Teil 2- aus der Perspektive der Mutter

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Es war der Morgen des 24. Dezembers. Wie jeden Tag stand ich auf sobald der Wecker klingelte und lief zur Tür um zu schauen, ob Briefe im Briefkasten waren. Im Vorbeigehen fiel mein Blick auf die alte Kaffeemaschine, die mittlerweile völlig verstaubt in einem Eck in der Küche stand. Ich persönlich mag keinen Kaffee, aber meine Tochter stand früher jeden morgen noch halb im Schlaf davor. Doch seit sie vor fünf Jahren gegangen war, steht die Kaffeemaschine nur noch in der Ecke.

Im ersten Jahr nach unserem Streit klingelte ich oft an ihrer Tür. Ich hörte Stritte, die zur Tür kamen und sich dann wieder entfernten aber geöffnet wurde nie. Irgendwann gab ich dann die Hoffnung auf die Chance zu bekommen mit ihr zu sprechen. Ich konnte die kalte Abweisung nicht mehr ertragen, die ich jedes empfand wenn sich die Schritte wieder entfernten. Ich wusste nicht einmal wie sie jetzt aussieht. Hatte sie noch immer die langen, dunkelbraunen Locken, welche ich auch in meiner Jugend hatte. Lebte sie in einer Beziehung, hatte sie vielleicht sogar schon Kinder? Was mag sie gerne und was nicht? Es fühlte sich an als wäre sie eine Fremde für mich geworden. Um diesen Schmerz verkraften zu können hatte ich mich in die Routine des Alltags gestürzt.

Als ich den Blick endlich wieder von der Kaffeemaschine lösen konnte eilte ich zur Tür. Im Briefkasten lag ein einzelner Brief. Die Handschrift auf dem Umschlag kam mir zwar bekannt vor, aber ich konnte sie nicht zuordnen. Schnell ging ich wieder ins Haus denn außen war es kalt geworden. Als ich schließlich mit einem Tee auf dem Sofa saß öffnete ich den Brief. Langsam las ich die erste Zeile und mir stockte der Atem. Plötzlich wusste ich wieder woher ich die Schrift kannte. „Liebste Mutter" stand da in der kritzeligen Handschrift meiner Tochter. Träumte ich? Schnell las ich weiter. Am manchen Stellen waren die Buchstaben schwer zu entziffern, da die Tinte verschmiert war. Fast so als hätte sie geweint während sie diesen Brief geschrieben hatte. Fünf Jahre lang hatte ich auf ein Zeichen der Versöhnung gewartet und jetzt wo ich es in den Händen hielt fühlte ich mich wie erschlagen. Sie bat mich um Entschuldigung? Dabei war doch ich die Schuldige. Ich war es, die sie nicht aufgehalten hatte als sie zur Tür herausgestürmt war, im Glauben sie würde sich beruhigen und dann wiederkommen. Ich war es, die viel zu altmodisch dachte um ihre Entscheidungen akzeptieren zu können. Und jetzt bat sie um Verzeihung? Das fühlte sich nicht richtig an. Schließlich war ich ihre Mutter und sie meine Tochter. Daran würde sich nie etwas ändern, was immer auch geschehen mag. Meine Tränen tropften auf das Papier, trockneten und verbanden sich mit denen meiner Tochter.

Ich sah auf. Mein Tee, der noch immer unberührt auf dem Tisch stand war in der Zwischenzeit kalt geworden. An der Stelle, wo früher sonst immer ein Christbaum aufgestellt war, herrschte, wie auch in den letzten Jahren gähnende Lehre. Auch sonst gab es keinen Schmuck, keine Kerzen, kein Weihnachten. Nachdem meine Tochter weg war erschien mir kein Sinn mehr darin Weihnachten zu feiern. Dem Fest der Liebe und der Familie. Ich stellte mir vor wie meine Tochter neben einem reich geschmückten Baum saß und ihr ganzes Wohnzimmer gemütlich in Kerzenschein gehüllt war. Vielleicht las sie gerade ein Buch ohne zu wissen, dass sie mir mit diesem Brief das schönste Weihnachtsgeschenk gemacht hatte, dass es überhaupt nur gab. Wir beide hatten so viel Zeit verloren, dass es schwer sein wird, diese Kluft zu überbrücken. Aber ich werde mein bestes geben, dass uns das gelingt. Sie hatte von sich aus einen Schritt zur Versöhnung gemacht. Das ist das wichtigste. Ich denke, nein ich weiß, dass wir es schaffen können, wenn wir beide über unsere Schatten springen. Es wird nicht leicht, aber es gibt wieder Hoffnung in meinem Leben. Von diesem Gefühl geleitet stand ich auf und zog meine Jacke an. Dass der Tee noch immer auf dem Tisch stand war mir egal. Für mich zählte nur noch die Zukunft. Eine Zukunft mit meiner Tochter. Ich ging aus dem Haus und starte voller Erwartungen das Auto. Ich konnte es kaum abwarten meiner Tochter in die Augen zu sehen und ihr all meine Liebe zu schenken.


Fünf Jahre ohne Worte (Teil 2)Where stories live. Discover now