Veränderung

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02.02.2017 (nach Menschenrechnung)
berichtet von Nicole

Die Strahlen der Sonne waren nur noch Zentimeter von der linken rechten Ecke der Pritsche entfernt. Mit einem Seufzer stieß ich mich von der Wand ab. Sobald die Sonnenstrahlen die Ecke erreicht hatten würden sie kommen. Das war immer so. Ich beobachtete wie das Licht die letzten Milimeter erklomm. Dann hörte ich sie auch schon. Die Tür meines Raumes wurde aufgeschlossen und die Soldaten stürzten herein. Sie packten mich und stülpten mir einen Sack über den Kopf. Sie schnallten mir Fesseln an Handgelenken und Füßen um. Ich wurde ein Stück über den Gang getrieben. Männer lachten und pfiffen, gaben ihre Kommentare ab. Ich konnte nichts tun, bis auf den Sack und die Fesseln war ich nackt. Das war nun schon der fünfte Tag an dem ich völlig entblößt so vorgeführt wurde.
Man schubste mich in einen Raum hinein. Die Eskorte zog ab. Ich war eingesperrt aber nicht allein. Keng, der leitende Arzt, riss mir den Sack vom Kopf und schmiss ihn in eine Ecke. "So Miststück! Willst du wohl heute?", fauchte er. Ich schluckte, hob das Kinn und warf ihm einen arroganten Blick zu. Angst hatte ich keine mehr. Es war nicht das erste Mal, dass ich nackt vor ihm stand, dass er mich zu Boden warf und gewaltvoll in mich eindrang. Aber es war das erste Mal, dass ich mich wehrte. Letzte Nacht hatte ich in meinen Träumen immer wieder mit zusehen müssen, wie Liv und Su mich befreien wollten und Keng sie ermordete. Durch den Gedanken kam die Wut in mir hoch, sie fuhr durch meinen Bauch, schoss in meinen Kopf und in meine Glieder und in meine Wirbelsäule. Knochen brachen durch meine Haut.
Keng wurde durch den Raum geschleudert. In meinen Augenwinkeln tauchte etwas auf. Erschrocken sprang ich zurück. Auf dem Boden lagen graue, große Federn. Ich nahm eine auf und betrachtete sie von allen Seiten. Dann drehte ich vorsichtig meinen Kopf. Die Flügel waren groß, schlank und übersäht mit den schönen Federn. "Stein!", Keng kam freudig strahlend auf mich zu. " Seit 500 Jahren gab es schon keine mehr." Ich verstand nicht was er von mir wollte. Was sind das für Flügel? Sind das meine? Aber ich war doch nur ein Mensch. Erinnerungen an die Schmerzen kurz nachdem ich hierher gebracht worden war. Was hatten sie mit mir gemacht? " Mal sehen welche Monster noch so in dir stecken!", Kengs tiefe Stimme brachte mich in die Realität zurück. "Weitermachen.", auf seinen Befehl hin stürmten bewaffnete Soldaten in den Raum. Eine Welle der Panik überkam mich. Meine Knochen begannen zu knacken, zu brechen, verschoben sich, schienen meinen Körper zu einem anderen zu machen. Ich landete auf allen Vieren. Geht weg! Lasst mich in Ruhe! Die Worte formten sich in meinem Kopf, doch nur ein langes, gefährliches Knurren drang aus meiner Kehle. Die Flügel waren diesmal ohne Federn. Erst jetzt merkte ich, dass ich mich duckte. Als ich mich ein wenig aufrichtete, luden die Soldaten ihre Gewehre und zielten auf mich. "Nicht!", Keng stellte sich zwischen die Fronten. Angst blitzte kurz in seinen Augen auf, dann zwang er sich zu einem Lächeln. "Süßes, du hast gezeigt was du bist. Wir respektieren dich. Kehr bitte nun in deine Menschengestalt zurück." Ich betrachtete meinen Körper. Ein Drache! Was hatten sie mit mir gemacht? "Es war ein Genexperiment" Keng sagte es als wäre es das Normalste auf der Welt. "Du hast Glück, du bist die Erste bei der diese...Veränderung funktioniert hatte.", ich starrte ihn an. Wovon zur Hölle redet er da? Genexperiment? Bleib ich jetzt für immer so...so? Nur noch zum Teil ein Mensch. Keng winkte einen der Soldaten zu sich, dieser trat zögerlich neben ihn. "Die Liste.", der Soldat nickte und verschwand. " Komm, verwandle dich zurück." , Kengs Stimme klang weich und lieb. Noch nie hatte er so mit mir geredet und noch nie hatte ich ihn so mit jemandem reden hören. Doch ich wusste, dass es nicht stimmte. Er war hart und böse. Ein leiser, klagender Ton entwich mir. Der Soldat kehrte zurück. Keng entriss ihm einen Bogen bedruckter Blätter und hielt ihn mir unter die Nase - Nein meine Schnauze, die Schnauze eines Monsters. Ich drehte meinen Kopf, sodass ich das Geschriebene mit einem Auge erfassen konnte. Es war eine Auflistung von Fabelwesen und Tieren und Prozentzahlen dahinter.

