Neue Identität, neues Leben

EINS

Olivia

Der typische Meergeruch schlägt mir entgegen, als ich hinter Logan aus dem Flugzeug trete. Ich schließe für eine Sekunde die Augen und lächle. Ich liebe das Meer! 

Mein kleiner Bruder hüpft aufgeregt auf und ab, während ich ihn durch den riesigen Flughafen zur Gepäckausgabe führe. Seine Augen funkeln und er hat eines seiner seltenen Lächeln aus den Lippen, während er nach unseren Koffern Ausschau hält. Automatisch verzieht sich auch mein Mund und ich halte seine Hand etwas fester. Ich bin unendlich froh, dass wir am Flughafen von Los Angeles nicht entdeckt wurden und ohne Zwischenfälle nach Florida fliegen konnten. Jetzt sind wir in einem anderen Bundesstaat und tausende Meilen von unserer Heimatstadt entfernt. Tausende Meilen von allen entfernt, die uns das Leben zur Hölle gemacht haben.

Logan zieht aufgeregt an meiner Hand und deutet nach vorne, als er unsere großen Reisetaschen sieht und gemeinsam nehmen wir sie vom Gepäckband. Wobei von gemeinsam nicht wirklich die Rede sein kann. Mein Sechs-jähriger Bruder strengt sich zwar an, um mir zu helfen, aber das gelingt ihm bei den schweren Taschen nicht so recht. 

Gemeinsam schieben wir wenig später den Gepäckwagen aus dem Flughafen und steigen in eines der wartenden Taxis. Ich nenne dem Fahrer unsere neue Adresse und schon wenig später fahren wir vom Flughafengelände und mitten ins Zentrum von Jacksonville. Logan schaut staunend aus den Fenstern, was ich ihm bei der schönen Aussicht und dem herrlichen Wetter nicht verübeln kann. Wolkenkratzer, riesige Brücken und lange Strände ziehen an den Fenstern vorbei  - solange bis das Taxi vor einem schicken, weißen Mietshaus hält. 

Ich reiche dem Fahrer das Geld und Logan und ich steigen aus. Ich schaue staunend an dem weißen Haus mit den vielen in sich verschlungenen Verzierungen und den hübschen Balkonen nach oben, während der Taxifahrer die beiden Reisetaschen auf den Bürgersteig stellt und davon rast. Samuel hat gesagt, dass es die Wohnung im obersten Stock ist, die Logan und ich von nun an bewohnen werden. 

Samuel ist jemand, zu dem man geht, wenn man eine neue Identität braucht. Er fälscht alles, Ausweise, Führerscheine, Kreditkarten, Geburtsurkunden und vieles mehr. Außerdem kümmert er sich, wenn man das will - und bezahlen kann - auch um ein Smartphone, einen Laptop, eine Wohnung und einen Wagen, welche natürlich schon auf den neuen Namen gemeldet sind. Er hat mir sogar den High-School Platz und Logan einen Platz an der Elementary-School ganz in der Nähe besorgt.
Ich bin mir sicher, dass er keinem von all dem erzählen wird. Denn wenn man auf der Straße hörte, dass er jemanden verraten hat, mit dem er Geschäfte gemacht hat, kann er seine kleine Fälscherwerkstatt gleich schließen.   

Ich reiche meinem kleinen Bruder den Wohnungsschlüssel. "Willst du schon einmal voraus flitzen? Es ist die letzte Wohnung." Logan nickt aufgeregt, schnappt sich den Schlüssel aus meiner Hand und ist im nächsten Moment auch schon durch die Haustür verschwunden. Ich beeile mich ihm mit den Taschen zu folgen, ehe die Tür wieder zufällt. 

Im vierten Stock angekommen, sehe ich sofort die offene Wohnungstür auf der linken Seite der Treppe. Rechts ist auch eine Wohnung, die laut dem Namensschild auf der Klingel, von gewissen Emily & Leonard Kingman mit Jack bewohnt wird. Ich schaue mich nach unserem Klingelschild um, welches ich innerhalb von Sekunden entdecke:Isabella und Spencer Torres

Lächelnd betrete ich die schön eingerichtete und große Wohnung und schließe mit dem Fuß die Tür. Sie ist durch die vielen riesigen Fenster recht hell und wirkt durch die weiße Möbellierung noch größer, als sie sowieso schon ist. Vom Flur aus links ist ein kleines Gästebad und ein winziger Abstellraum mit Waschmaschine und Trockner, rechts und garadeaus sind zwei Türbögen, die direkt in die Küche und das geräumige Wohnzimmer führen. Ich stelle die beiden Taschen ab und sehe mich weiter um. Das Schwarz der langen Küchenzeile und der dazugehörigen Theke lässt den Raum zwar etwas kühl wirken, aber auch geschmackvoll und modern. Die andere Hälfte des Zimmers beherbergt eine unglaublich bequem aussehende Couch und einen Flachbildfernseher. Außerdem stehen hier noch ein paar leere Bücherregale und ein Schreibtisch samt Bürostuhl, Lampe und einem nagelneuen Laptop. In der linken Ecke ist eine Wendeltreppe aus hellem Holz und mit einem Glasgeländer. Ich steige langsam die Stufen hinauf, als mir auch schon Logan aus einem der Zimmer entgegen kommt. "Bekomme ich das?", er deutet auf den Raum, den er soeben verlassen hat und ich schaue ihn mir genauer an.