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Sie saß immer noch da. Schon vor zehn Stunden war sie hier gesessen. Bevor ich in die Vorlesung gegangen war hatte ich sie gesehen. Da auf der Bank im Park. Ihr rotes Haar glänzte in der untergehenden Sonne. Heute Morgen hatte ich sie schon gesehen. Ich war zur Uni gegangen. Nach der Uni hatte ich noch einen Kaffee getrunken und hatte mir noch ein paar Kaugummis gekauft. Ich hatte mir Zeit gelassen. Jetzt war ich am Rückweg und immer noch saß sie da. Das schlanke Mädchen mit den roten Haaren und der blassen Haut. Wobei... ihre Hände waren sicher nur so blass, weil es kalt war. Ich trug einen schwarzen Hoddy und meine dunkelgrüne Jacke, die ich liebevoll Kampfjacke nannte. Meine Lieblingsjacke. Ich ging langsam näher und lehnte mich an einen Baum. Das Mädchen saß einfach nur da. Dann legte sie ihren Rucksack neben sich und zog die Beine an. Erst jetzt sah ich, wie verteilt ihre Sachen um die Bank lagen. Wollte sie hier schlafen? Es hatte knapp 5 Grad Celsius und da es eine klare Nacht werden würde, würde es über Nacht sicher um die minus vier Grad Celsius bekommen. Auch hatte der Wetterdienst Schnee angesagt. Langsam kam ich näher. Das Mädchen trug ein dünnes, grünes kariertes Hemd. Sie zitterte als der eiskalte Wind durch den dünnen Stoff pfiff. Ich zog meine Jacke aus und legte sie ihr um. Sie zuckte zusammen und fuhr herum. Ich lächelte. Ihr blasses Gesicht war dünn und ihre Wangenknochen standen heraus. Wann hatte sie das letzte Mal was Richtiges gegessen? „Hallo.", lächelte ich als das Mädchen mich nur weiter erschrocken anstarrte. Ihre leuchtenden dunkelgrün Augen fixierten mich. „Ha... Hallo...", hauchte sie. „Darf ich?", ich deutete auf den Platz neben sie und sie nickte zögerlich. Ich stieg über die Lehne der Bank und ließ mich neben sie fallen. „Darf ich dich nach deinem Namen fragen?", lächelte ich. Sie schluckte. „Ro... Ro...", sie räusperte sich. „Rose.", antwortete sie mir. „Rose. Ein wunderschöner Name.", lächelte ich. „Ich heiße Deala. Wieso sitzt du hier?", wollte ich wissen. Sie zuckte mit den Schultern. „Weil es hier schön ist.", meinte sie und wollte mir meine Jacke zurück geben. Ich legte meine Hände an ihre Schultern und hielt die Jacke fest. „Lass sie dran. Mir ist warm genug.", meinte ich und sie beließ es dabei. „Ich meine, wieso du hier schlafen wolltest." „Ich wollte nicht..." „Niemand sitzt einfach so zehn Stunden lang auf einer Bank. Ich hab dich vorhin schon gesehen.", meinte ich. Sie schluckte und eine Träne lief über ihre zarte Wange. Erschrocken starrte ich sie an. Ihre geröteten grünen Augen sahen in meine braunen als ich die Träne weg wischte. „Es... es geht dich nichts... a... a... Oh Gott...", sie legte ihre Hände auf ihre Augen und begann zu schluchzen. Erschrocken zog ich sie in meine Arme und hielt sie gut fest. Sie schluchzte laut los und ich drückte sie fester an mich. Sie kauerte sich in meinen Armen zusammen während ich versuchte sie so fest wie möglich zu halten. Es war schon interessant, dass es vielen Leuten weniger ausmachte sich bei einem Fremden auszuweinen als bei jemandem, den man kannte. „Oh Gott...", weinte sie und ich spürte ihre Tränen durch meinen Pullover. Es war niemand außer uns im Park und es wurde dunkel. Es war später Herbst und die Sonne ging schnell unter. „Ssh... du kannst es mir sagen.", sie sah auf und ich legte