Part within War
„Wird ein ganz schöner Haufen Arbeit."
Ein Seufzen, Fingerknöchel knackten und übertünchten nur kurz das Keuchen und Stöhnen der Menschen, die vor uns auf der Straße umherwandelten.
Vielleicht war es das Geräusch ihrer verspannten Finger, vielleicht aber auch mein genervtes Schnauben, als einer diese Fremden den Kopf wandte und uns leer betrachtete. Es war kein Ausdruck eines Menschen, nicht mehr. Ich bezweifle, dass davor jemals etwas gewesen war, das an ein Denken erinnerte. An etwas, dass etwas darin gewesen war, welches Menschen angetrieben hatte. Von allein, und nicht dem wilden Hunger, der jetzt in seinen Augen aufflammte und in keuchendes Krächzen ausartete.
Sie kam auf uns zu, rempelte jemanden an, der humpelnd gegen einen Stein stieß und nun dem hektischen Treiben aus Gelenken und Gestöhnte folgte. Auch sein Blick blieb auf uns hängen, so verdammt leer. So traumatisch, dass mir die Kehle eng wurde und mein Schlucken laut zwischen uns wiederhallte.
Sie sah mich an, von der Seite so wie sie es immer tat, wenn Angst und Panik in der Luft lagen wie ein orientalischer Geruch. Ich kannte ihn gut. Es war, als würde man zwischen verschiedenen Würzständen hin und her pendeln und von jedem dieser etwas mitnehmen. Er kam, wenn wir zweifelten, wenn wir nicht wussten, ob der Schlag den wir führten, richtig bemessen war, nicht tödlich genug, um unser Leben zu retten.
Manchmal fragte ich mich auch, warum dieses Leben so wertvoll sein konnte, wenn man es mit Brutalität schützte.
„Angst?", fragte sie obwohl es eine Feststellung war. So wie sie es betonte, so wie sie alles betonte, seitdem die Pest eine neue Ära eingeläutet hatte. Es war eine willkommene Abwechslung gewesen, so wie das Lächeln, das sich nun über mein Gesicht stahl.
Aber auch ein einzelnes Lächeln konnte sich mit einem neuen Zeitalter verändern, wandeln.
Längst war es kein Zeichen der Freude mehr, eher benutzte ich es, um meinen Spott auszudrücken. Meinen Hohn und auch meine Verzweiflung. Der Unterschied von damals und heute bestand daraus, dass es keinen gab. Dass ich dieses Lächeln schon besaß, als ich alt genug war zum Laufen, rennen, schreien.
Es war mir bloß noch nie so sehr aufgefallen wie jetzt, in diesem Moment.
Meine Wangen spannten sich nur noch mehr, als ich einen Sebel zog und trocken erwiderte: „Angst lässt vergessen." Mit einer schnellen Bewegung fing sie die Waffe auf und wog sie in den Händen. Es war reine Routine, so wie man ein Brotmesser aus dem Besteckfach holte und es in der Hand drehte.
„Angst belebt", bestätigte sie sich einen stummen Gedanken. „Denk an die damalige Überbevölkerung." Die Klinge fuhr sirrend durch die Luft und ich hörte das was ich erhofft hatte, hören zu dürfen: ein angetanes Grunzen.
Sie wirkte zufrieden mit ihrem Säbel, auch nach so langer Zeit.
O ja, ein Monat konnte sehr lang sein. Ich glaubte nicht einmal daran, dass es einen danach gab. Alles endete, auch wir strebten dem Tod entgegen indem wir uns jeden Tag in der brütenden Hitze aus dem Haus trauten um uns dem zu stellen, was sich nun wie eine Wand vor uns aufbaute.
Eine laue Brise erfasste meine Lederjacke und verfing sich darunter in meiner Bluse. Es hätte lindern, hätte die Hitze aus meinem Körper vertreiben sollen, auch nur wenn der Moment so kurz wie ein Wimpernschlag gewesen wäre. Aber alles was es mir gab war die Erleuchtung dessen, wie sehr mein Körper litt unter der Sonne.
„Er wird stumpf", bemerkte sie, nachdem sich ein Lichtstrahl in der Klinge brach.
„So wie wir."
Ich hatte die Frau nicht aus den Augen gelassen, möglich wäre es auch nicht gewesen. Ihr Körper bestand nur noch aus hängenden Hautlappen, einem letzten Fetzen des Fleisches, aus dem sie einst gebaut war. Ihre Kleidung war nicht mehr als ein letzter Hauch. Blies man einmal kräftig, würden sie sich davonmachen. Vielleicht zu Boden fallen, aber auch mit dem Wind dahin treiben.
Ein kurzer Hieb von meiner Linken brachte sie zu Fall. Die Sneaker meiner Schwester schepperten von einer fremden Kraft getrieben in den Kopf des Wesens, das sich einmal Mensch genannt hatte. Sie gab keinen Ton von sich, atmete nicht einmal mehr aus, so wie es die Sterbenden nun mal taten, wenn der letzte Moment gekommen war.
