Teil 1

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Ich hasste Überraschungen.

Ich hasste, hasste, hasste sie.

Und das lag nicht an meiner verdrehten Art. Oh nein. Wenn es nach mir ginge, wäre mein Leben eine kleine, kunterbunte Seifenblase, in der ich mich verkriechen konnte.

Das war nämlich meine Art.

Mich vor allem verstecken. Und damit mein ich tatsächlich vor allem, und jedem.

Wenn man mal so mein Leben betrachtete war es eigentlich relativ trist. Aber das störte mich keines Falls. Denn alles, was in jeglicher Hinsicht mit sozialen Kontakten zu anderen zu tun hatte, ging ich gekonnt und gepflegt aus dem Weg.

Ich hasste es, all die ach so glücklichen Leute zu beobachten, die sich doch eh nur alle gegenseitig etwas vorspielten. Freundschaften, Beziehungen, Emotionen; das meiste davon war nicht echt. Leider hatte ich das am eigenen Leib erfahren müssen.

Noch dazu kam, dass ich noch nie auf einer öffentlichen Schule gewesen war. Diese Tatsache machte mich wahrscheinlich in den Augen anderer zum kompletten Freak. Wer ließ sich schon noch von der eigenen Mutter zuhause unterrichten? Tja, ich war so ein Fall.

Ich denke der anti-sozial-Fall wurde bei mir diagnostiziert, als ich noch relativ klein war. Was wahrscheinlich vor allem daran lag, dass schon mein jüngeres Ich Probleme hatte, mit anderen Menschen umzugehen. Aber vielleicht lag es ja auch gar nicht an mir, sondern an den anderen.

Aber das war nebensächlich. Das wirklich Wichtige war einzig und allein die Tatsache, dass ich keinen Kontakt zur Außenwelt haben wollte, wenn man es so zu formulieren gedachte.

Bisher kam ich damit auch gut zurecht. Ich hatte keine Freunde, aber dadurch auch niemanden, der mich verletzen konnte. Also war alles in bester Ordnung und ich konnte getrost als einsamer Wolf vor mich hin vegetieren.

Allerdings platzte meine wunderbare kleine Traumwelt, als meine Mom mit der ach so tollen Überraschung rausrückte, von der sie absolut sicher war, ich würde sie genauso atemberaubend finden wie sie.

Also atemberaubend ja. Nur nicht auf die Art und Weise, wie sie es sich wahrscheinlich ausgemalt hatte.

Vor Freude quietschend, wie ein kleines Kind, öffnete sie zu schwungvoll meine Zimmertür. Ich hatte es mir gerade mit einem neuen Buch auf meinem Bett bequem gemacht, als sie sich im Türrahmen abgestützt hatte. In der freien Hand hielt sie einen Brief und wedelte verschwörerisch damit in der Luft herum.

"Guck mal was ich hier habe", plapperte sie vor sich hin. In ihrer Stimme klang definitiv viel zu viel Euphorie. Gäbe es ein Gefäß für die Menge an glücklicher Ausstrahlung, die ein Mensch ausstrahlen konnte, brauchte meine Mutter definitiv ein Dutzend davon. Von so viel übertriebener Freude konnte einem ja schlecht werden.

Seufzend schaute ich von meinem Roman auf, und klappte in Gedanken versunken das Buch zu. Was war denn bitteschön so toll an einem Brief? Hatte ich etwa schon wieder vergessen, meine Bücher, die ich mir aus der Bibliothek ausgeliehen hatte, rechtzeitig zu verlängern, und musste deshalb jetzt Gebühren bezahlen?

"Was ist das für ein Brief?", fragte ich mit gelangweilter, monotoner Stimme.

Meine Mom, die entweder meine gereizte Stimme gekonnt überhörte oder gar nichts davon mitbekam, schlenderte langsam auf mich zu.

Ich fragte mich, woher sie immer dieses gelassene Glücklichsein hernahm, und warum meine Gene davon nicht einen Funken abbekommen hatten.

Viel zu schnell hatte sie die wenigen Schritte bis zu meinem Bett überbrückt und machte es sich jetzt darauf bequem.

Grimmig grummelnd machte ich ihr widerstrebend Platz, bevor mich ihre quirlige Lebensfreude noch ersticken würde.

"Willst du ihn aufmachen oder soll ich?", fragte sie verschwörerisch. Ich konnte selber lesen und ein kleines Kind war ich ja schließlich auch nicht mehr, also schnappte ich mir den edel aussehenden Briefumschlag und begutachtete ihn in meinen Händen.

Also von der Bibliothek war der auf jeden Fall nicht. Nicht mal im Traum würden die so qualitativ hochwertiges Briefpapier benutzen. Ein Absender stand auch nicht drauf, nur mein Name und unsere Adresse in kursiv verschnörkelten Buchstaben.

Josefine Philips
Groombridge TN3 9RG
3 Meadow Road

Seltsam. Welche noble Persönlichkeit sollte sich denn schon darauf herablassen, ausgerechnet mir einen Brief zu schreiben? Vielleicht war das ja alles auch nur ein dummer Scherz und in Wirklichkeit waren in meinem Zimmer unsichtbare Kameras angebracht.

Ach quatsch, tadelte ich mich selber. Sowas passierte nur in den Vereinigten Staaten, und nicht hier in England. Und erst recht nicht in diesen Kaff, in dem ich mein Leben ertragen musste.

Zögernd riss ich schließlich den Umschlag auf und nahm das einzelne, sorgsam gefaltete Blatt in meine zitternden Hände. Warum zitternden meine Hände?

Mit angehaltener Luft las ich die wenigen Zeilen.

Mir stockte der Atem.

Das konnte doch nicht war sein.

Dancing In The Moonlight Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt