück und bedankte mich noch einmal. Der kalte Bahnhof war nun gefüllt von Menschen. Wie sich alles in ein paar Minuten ändern kann, von Ort zu Ort. Es wird mich immer faszinieren.