Frohe Weihnachten !
Wie versprochen gibt es heute eine kleine Kurzgeschichte wie Strömender Fluss zu seinem Namen kann. Viel Spaß !
PROLOG: Ein lautes Jaulen riss Strömer aus einem Traum, in dem er über eine sonnenbeschienene Wiese hinter Schmetterlingen hersprang. Er bemühte sich, wach zu werden, und stellte dann fest, dass es der Ruf des Erwachens war, der laut durch den Park hallte. Nachdem er sich den Schlaf aus den Augen geblinzelt hatte, glitt er aus seinem Unterschlupf, ein moosgepolstertes Nest unter den tiefen Zweigen eines Strauchs.
Die Morgendämmerung erhellte den Himmel, und am Horizont zeigte ein Fleck aus Rosa und Gold an, wo die Sonne bald aufgehen würde. Mit vor freudiger Erwartung gesträubtem Fell wandte sich Strömer in diese Richtung.
Weiches Gras erstreckte sich ringsum, durchbrochen nur von Sträuchern und den bunten Blumen, die Zweibeiner pflanzten. Hier und da ließ ein Baum seine Blüten fallen und ihre winzigen, weißen Blätter verteilten sich wie Sterne auf dem Boden. Strömer konnte sich keinen schöneren Ort vorstellen.
Allmählich tauchten auch seine Freunde und die Ältesten aus ihren Nestern auf. Alle drehten wie Strömer das Gesicht zum Licht, und als die lodernde Sonne langsam in Sicht kam, stimmten sie ein lautes Katzengeheul an, um den neuen Tag zu begrüßen. Strömer reckte sich und ließ seine Stimme laut und klar erklingen, während er beobachtete, wie auch die letzten Schatten vor den hellen Sonnenstrahlen flüchteten.
Sobald die Sonne sich gänzlich vom Horizont gelöst hatte, wandten sich die Katzen von ihm ab und fingen an, sich zu putzen. Strömer entdeckte ein warmes Plätzchen neben einem Büschel roter Zweibeinerblumen und verzog ein wenig die Nase, weil sie so einen starken Geruch verströmten. Er wusste, wie wichtig es war, sich gründlich zu waschen und dabei die richtige Reihenfolge zu beachten.
Zuerst die Pfoten, dann Gesicht und Ohren ... als Nächstes Brust und Bauch. Er rollte sich auf die Seite, um an das weiche Fell an seinem Bauch zu kommen. Zum Schluss noch Rücken und Schwanz ...
Für die Katzen aus dem Park hatte alles seine feste Ordnung. Schon als Junge lernten sie, wann und wie sie aufwachen sollten, wie sie sich waschen mussten und wie sie jedes andere kleine Ritual zu vollziehen hatten, aus denen ihr Leben bestand. Ein Leben, das friedlich war und gut.
Ein bohrendes Hungergefühl regte sich in Strömers Bauch, als er sich streckte, um an die schwierige Stelle ganz unten an seinem Rückgrat zu kommen. Hastig beendete er mit einigen langen Zungenschlägen das Säubern seines Fells.
Nachdem Strömer sich ein letztes Mal über den Pelz geleckt hatte, sprang er auf und reihte sich in die lange, geordnete Schlange von Katzen ein, die zu ihrer Morgenspeisung durch den Park spazierten. Nach ein paar Schritten gesellte sich Strömers Mentor Bogen zu ihm, ein Kater mit einem seidig glänzenden, hübsch gemusterten Fell. Als Strömer noch klein gewesen war, hatte Bogen ihn als Schüler auserwählt, und seitdem hatte der ältere Kater seinem Schützling sämtliche Gepflogenheiten der Park-Katzen beigebracht.
