Zweifelnd stehe ich vor dem Spiegel in meinem Zimmer. Seit gefühlten Stunden wechsle ich immer und immer wieder meine Anziehsachen, mal ist es mir zu bunt, dann wieder zu schwarz, dann zu kurz, dann zu lang, und so weiter. Joana hatte mich extra noch gebeten zu kommen und ich habe natürlich zugesagt, ich will ja nicht unfreundlich sein. In meiner langen Hose kombiniert mit einem schlichten Shirt kann ich nicht gehen, ich muss wenigstens etwas Haut zeigen, denn sonst würde Joana noch denken, ich hätte mich beabsichtigt normal angezogen um sie wie ein Flittchen aussehen zu lassen.
Mit einem schweren Seufzer wende ich mich von meinem Spiegelbild ab und schlurfe ins Bad. In einem Kleid fühle ich mich nicht wohl und Röcke sind mir ebenfalls zu kitschig, deshalb blieb mir nur noch eine kurze Hose mit einem dunklen groben Strickpullover, den ich vorne in die Hose stopfte. Ich bin sogar relativ zufrieden damit, jedoch kehre ich sehr gern wieder zu meinen langen Hosen zurück.
Der Sommer bricht mittlerweile leicht an, hier auf Foula wird es jedoch trotzdem nicht so richtig warm. Genau in dem Momemt, in dem mein Blick sich dem Badfenster zuwendet, fallen die ersten dicken Tropfen aus dem gefährlich dunklen Himmel, so als wolle er mir erneut beweisen, dass der Sommer noch nicht da ist. Jedoch freut mich der Regen, besonders der Geruch von nassem Gras vermischt mit schäumender Gischt und Meer erfrischt mich.
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"Joya, bist du endlich fertig?", ruft John mir schon zum zehnten Mal zu.
"Ja gleich!", rufe ich wie auch die letzten zehn Male zurück.
"Hast du meinen Poncho gesehen?", frage ich verzweifelt.
"Also wirklich, ich finde, dass-"
"Schon gut, schon gut, ich habe ihn gefunden, wir können los", unterbreche ich seine anschwellende Moralpredigt, wie es denn sein könne, dass man mit 16 Jahren seine Sachen nicht beieinander hat. Manchmal führt er sich auf, als wäre er der perfekte Junge, dabei ist er mit seinen 19 Jahren keinen Deut besser als ich.
Ich schwinge mir den schwarzen Poncho um und folge meinem Bruder nach draußen. Sofort verteilt sich die Kälte um meine unbedeckten Beine und schon bereue ich es, dass ich mein Benehmen vor mögliche Gesundheitsprobleme gestellt habe. Meine Sorgen und kurz aufgekommener Ärger werden schon mit dem ersten Atemzug verscheucht, als der frische Geruch von Regen, Meer und Gras sich verbinden und in meine Lungen strömt, klärt sich mein Kopf wie von selbst.
"Träum nicht da rum, sondern komm!", befiehlt mir John und winkt mich zu sich zu seinem Motorrad, welches er schon aus der Garage geholt hat.
"Haben wir denn zwei Helme?", frage ich zögerlich, auf eine Verletzung habe ich nun wirklich keine Lust.
"Wir fahren nur bis zu Lennox, von dort aus holen wir mit dem Auto die anderen ab. Du glaubst doch kaum, dass ich sturzbetrunken noch Motorrad fahren kann", erklärt er und beginnt beim letztem Satz zu grinsen und zwinkert mir zu, so als ob ich nun etwas Lustiges darauf erwidern sollte, doch mir fällt nichts ein, also setze ich mich schweigend hinter ihn aufs Motorrad.
Die wenigen Minuten auf dem Motorrad ziehen schnell vorbei. Das einzige Geräusch ist das Brummen des Motors und das beständige Rauschen des Meeres. Bäume und Gräser ziehen an mir vorbei, wie in einem Rausch verschwimmt alles miteinander und obwohl ich alle Wege auswendig kenne, kommt es mir so vor als sei ich nie zuvor hier gewesen.
"Da seid ihr ja!", ruft die mir bekannte Stimme. Ich steige von dem stehenden Motorrad und versuche in einer lässigen Bewegung meine Haare glatt zu streichen, denn der Fahrtwind hat sie total zerzaust. Joana winkt mich zu sich in den Minivan, dort zieht sie mich in eine kurze Umarmung und bedeutet mir, neben ihr Platz zu nehmen. Als sie sich wieder setzt rutscht ihr ohnehin schon kurzer Rock um einiges zu hoch, doch ich verkneife mir einen möglicherweise bösen Kommentar. Ich will ja nicht unhöflich sein.
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When the sun goes down *ON HOLD*
Teen FictionFoula- Der Beginn eines milden Sommers. Bei 31 Einwohnern kennt man jeden, umso erscheckender sind die Todesfälle. Sie haben keinen Zusammenhang, scheinen jedoch trotzdem alle gleich zu sein. Unruhe entsteht. ER taucht auf. Was passiert, wenn du mer...