Angewidert trat sie an den Rand des Bordsteins und rieb die Schuhsohle an dem saftig grünen Gras sauber.
„Warum tust du es auch, wenn es deine Schuhe versaut?", fragte ich genervt und es erinnerte mich an früher. An die Zeiten, in denen wir noch um Lappalien gestritten hatten- und es unseren Verstand mehr beschäftigte als jetzt diese Katastrophe, aus die sich niemand winden konnte.
Sie schenkte mir zwei angehobene Augenbrauen, fing an zu summen und endete erst, als sie den Schuh andächtig musterte. Sie waren nicht mehr fortzuwaschen, die Flecken der Verwesung, des Verderbens. Aber für sie reichte es aus.
Das musste es.
Ich zog mein Schwert, als der Mann sich näherte. Und mit ihm eine Welle aus stöhnenden, keuchenden und zähneklappernden Menschen, die es alle in sich trugen. Auch wir waren damit befallen. Es war hier und da, in der Luft und auch im Wasser. Ich sah es nicht, meine Schwester sah es nicht, aber wir wussten, es war da. So wie ein schlechtes Gewissen.
Sie wirbelte ihren Säbel in der linken, wechselte es in die rechte Hand und kurz blitzte es wie ein sich drehendes Wagenrad. „Vielleicht weil es mich befriedigt", beantwortete sie meine Frage, die so lange schon gestellt worden war.
Aber was war schon Zeit? Was war Ort und Dasein, wenn niemand mehr da war, um es zu bemerken oder zu nutzen?
Ich tippte mit meinen Fingern gegen die Kopfhörer, die links und rechts an meinem Hals ruhten. Ihr Gewicht drückte auf meinen Nacken und holte mich wieder zurück in die Gegenwart, aus der ich mich nicht hinausträumen konnte. Oder wollte.
„Kann's losgehen?", fragte sie, ich hörte das Grinsen als stünde sie genau vor mir. Auch davon wollte sich mein Kopf eine Erinnerung spinnen, die wir teilten, aber ich wischte sie weg, so beiläufig wie ich meinen Daumen über den Screen meines Handys bewegte.
Der Mann war so nah, dass ich ihn roch, so nah dass ich die Kälte spürte, die sein Körper, seine Hülle, ausstrahlte. Aber ich schenkte ihm nur einen kurzen Augenblick meiner unwichtigen Zeit, hielt ihr das Handy hin, bis ich ihren Fingerdruck darauf spürte. Das war das Zeichen unserer Bewegung, unserer Rebellion gegen das Schicksal, das sich gewaltsam gegen uns wandte wie ein anschwellender Sturm. Als ich das Handy zurückzog, verpasste ich der Hülle einen zackigen Stoß, der ihn ins Wanken brachte. Das Handy zeigte mir ein Wort:
Connected.
Mein Lächeln kehrte zurück und ein Hochgefühl brachte meinen Puls zum Rasen. Die Stille war vollkommen, wenn man die fremden Geräusche ausblendete, die inzwischen zu einem Chor aus Tod angeschwollen waren. Am schlimmsten war das Klappern der Zähne...
Ich atmete tief ein, spürte den Blick meiner Schwester auf mir ruhen, wartend, und sagte- nein, fragte mehr: „Ok Google?"
Es gab zwei Töne von sich, der Bildschirm wurde weiß und füllte sich kurz darauf mit Buchstaben, die mir eine Hilfe dessen sein sollten, was ich versuchte darin zu finden. Aber ich brauchte sie nicht. Nichts davon.
„Gib uns etwas Musik."
Es tönte erneut und eine metallene, weibliche Stimme erwiderte gehorsam: „In Ordnung, Musik von deinem Handy wird abgespielt."
Ich sah aus dem Augenwinkel wie meine Schwester ihre drahtlosen in-Ear Kopfhörer einsetzte, ich spürte wie ich meine Beats anhob und über die Ohren stülpte, bis ich taub war. Es sollte mir Angst machen, aber die Musik erstickte das Gefühl noch im Keim. Meine Boots wirbelten eine Wolke Staub auf, als ich das Gewicht verlagerte und mein Schwert lässig zu meiner Rechten hängen ließ. Mein Grinsen spiegelte sich auf ihrem Gesicht wieder und war das Einzige, das uns äußerlich zu Schwestern machte.
Mit beginnendes ersten Basses, des ersten Wortes, das der Sänger über seine nun totenLippen brachte, stürzten wir uns leichtfüßig in den Krieg, den wir uns ausgesucht haben zu gewinnen.
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A Torch Between A Forest
DiversosEine One-Shot Erzählungsperspektive. Kurzgeschichten, die mir im Laufe des Tages durch verschiedene Eindrücke zufliegen. (Das Cover ist zeitweilig beruht auf dem Copyright der Person, die es erstellte). Bei Fragen: Die Nachrichtenfunktion ist sich...