meine Hand auf ihre Wange. „Mir kannst du es ruhig sagen.", lächelte ich. Sie schluckte. Ihre Augen waren so furchtbar traurig. „Vor zehn Jahren starb meine Mutter. Mein Vater suchte sich eine andere Frau und die war auch am Anfang echt nett und so... mein Vater besaß eine große Firma die ich mal übernehmen sollte. Als dann aber meine Stiefmutter ein Kind bekam wurde alles anders. Meine Stiefmutter hasste mich und das zeigte sie mir jetzt. Vielleicht wollte sie auch einfach nur dass mein Halbbruder alles bekommt und deshalb hat sie mir ab da das Leben zur Hölle gemacht ich weiß es nicht.. Mein Halbbruder war nun jedenfalls der auserwählte Erbe. Aber Papa hat mich immer noch geliebt und...", ihr Körper zitterte durch das Weinen. „Aber dann wurde er sehr krank. Vor einem Jahr starb er dann an Nierenversagen und meine Mutter schmiss mich an meinem 18. Geburtstag raus. Also vor vier Monaten. Seit dem lebe ich hier auf der Straße. Niemand stellt eine Obdachlose ein und meine Mutter hat, als sie nach dem Tod meines Vaters das alleinige Sorgerecht hatte, mein Konto leer geräumt. Ich habe keinen Cent. Nur die Kleider die ich trage.", wimmerte sie und ich zog sie fester an mich. „Diese... ich habe keine Worte die sie passend beschreiben. Das ist schrecklich und du hast so ein Leben nicht verdient!", meinte ich bestimmt und sie sah mich an. Ich strich über ihre Hand. Sie war eiskalt und ich legte ihre in meine um sie zu wärmen. Als sie sich löste sahen wir eine Weile nach vorne zum Horizont, wo vorhin noch die Sonne war. Langsam und vorsichtig legte ich einen Arm um ihre Schultern und tatsächlich lehnte sie sich an mich und kuschelte sich an meine Seite. Ich lächelte. Ich könnte es nicht ertragen wenn dieses Mädchen noch eine Nacht auf der Straße verbringen müsste. Obwohl ich sie nicht kannte. „Musst du heute Nacht wieder hier draußen schlafen?", wollte ich wissen und sie nickte. „Nein. Musst du nicht. Komm. Du schläfst heute Nacht bei mir.", beschloss ich und stand auf. „Nein! Ich... Ich gehe nicht zu Fremden mit! Da bleibe ich eher hier.", meinte sie bestimmt und reichte mir meine Jacke. Sie legte sich mit dem Kopf auf ihren Rucksack und drehte sich mit dem Gesicht zur Lehne. Ich seufzte, setzte mich in das Feuchte Gras und lehnte mich an die Bank. Eine Weile blieb ich so sitzen. „Was tust du?", wollte Rose wissen und sah mich an. „Allein lass ich dich hier sicher nicht schlafen. Von der Kälte mal ganz abgesehen laufen hier nachts üble Gestalten rum. Da bleib ich lieber hier sitzen und pass auf dich auf. In meiner Wohnung wartet eh niemand auf mich.", meinte ich. „Du wohnst allein?" „Ja.", antwortete ich. „Und ich bin es eigentlich gewohnt unter Leuten zu sein. Hab immer mit meinen Eltern, meiner Schwester und meiner Oma zusammen gewohnt. Und jetzt plötzlich allein... also niemand der auf mich wartet.", brummte ich und Rose setzte sich auf. „Du gehst echt nicht weg ohne mich, oder?", wollte sie wissen. „Ich bleib solange hier bis du mit mir kommst.", lächelte ich und sie stand auf. „Gut... aber... du versprichst mir nichts zu tun!", forderte sie. Ich legte meine Hand auf mein Herz und hob die andere. „Ich schwöre dir, Rose, dass ich dir kein Leid zufügen werde und auf dich aufpassen werde!", schwor ich und Rose lächelte als sie ihre Sachen zusammen packte.

Das Mädchen ohne ZuhauseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt