Three

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Wenig später klammerte sich Louis an den biegsamen Ast und zog sich unter größter Anstrengung Stück für Stück nach oben. Sein Begleiter stand mit skeptischem Blick unten und beobachtete den Wissenschaftler. „Du bist verrückt. Das ist ein Blatt." - „Ein sehr wichtiges Blatt, Mr Styles. Davon haben Sie keine Ahnung", gab Louis ächzend zurück und war endlich mit der neuen Pflanze auf Augenhöhe. Jetzt musste er nur noch eine Hand lösen und das Blatt pflücken. Wenn das nur so einfach wäre. „Wenn du abstürzt, ist die ganze Expedition umsonst gewesen, das ist dir schon klar, oder Louis?", sagte Harry wieder. Er hielt gar nichts von seiner Begeisterung und dem Einsatz, den er zeigte, nur um an eine Pflanze heranzukommen. Doch das war Louis egal. Er war hier der Forscher und nicht Harry. Sollte er etwa umsonst vier Jahre Studium hinter sich gebracht haben, nur um dann eine neue Pflanzenart einfach zu ignorieren? Nein, das kam ganz und gar nicht in Frage. Mit zusammengebissenen Zähen, nahm Louis eine Hand von der Liane und nutzte eine schnelle Bewegung. Das Blatt verfehlte er knapp und musste schnell wieder an die Liane greifen. Sein Puls raste. Das hier war verdammt anstrengend. Sicherheitshalber wickelte er seinen Fuß um die Liane, um etwas besseren Halt zu bekommen und wagte einen zweiten Versuch.

 „Siehst du, es zahlt sich eben aus, wenn man genug Durchhaltevermögen hat", sagte er zu Harry, als er mit dem Blatt in der Hand wieder neben Harry auf sicherem Boden stand und das Blatt bedächtig zwischen die leeren Buchseiten legte, dass ihm Harry bereitwillig reichte. „Ja, du bist der Größte. Trotzdem kannst du nicht leugnen, dass es gefährlich war, dort hinauf zu klettern. Wie hätte ich einen Unfall erklären sollen?" Mit einem lauten Klatschen klappte er das Buch wieder zu und schob er zurück in Louis Rucksack. „Es ist meine Expedition, da muss ich manchmal eben auch unübliche Dinge tun, um meine Ziele zu erreichen." - „Natürlich musst du das", murrte Harry und stapfte Louis voraus weiter durch das Dickicht. Immer wieder versetzte er einem Gebüsch einen Hieb, um ihnen den Weg freizuschneiden und obwohl Louis wusste, dass sie ohne das Buschmesser nicht weit kommen würden, tat es ihm um die Pflanzen leid, die Harry mit diesem Messer gerade zerriss. „Ich kann Wasser hören. Vielleicht können wir dort unsere Flaschen auffüllen." Tatsächlich war das leise Plätschern von Wasser zu hören und nach wenigen Metern tat sich vor ihnen eine Oase auf. 

Ein kleiner Wasserfall entsprang von hohen, seltsam geformten Felsen und tauchte in einem Nebel aus kleinen Wassertropfen in einen Teich, der so klar war, dass er aussah, wie flüssiges Glas. „Oh meine Güte...", hauchte Louis und blieb stehen. Kleine Vögel schwirrten zwischen glockenartigen Blüten herum und ein Schmetterling von enormer Größe, flatterte durch Louis Blickfeld. „Das ist so wunderschön. Das musst du auch zugeben, oder Harry?", erwartungsvoll drehte er sich zu dem großen Mann um und durfte erfreut feststellen, dass auch ihn diese Schönheit ergriff. „Unglaublich. Sowas habe ich noch nie gesehen", sagte Harry leise und folgte mit den Augen ebenfalls dem Schmetterling. „Die Natur ist wohl doch nicht so uninteressant, wie du gedacht hast", grinste Louis, doch Harry packte Louis am Hemd und zerrte ihn rasch hinunter auf den Boden. „Was?" - „Dort hinten habe ich einen Schatten gesehen. Einen großen Schatten", sagte Harry leise und heftete die Augen auf ein Gebüsch auf der anderen Seite des Teiches. Auch Louis sah dorthin und in dem Augenblick schoben sich die Blätter auseinander. 

Ein Affe kam ans Ufer heran, beugte sich zur Oberfläche hin und trank das klare Wasser. Ein solches Tier hatte Louis bisher nur in Büchern gesehen und Harry wusste nicht, dass es solche Wesen überhaupt gab. „Ist es gefährlich?", hauchte er und seine Hand umschloss den Griff des Gewehrs. „Nein, nicht wenn wir es in Ruhe lassen. Lass uns einfach beobachten." Es war ein kleiner Affe und wenn Louis sich richtig erinnerte, war es ein Gorilla aus der Familie der Hominidae. Das Tier trank eine Weile, drehte sich dann bedächtig wieder um und verschwand im Gebüsch. „Wenn wir sowas mitbringen könnten, wäre das eine Sensation, meinst du nicht?", schlug Harry vor und Louis schüttelte den Kopf: „Ich bin hier wegen der Pflanzenwelt. Lass das Tier sein Leben weiterleben."

Sie sahen keine weiteren Tiere an diesem Vormittag am Teich und Louis brachte Stunden damit zu, einzelne Blätter zu zeichnen, zu pflücken und deren Wachstum zu beobachten. Er untersuchte die Umgebung und entdeckte eine kleine Höhle hinter dem Wasserfall.

Er selbst wurde unterdessen von Harry nicht aus den Augen gelassen, der auf einem Felsen saß und die Umgebung ständig absuchte, den Finger am Abzug des Gewehrs, auf alles vorbereitet. Doch der Tag war friedlich und als es zwischen den Bäumen langsam dunkler wurde, drängte er Louis zum Aufbruch. „Ich bin aber noch nicht fertig." - „Das ist mir gleich", entgegnete Harry und zog seine Taschenuhr aus der Hosentasche. Wir haben schon neun Stunden hier zugebracht und der Rückweg dauert auch noch an. Bitte, ich will mich hier nicht verlaufen. Wenn du möchtest, können wir gerne einen Umweg machen, damit du noch andere Pflanzen sehen kannst."

Damit war Louis einverstanden und so brachen sie auf. 


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