Drache: 12,3%
Einhorn: 12,2%
Elfe: 27,4%
Eule: 3,0%
Meerjungfrau: 9,0%
Mensch: 30,4%
Moonhunter: 5,7%

"Die Mischung aus Wolf und Pegasus wird als Moonhunter bezeichnet.", erklärte mir Keng sachlich, "Der Rest sollte ja klar sein. Die Prozentzahlen zeigen wie viel von den verschiedenen Genen circa, Abweichungen gibt es ja immer, in deiner DNA vorhanden sind. Wie du sehen kannst ist der größte Anteil an Genen von dir noch die eines Menschen."
Das alles wirkte so unrealistisch. Es war lächerlich. Aber statt zu lachen, rannen mir die Tränen über mein Gesicht.
"Nicole.", eine sanfte Stimme ließ mich meinen Blick von der Liste auf die Menschen vor mir lenken. Die Menschen, die mich aus meinem Leben gerissen hatten, an mir herumexperimentiert hatten um letzten Endes ein Monster aus mir zu machen. Ich spürte erneut wie die Wut in mir hochstieg. Dachte daran, dass sie plötzlich da gewesen war. Und das alles nur wegen eines Traumes.
In der Nacht musste ich im Schlaf mitansehen wie Olivia durch Keng's Schwert starb. Es geschah still, schnell und feige von hinten.
Doch jetzt war der Grund für diese unbändige Wut ein anderer, Hass. Hass auf diese Leute. Mir trat ins Bewusstsein was ich nun war und was hingegen sie geblieben waren. Die Folter der letzten Tage, die Unterdrückungen, die Vergewaltigungen. Alles weil sie tief im Inneren wussten, dass ich ihnen überlegen war - wenn ich mich nur trauen würde. Mein Kopf berührte die Zimmerdecke, meine Flügel streiften die Wände als ich mich zur vollen Größe aufrichten wollte. Ich war gefangen in Stein. Stein...Was hatte Keng gesagt? Stein...Stein...Ich schloss meine Augen. Je mehr ich mich auf die Wände konzentrierte, desto weniger gefährlich wirkten sie auf mich. Ich spürte eine Energie darin, die selbe Energie, die ich auch in mir spüren konnte. "Nicole!", Keng's Stimme überschlug sich vor Angst, "Kehr zurück!". Als ich die Augen öffnete sah ich die Energie. In vielen kleinen Verzweigungen floss ein dünnes, blassrosafarbenes Band durch das Gemäuer. Es pulsierte im Takt meines Herzschlages. Mein Herz pumpte ebenfalls ein solches Band durch die Adern in meinem Körper. "Raus! Raus hier!", die Soldaten drängten aus der Tür, "Keng! Komm!", Keng's Blick traf den meinen. Ich begann mir vorzustellen wie die Wände auseinander brachen und die Decke nieder krachte und alles unter ihren Trümmern vergrub. Nur mir im Körper eines Drachen passierte nichts. Die Wände begannen zu wackeln und Risse zogen sich rasant durch das Weiß. Pure Angst blitzte in den Augen Keng's auf. Nur Sekunden bevor der Raum in sich einbrach, schaffte Keng es in Sicherheit.
Neugierig betrachtete ich meinen Drachenkörper - kein Kratzer, keine Wunden - nichts an mir zeugte von von dem Einsturz. Mit Mühe schlug ich meine schweren Flügel auf und ab. Ich musste hier weg. Staub, Putz, Erde und kleine Steine stoben auf, die Bäume bogen sich unter der Luft, als ich ein paar Meter über die Wipfel aufstieg. Tiere flohen. Und ich floh auch, brach aus meinem Gefängnis aus. Die Sonne schien und der Himmel war klar. Hier oben wehte ein starker Wind und mir fröstelte es leicht. Am Horizont sah ich die Schemen der Alpen. Instinktiv zog es mich dorthin. Ich sehnte mich nach dem Schutz in der Kälte der Berghöhlen.

The no-name-revoluotionWhere stories live. Discover now