Oswald

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Ich kannte Edward jetzt schon so lange. Aber in diesem Moment konnte ich auf einmal Dinge an ihm bemerken, die mir vorher nicht aufgefallen waren. Seine unglaublich glatte Haut, seine schöne Gesichtsform, seine Augen -die vor Eifer leuchteten als er mir von dem neusten Schachzug seiner Wahlkampanie für mich- berichtete. Seine Wahlkampanie für mich... In meinem Bauch bereitete sich ein warmes Gefühl aus. Meine Mindwinkel begannen unkontrolliert aufgrund eines höchst albernen Grinsens zu zucken.
Schnell begann ich an allerlei Konkurrenten in der Unterwelt zu denken und wie sie mir und ich ihnen das Leben schwer machen könnten. Ich wollte die Kontrolle über mich behalten.
Gleichzeitig versuchte ich Edwards Ausführungen irgendwie zu folgen um etwas geistreiches dazu beitragen zu können und ihn mit meinem Interesse für seine Bemühungen belohnen. Wie gut, dass ein solcher Stratege sich um diesen Bereich meines Lebens kümmerte... Mir entfur ein schmachtendes Seufzen. Schmachtendes Seufzen? Hä? Ärgerlich registirerte ich, dass er mir irgendetwas auf dem Tisch zeigen wollte und zwang mich, meinen Blick von seinem Gesicht abzuwenden und auf die Tabellen und Diagramme zu richten.
Doch da waren unweigerlich seine Finger. Die voll beschäftiget hier und und dort hin auf den Blättern deuteten und mir heute unglaublich kühn und perfekt vorkammen. Sie schienen sich so gar nicht für mich, sondern für diese Zahlen und Buchstaben zu interessieren und ich wünschte mir auf einmal nichts sehnlicher, als das sie mich berührten.
Als mir dieses Gefühl der Sehnsucht bewusst wurde, erschrak ich fürchterlich. In welchem kitschigen Schwank der Erzählungen meiner Mutter hatte ich mich denn da bitte sehr verheddert?
"Ed, ich bin wirklich sehr glücklich, dass du diese Kampagne planst und nicht ich. Das klingt alles sehr gut durchdacht. Ich habe heute echt nicht den besten aller Tage. Ich gehe jetzt lieber mal ne Runde vor die Tür, wenn du mich entschuldigst." rang ich mir ab. Ganz klar, ich musste so schnell wie möglich hier weg und mich nochmal sortieren. Irgend etwas mit dem Trauerprozess meiner Mutter lief gerade klossal in eine Katasthrophe. So in emiotionaler Schieflage würde ich sicher nie Bürgermeister werden und wenn Ed auch noch so genial für mich plante. Höchste Zeit den Kopf klar zu kriegen.
Ein flüchtiges Lächeln huschte über Edwards Gesicht und sorgte dafür, dass mein Magen sich albern zusammen zog. Dann nickte er verständnisvoll und begann geschäfftig alle Papiere zusammen zu sammeln. "Sicher Oswald, ich war sowieso, so gut wie fertig. Bis morgen dann und schalte mal ab."
Ich ging schnell nach draußen und auf die Straße.
Es war ein typischer Gotham Anblick im Herbst. Die Bäume reckten ihre kahlen Äste in den grauen Himmeln. Die Wolkendecke war nicht völlig geschlossen und hier und da blitzden helle Stellen hervor, einige der Kühltürme bliesen in großem Umfang Rauch in den Himmel und so ergab sich ein bizzares Bild in Graustufen. Unbewustt hatte ich den Weg zum Gothamriver eingeschlagen. Hier fand sich sicher ein Plätzchen, wo sogar ein Bürgermeisterkandidat ungestört seine Gedanken und offenkundig auch seine Gefühle sortieren konnte. Nach ca. 10 Minuten, die ich am "Ufer" entlang lief, fand ich einen mit alten Traktorreifen abgehängten Dock. Direkt an der Seite zum Fluss ließ ich mich in einen hinein fallen. Freilich aufgrund meines linken Fußes nicht so koordiniert, wie ich es gerne hätte. Unsägliche Angst, unermeßliche Wut, grauenhafte Scham, Neid, Hilflosigkeit, Abscheu, all das sind Emotionen, die ich mehr oder weniger gut im Griff habe. Die ich zumindest kenne und mit ihnen um zu gehen weiß.
Aber was zum Thunfisch hatte es mit dieser plötzlichen und sehr, sehr körperbezogenen Bewunderung für Edward Nygmar auf sich? Das kannte ich so überhaupt nicht von mir und als Spieler, der ich war, war ich auf ein intaktes Innenleben angewiesen.
Es müssen so an die 2 Stunden gewesen sein, die ich den trüben Wasserstrudeln zuschaute und darauf wartete, dass sich vielleicht eine Welle von Trauer, Liebe in mir ausbreitete und das Gesicht meiner Mutter sich im Wasser zeigen würde aber nichts da...
Alle Richtungen in die ich dachte endet unweigerlich mit dem Bedürfniss schnellst möglich Rätsel lernen zu wolle um einen jungen Mann zu beistern.
Da ich die letzten 36 Jahre meines Lebens vortrefflich ohne romantische Schwärmereien sowohl für Männer, Frauen oder Wasservögel ausgekommen war, konnte es sich nur um eine kurzzeitige Verirrung handeln. Nicht kurz genug um sie an einem Nachmittag zu beenden, aber sicher auch nicht beeindruckend genug um ihr mehr von meiner wichtigen Zeit zu opfern.
Steif von der Kälte rappelte ich mich noch mühsamer auf als sonst und hiefte mich zurück über die Kanten des Docks.
Es hatte zu Nieseln begonnen und ich wollte nach Hause und es mir gemütlich machen.
Ich liebe es durch Gotham zu ...naja sagen wir wie es ist... zu watscheln. Der Straßenlärm von Taxen, Lieferautos, wenigen dicken Nobelkarossen, sehr selten Fahrräder, sehr viel häufiger die Sirenen des GCPD's oder von Rettungswagen und der Feuerwehr, ist für mich Musik. Die Mischung aus dem Geruch von Abwasser, irgendwelchen giftigen oder vielleicht auch nicht ganz so giften Gasen, Fisch, Urin, Alkohol und hier und da mal ein Hauch von Pizza oder ähnlichem, gibt mir ein Gefühl von Geborgenheit. Wenn Gesprächfetzen, an mein Ohr dringen, ermittele ich unweigerlich auf den Grad der Aggression, der darin mitschwingt. Um vorbereit zu sein, sollte gleich irgendwo ein Fester zu Bruch gehen und Möbel oder Menschen auf der Straße landen. Kleinganoven, die unter Brücken und in Türeingängen ihre Geschäfte machen bringen mich zum Grinsen. Sie erinnern mich an alte Zeiten. Gleichzeitig registriere ich im eilenden vorbei Hinken blitzschnell diverse Einzelheiten, die mich dazu anhalten, ihnen in Gedanken diverse Tipps zur Professionalisierung ihres Gewerbes zu geben. Nichts kenne ich besser, nichts kann ich besser als diese Straßen und das Leben in ihnen. Ein Gang durch sie, schärft alle meine Sinne und lässt mein Gehirn zu Höchstform auflaufen. Deshalb liebe ich Gotham.

Regenschirm und FragezeichenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt