Kapitel 1

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Als ich aus dem Zug ausstieg, wartete mein Bruder bereits am Gleis auf mich. Ich lief im schnellen Schritt auf ihn zu, wobei es mir mein Rucksack und der Koffer, den ich hinter mir herzog ziemlich schwer machten, und mit meinem breiten Grinsen im Gesicht entlockte ich Aiden ein kleines Lachen. Ich fiel ihm mit viel Schwung in die Arme, und vor lauter Aufregung endlich in New York und bei meinem Bruder zu sein, bemerkte ich nur beiläufig wie mein Koffer ein paar Meter weiter rollte als ich ihn losließ, bis er dann zum Stehen kam. Aiden löste sich aus der Umarmung und schnappte sich schnell den Koffer, bevor auch nur jemand auf die Idee kommen könnte ihn mitgehen zu lassen.
"Ich hab dich wirklich vermisst, Drew.", erklärte er mir verlegen.
"Ich hätte zwar nicht erwartet, dass ich meinen nervigen großen Bruder mal vermissen würde, aber ich muss zugeben, dass ich das wohl habe.", gebe ich scherzhaft zurück und nehme ihn gleich noch einmal in die Arme.
"Und wie geht es jetzt weiter?", frage ich neugierig, als ich mich wieder von ihm löse, da ich keine Ahnung habe wie mein Bruder sich normalerweise in dieser Großstadt fortbewegt. "Wir laufen zu meiner Wohnung.", sagte er. "Es sind zwar ein paar Blocks, aber glücklicherweise sind heute früh noch nicht so viele Leute hier unterwegs."
"Alles klar.", normalerweise bin ich kein großer Fan von langen Strecken zu Fuß, aber es war eine gute Gelegenheit mir ein eigenes Bild von der Stadt zu verschaffen, und außerdem war Aiden bei mir, den ich jetzt schon seit mehreren Monaten nicht mehr gesehen hatte, da er nur selten, und meistens an Feiertagen, nach Hause kam, um mich und meine Familie zu besuchen. Er war vor etwa einem Jahr nach New York gezogen, um hier an der NYU studieren zu können. Doch jetzt waren Semesterferien, und ich hatte mich entschlossen ein paar Wochen bei Aiden in New York zu verbringen.
Mein Bruder wohnte in East Village, ein Stadtteil von New York City.
"Wie geht es dir, Drew?", fragte er mich vorsichtig während er meine Koffer die Treppen hinauftrug, und wir uns einen Weg aus der Bahnstation bahnten. "Ganz gut, wenn man davon absieht, dass sie mich an der Columbia nicht genommen haben.", sagte ich frustriert. "Ja, Mom hat mir davon erzählt. Ich wollte nur sicher gehen, dass du okay bist, und es dich nicht zu sehr mitgenommen hat."
Aiden kannte mich zu gut, um davon auszugehen, dass es mich 'nicht zu sehr mitgenommen hatte'. Er wusste, dass es mein Traum war auf der Columbia angenommen zu werden. Es gab keine Alternative. Meine Mutter hatte es geschafft, und ich wollte es auch schaffen. Und ich hätte es geschafft, wenn ich nur die Hilfe meiner Mutter angenommen hätte. Meine Mutter war eine angesehene Geschäftsfrau. Sie besaß sogar eine Firma zusammen mit meinem Vater, und sie besaßen auch hier in New York ein paar Gebäude. Ihr Status hätte mir zu meinem Glück verholfen, doch für ein einziges Mal in meinem Leben wollte ich unabhängig von ihr sein. Natürlich liebte und schätzte ich sie, doch ein Leben in dem ich mich fühlte als würde ich im Schatten meiner Familie stehen, war anstrengend. Es gab Erwartungen zu erfüllen, und ich hatte versagt. Und das schlimmste daran war, dass meine Mutter, das von Anfang an erwartet hatte. Sie hatte es mir nicht gesagt, aber das war auch nicht nötig gewesen. Ich war Drew Jordan, die Tochter von Olivia Jordan, und mehr würde ich wahrscheinlich auch nie sein.
Ich seufzte, und als Aiden bemerkte, dass keine Antwort kam, fragte er: "Hast du schon eine Idee was du jetzt machen möchtest? Dich vielleicht bei einem anderen College bewerben, und nächstes Semester anfangen?"
"Ich weiß nicht, aber ich werde die Zeit hier nutzen, um es herauszufinden, ohne mir zu viel Druck zu machen.", antwortete ich.
"Und ich werde dir dabei helfen so gut ich kann.", er lächelte mich zuversichtlich an. Ich lächelte zurück, denn ich wusste, dass er es so meinte. Als wir die letzten Stufen nach oben gingen, und langsam Tageslicht zu sehen war, machte sich Erleichterung in mir breit. Ich war endlich da. In einer Stadt, in der mich keiner als die Tochter von Olivia Jordan kannte, und keiner wusste, dass ich gerade keinerlei Aussicht auf eine verheißungsvolle Zukunft hatte. Und auch, wenn eine neue Stadt, die mir bis jetzt noch vollkommen fremd war, nicht mit Freiheit gleichzusetzen war, wusste ich, dass New York City mir erlauben würde, ich selbst zu sein.

UncontrollablyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt