One

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 „Mr Tomlinson, sind Sie soweit?" Die Plane des Zeltes wurde beiseite gezogen und mit einem leicht genervten Gesichtsausdruck lugte der Personenschützer ins Innere des Zeltes.

Hier herrschte das absolute Chaos, denn Louis hatte sein Notizbuch nicht gefunden und daher alle Kisten und Schränkchen auseinander genommen. Nun war der festgetretene Lehmboden übersäht mit Bücher, Zetteln, Messtabellen, Zeichnungen und allerlei Krempel, den Louis auf die Expedition mitgenommen hatte. Manch einer hätte vielleicht behauptet, es sei zu viel, doch wenn man auf eine lange Reise ging, die mehrere Monate andauerte und dazu noch per Segelschiff unterwegs war, durfte man einfach nichts vergessen. Zuhause in London stand nun sicherlich nichts mehr in seinem Arbeitszimmer, außer einem leeren Schreibtisch. „Ich bin gleich soweit, geben Sie mir eine Minute", sagte Louis und stopfte einen Bleistift in den Lederrucksack. Vergeblich versuchte er, die Schnallen zu schließen, doch es gelang ihm nicht, das Ding war einfach viel zu voll.

„Ich will wirklich nicht ungeduldig sein, aber wir müssen vor Einbruch der Dunkelheit wieder im Lager sein." Langsam wurde der Bodyguard wirklich ungeduldig und hängte sich sein Gewehr wieder über die Schulter. „Mr Styles, es ist mir durchaus bewusst, dass wir einen straffen Zeitplan haben, aber wenn ich etwas vergesse und aufgrund dessen nicht in der Lage sein werde, eine Entdeckung festzuhalten, wirft uns das weiter zurück, als es eine Stunde mehr oder weniger tun würde." Louis hob die Brauen und Mr Styles sagte nichts mehr. Er sah ihn lediglich an und hielt auffordernd die Plane zur Seite.

Im Hinausgehen griff Louis noch nach seinem Strohhut und setzte ihn sich auf den Kopf, dann trat er hinaus ins Freie. Der warme Wind des Meeres, wehte über den Strand und trug den Geruch von Muscheln und Algen zu ihm hin und Louis blieb kurz stehen. Es war erst 10 Uhr am Morgen und doch war vom Urwald her schon einiges an Lärm zu hören. Das war wie Musik in Louis' Ohren. Wie lange hatte er darauf gewartet, endlich die ganzen Pflanzen und Tiere erforschen zu können und neue Entdeckungen zu machen. Und nun waren sie schon zwei Wochen hier - drei weitere würden folgen – in denen er nichts anderes tun würde, als durch das wilde Dickicht zu streifen und jede Pflanze einzusammeln, die ihm neu war. Die Universität von London würde sich über die neuen Exponate sehr freuen und vielleicht winkte ihm ja auch eine Auszeichnung Queen Victorias für besondere Verdienste der Britischen Krone.

Es war schwer im Sand zu gehen und man kam nur sehr langsam voran. Mr Styles, der deutlich längere Beine hatte, als Louis selbst, war schneller am Rand des Urwaldes angekommen und wartete dort auf ihn. „Welche Route gedenken Sie heute zu nehmen, Sir?", fragte er Louis, als er bei ihm angekommen war und legte den Kopf schief. Louis mochte diesen Blick ganz und gar nicht, denn er gab ihm das Gefühl, dass er schon wissen musste, was er geplant hatte. Dabei ließ Louis sich doch am liebsten von seinem Instinkt lenken und schlug den Weg ein, den ihm ein Geruch einer Pflanze oder das Zwitschern eines Vogels vorgab. Mr Styles hingegen wusste gerne, was geplant war, denn er hatte in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft den Urwald ein wenig auf eigene Faust erforscht und wusste, wo Gefahren lauern konnten. Louis und Mr Styles gemeinsam funktionierten nicht wirklich gut, denn sie widersprachen sich ständig. Und doch war Louis auf den Schutz des Soldaten angewiesen. Sollten sie einem wilden Tier begegnen, würde er es niemals töten können. Mr Styles hingegen konnte das durchaus – und genau aus diesem Grund war er mitgekommen.

„Mr Tomlinson?" - „Lassen Sie uns an diesen Wasserfall gehen", sagte Louis, reckte das Kinn und spazierte an dem Mann vorbei, schob große Blätter beiseite und trat in den Dschungel. 

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