Ihr feines Gesicht zierte ein sanftmütiges Lächeln, das ein Gefühl der Wärme und Geborgenheit ausstrahlte. Der Anblick wurde mit jeder verstrichenen Minute atemberaubender. Sie glich einem Engel. Sie war ein Engel.
Ohne seinen Blick abzuwenden, säuberte der Herr mit der Krawatte um seinen Hals die beschlagene Brille. Weiche, erdbeerrote Lippen haben sie zu dem zauberhaften Mädchen gemacht, welches er vor langer Zeit kennengelernt hatte. Glich es Magie? Wahrlich fühlte er sich verzaubert. Verzaubert von dem Wesen mit dem weissen, luftigen Kleid an seinem Körper. Von einem Fluch war nicht zu sprechen. Gott hatte ihn gesegnet. Nun war sie der Segen selbst. Der Segen mit den entspannten Gesichtszügen.
Doch wenn sie einem Engel glich, wenn sie der Engel selbst war, kam sie dann überhaupt von diesem Planeten? Seine Schwärmerei nahm kein Ende. Dies sollte es niemals. Die Gedanken an das Wunderwesen waren zu schön, als von diesem Tagtraum aufzuwachen. Das freie Schweben in der statischen Atmosphäre, ruhig und langsam. Der friedliche Klang, der wie Musik in seinen Ohren summte. Ein erlösender Augenblick.
Erlösend. Er und sie befanden sich auf gleicher Ebene.
Die Euphorie, die in seinen Adern floß, war seinen Gedanken ebenbürtig. Das weisse Gold, so kostbar und wertvoll. Hatte er dessen Besitz beansprucht? Er verlor die Erinnerung an das, was vor seiner jetzigen Ankunft geschehen war.
Für ihn war die Heilige eine perfektionierte Form, die einen großen Nutzen aufwies. Sie verkörperte pure Leidenschaft und Hingabe, sodass man das leicht zerbrechliche Gefäß nicht anzufassen versuchte. Jede noch so kleine Berührung entbräche ein Donnern und ein Poltern, dass ihm das Gefäß entweichen und auf dem schmutzigen Boden aufschlagen würde. Spitze, kleine Scherben, die unvollkommen erschienen.
Doch verlor es seinen Wert?
Er sehnte sich nach ihrer femininen, dynamischen Stimme, die ihn in seinen Träumen begleitete. Die Wege, die sie zurückgelegt haben. Die Bäche, die sie durchquert haben. Die Berge, die sie bestiegen haben. Ihre Stimme glich einem natürlichen Ruf von Mutter Natur, während die Knospen ihre Blütenblätter von sich streckten und die warmen Sonnenstrahlen nötige Energie lieferten. Ja, wahrlich war er dem Ruf gefolgt. Nicht aus reiner Intuition, sondern aus Bestimmung. Und doch hatte er das Ziel zu diesem Zeitpunkt nicht erreicht. Eine unaufhörliche Reise, die nie zu enden vermochte.
Dessen ungeachtet konnte ein natürlicher Prozess nicht ausser Kraft gesetzt werden...
Und dann schlug aus dem heiterem Himmel der Blitz auf den Insichgekehrten ein. Endlich realisierte er den immensen Schock, den er zuvor zu verdrängen versucht hatte. Das Adrenalin, das durch die Adern schoss und das wilde Herzklopfen, als würde er darum bangen es nicht aus der Brust springen zu lassen.
Der Nebel zog von dannen. Nun rutschte die Brille in die Tasche.
Seine Sicht war klarer.
Seine Gedanken waren klarer.
Er fühlte sich klarer.Augenblicklich zogen dunkle Wolken in die trügerische Traumwelt, die er ganz allein zu beherrschen vermochte. Braune, unreine Erde beschmutzte das Porzellan, an dem sie kleben blieb. Das Objekt verlor seinen persönlichen Wert und erschien nicht länger brauchbar zu sein.
Und obwohl der frische Wind Klarheit verschaffte, umgab die Kälte ihn im Nu, ließ nicht los, bis auch er seinen Schaden davontrug.Augenblicklich lockerte sich der Griff um ihre kühle Hand, die folglich wieder erschlaffte und auf ihre vorherige Stelle fiel. Ein kurzer, aber entschlossener Schritt nach hinten offenbarte die plötzliche Abwendung und er wagte es nicht erneut den ruhenden Körper der eigentlich Heiligen zu berühren.
Das Wetter in dem scheinheiligen Traumparadies hatte seine Miene düster gefärbt, während seine einstmalig grünen Augen wie die Natur in Flammen aufgingen.
Ihr manipulatives Erscheinungsbild konnte doch tatsächlich seinen Sehsinn täuschen.Erinnerungen zogen an ihm vorbei, als betrachte er eine Diashow.
"Hexe. Drecksbalg", murmelte er finster und drehte ihr den Rücken zu. Zu lange hatte die äußerliche Schönheit ihre tatsächliche Hässlichkeit geblendet.
Mit entschlossenen Schritten bewegte er sich auf den Ausgang des Raumes zu, in welchem die vor wenigen Minuten aufgetretene Krankenschwester stand und ihn entsetzt anstarrte. Ihr Gesicht schaute blass aus. Totenblass.
Amüsant, dass sie sich seiner ehemaligen Liebe des Lebens anzupassen pflegte.
Ihm entfuhr kein weiteres Wort. Die Stimmung übermannte auch ihn und bevor er unüberlegt handeln würde, wich er dem vorwurfsvollen Blick der anwesenden Person neben ihm aus.
Abschied wollte er nicht mehr nehmen.
Nur von den Erinnerungen.Seine Reise hatte nun doch ein Ende gefunden.
Nicht länger putzte er die Schande des zuvor glänzenden Porzellans makellos.
Der Teufel kann in der Hölle schmoren.
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《 {□mind□} 》(Oneshots)
Historia CortaLichtblicke. Hoffnung. Anonymität. Entfremdung. Verzweiflung. Der Tod selbst. Meine Geschichten thematisieren viele Themengebiete, die zum Nachdenken anregen sollen. So manche basieren auf wahre Begebenheiten. Andere wiederum bestehen aus ausgedacht...