Der Anfang

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Ich lag in meinem Bett. Unten hörte ich das Geschirr in der Küche klappern, das Gequietsche von irgendwelchen Spielzeugen meines kleinen Bruders und Regentropfen, die in einem langsamen rhythmischen Ton auf das Dach prasselten. Alltagsgeräusche. Ich höre sie jedes mal wenn ich aufwache und heute sollte eigentlich ein Tag wie jeder andere sein. Um 9.00 fahre ich zur Uni, da ich heute erst später eine Vorlesung habe. Dort verbringe ich den ganzen Tag uuuunnndd daaannn fahre ich wieder nachhause. Spektakulär? Oder? Ja, ich weiss, mein Tag ist erfüllt von Höhen und Tiefen, er ist so spannend, dass ich ein Buch darüber schreiben könnte (haha). Ok, ihr wisst worauf ihr euch jetzt gefasst machen könnt, ihr denkt wahrscheinlich: Warum, indreikönigsnamen, warum sollte ich eine Geschichte über einen Menschen lesen, der vielleicht sogar langweiliger ist als ich? Ich sag dir warum du vielleicht (nur vieeelleiiicht) weiterlesen solltest: Ich, unbedeutender Mensch, der noch nicht mal einen Klecks, ja noch nicht einmal einen Kratzer auf diesem Planeten beziehungsweise in der ganzen Menschheitsgeschichte darstellt, ja GENAU ich bin wie du. Ich sehe alle diese grauen hoffnungslosen Gestalten jeden Tag wenn ich zur Uni  fahre. Jeder hat den gleichen Gesichtsausdruck und jeder trägt im Endeffekt die gleichen Sorgen. Es ist egal, ob es gerade eine Scheidung ist, die derjenige gerade durchmacht oder ob es Schulden sind, die ihm über den Kopf gewachsen sind: das Prinzip von Sorgen ist gleich, sie unterdrücken und bedrücken uns. So sehe ich also jeden Morgen Menschen mit Sorgen, die an einen Ort fahren, der sie nicht glücklicher machen wird. Mittlerweile sehe ich sogar im Bus und in der Bahn fast jeden Tag dieselben Menschen und fühle mich auf eine Art und Weise mit ihnen verbunden, obwohl ich noch nie ein Wort mit ihnen gewechselt habe. Ich sollte die letzte Person sein, die sich über ihr Leben beklagt. Ich bin gesund, physisch wie auch psychisch, ich habe gute Freunde, eine gesunde Familie, ich habe was zu essen und unsere Familie gehört der etwas wohlhabenderen Mittelschicht an. Ich sollte wirklich die allerletzte Person ein, die sich über auch nur irgendwas beklagen sollte, jedoch ist es einfach wissenschaftlich bewiesen, dass die meisten Menschen in unserer Welt, obwohl sie ihre grundlegenden Bedürfnisse stillen können, an psychischen Problemen leiden. Ich habe keine diagnostizierte psychische Krankheit und bilde mir auch keine ein (was dann wiederum auch eine psychische Krankheit wäre), allerdings fühle mich leer. Ihr fragt euch sicherlich warum. Warum, fühlt sich dieses Mädchen, was wohl anscheinend alles im Leben geschenkt bekommen hat, warum fühlt sie sich denn leer? Ich erkläre es euch. Vielleicht ist es auch nur ein unbedeutendes Luxusproblem, (ja, das ist es auch) aber ich erkläre es euch trotzdem: viele von euch kennen eine Farbpalette, hier ist es wurscht, ob es sich um eine Lidschattenpalette oder um Wasserfarben handelt, stellt euch das vor, was ihr lieber mögt. Also: jede Farbpalette geht meistens von den helleren Tönen zu den dunkleren Tönen und von jeder Farbe gibt es 463474 Untertöne. So, jetzt fragt ihr euch warum ich euch das erzähle. Es sieht so aus: ich persönlich stelle mir unsere menschliche Gefühlswelt als eine Farbpalette vor. Und ich fühle meistens die Farbe hellgrau. Kennt ihr den Himmel an einem Herbsttag, an dem nicht die sonne scheint und es auch nicht regnet? Der Himmel ist einfach nur bewölkt und grau. So fühle ich mich irgendwie. ich weiss, dass ich manchmal auch Freude empfinde, wenn mir ein Junge, der mir gefällt eine Nachricht schreibt oder wenn ich was Schönes mit Freunden und Familie mache. Es ist aber einfach nie ein überschäumendes Gefühl, keine kräftige Farbe. Ich weiss ihr denkt, dass ich verrückt bin, aber ich will einfach jede verdammte Farbe auskosten, die mir meine Gefühlspalette bietet, den ich weiss, dass ich fähig bin diese Gefühle zu empfinden und Sachen zu erleben, die mich diese Gefühle empfinden lassen, allerdings kann ich das nicht wenn ich in diesem verdammten Hamsterrad gefangen bin. Es kann kein Gefühl von Euphorie aufkommen wenn man jeden Morgen eine halbe Stunde zur Uni fährt und dann Samstagabends vielleicht feiern geht. Es geht einfach nicht und ich will es verdammt nochmal ändern. Ich will ausbrechen bevor ich selbst grau werde. Ich weiss, dass sich das  jetzt ziemlich ausgelutscht anhört, aber was soll ich später meinen Enkeln oder Kindern erzählen, was ich verrücktes gemacht hab? Es wird nicht interessantes geben und aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, dass ich ausbrechen werde. Mit der Gewissheit, dass meine Eltern mich nie lassen würden und mein Kontostand gerade mal eine Tagesreise zu einer nahegelegenden Stadt erlaubt. Aber ich werde es tun bevor sich dieses nervige hellgrau in ein dunkelgrau gewandelt hat und in die Tiefen meiner Zellen gekrochen ist.

Irgendwo.Where stories live. Discover now