»Sei gegrüßt, Bogen«, miaute Strömer und neigte ehrerbietig den Kopf. »Ist das nicht ein wunderbarer Morgen?«
»Das ist es«, stimmte Bogen zu. »Die Sonne scheint warm über unseren Köpfen und das Gras ist weich unter unseren Pfoten. Du solltest der Sonne und der Erde danken, Strömer, dass sie so gut für dich sorgen. Wir haben großes Glück, dass unser Leben so angenehm ist.«
»Aber ich bedanke mich doch«, erwiderte Strömer verwundert. »Jeden Tag tue ich das. Ich weiß, wie glücklich wir uns schätzen können.« Warum meint Bogen, mir das sagen zu müssen?
»Du darfst nicht zulassen, dass diese Geschenke dich weich werden lassen«, warnte Bogen, und seine Stimme klang auf einmal düster. Er schnippte mit dem dunklen Schwanz und blickte über die sonnenbeschienene Wiese. »Du solltest dir stets bewusst sein, wie hart das Leben sein kann, selbst für uns.«
Diese Worte vergrößerten Strömers Verwirrung nur noch. Warum wollte Bogen diesen sonnigen Morgen mit diesen düsteren Worten verderben? Das Leben war noch nie hart für uns!
Als er sich der Reihe von Schüsseln näherte, die am entgegengesetzten Ende des Parks standen, hatte er Bogens Warnung bereits wieder aus seinen Gedanken verdrängt. Zweibeiner legten dort jeden Morgen und Abend Fressen für sie aus. Es gab genug für alle Katzen; keine Katze musste drängeln oder schubsen, wenn sie sich um die Schüsseln scharten, und jeder sorgte dafür, dass die Katze neben ihm auch genug Platz hatte. Strömer begann zu fressen, wobei er darauf achtete, nicht gierig zu schlingen oder zu große Bissen zu nehmen. Er fragte sich, wo die Zweibeiner diese seltsame Beute jagten, aus der diese harten, kleinen Bröckchen wurden. Sie schmeckte nicht sehr gut – längst nicht so köstlich wie die Mäuse, die Strömer gelegentlich im Park erbeutete –, aber sie füllte seinen Bauch, stärkte seine Glieder und ließ seinen Pelz schimmern.»Zeit für die Morgen-Meditation«, miaute Bogen, nachdem Strömer von der Schüssel weggetreten war und sich die Schnauze sauber geleckt hatte. Was auch immer Bogen vor ihrer gemeinsamen Mahlzeit beunruhigt hatte, schien verflogen zu sein. Er war wieder besserer Laune und seine grünen Augen leuchteten.
Strömer folgte seinem Mentor durch den Park und sprang mit ihm auf eine der Grenzmauern. Auf der anderen Seite fiel der Hügel steil zu einem Fluss hin ab, der sich zwischen der dicht bewachsenen Uferböschung dahinschlängelte. Keine der Katzen ging jemals dort hinunter, die Mauer war viel zu hoch, um einen Sprung heil zu überstehen.
Außerdem, wer würde schon da runter wollen? Strömer blinzelte nachdenklich. Hier oben gibt es doch alles, was wir brauchen.
Strömer hatte seinen Namen von der Wellenbewegung des Flusses bekommen, und er fand besondere Freude daran, sich bei seiner Meditation darauf zu konzentrieren. Außerdem war er stolz darauf, dass die Streifen seines silbergrauen Pelzes an das strömende Wasser erinnerten.
»Nachher werden wir das Jagen trainieren«, verkündete Bogen und nahm die korrekte Haltung für die Meditation ein, indem er die Pfoten unter den Körper schob und den Schwanz um sie herum schlang.
»Au ja!«, schnurrte Strömer und ahmte den Sitz seines Mentors nach.
Durch schmale Augen betrachtete er das dahinströmende Wasser unter ihnen und spürte, wie die Sonne sein Fell bis zu den Knochen wärmte. Ein zufriedenes Seufzen entfloh ihm.
So geht das jeden Tag. Wir haben eine Ordnung und einen geregelten Ablauf und wir tun die Dinge immer auf die richtige Weise. Nichts wird sich daran je ändern. Es ist so schön hier.