First

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Mein Magen krampft sich zusammen. Die Galle steigt mir in den Mund. Mein Bauch fühlt sich aufgedunsen und voll an. Ich überlege mir den Finger in den Hals zu stecken, doch ich weiß, außer Wasser, einem bisschen Gurke und einem Stück Apfel habe ich nichts im Magen, dass ich auskotzen könnte. Außerdem sitze ich in der Schule und das jemand mitbekommt, dass ich kotze, ist das letzte, das ich gerade brauche.
Seit gestern ist der hintere Teil meiner Zunge so angeschwollen, dass es nicht nur beim Schlucken weh tut. Die trockenen Stellen an meinem Zeigefinger sind schlimmer geworden und haben sich weiter gerötet - wahrscheinlich von der Magensäure. Ich kann mich kaum auf den Unterricht konzentrieren. Mein schmerzender Magen, das dringende Bedürfnis ihn wieder zu lehren, lenken mich ab. Manchmal frage ich mich, was andere sehen, wenn sie mich ansehen. Sehen sie meine Probleme, den Selbsthass, die Essstörung? Oder sehen sie nur ein junges Mädchen mit einem zu dicken Bauch und zu breiten Hüften. Magersucht sieht man angeblich Leuten an. Nun nicht alle Magersüchtigen sind rappeldürr. Als ich richtig tief in der Essstörung war, tagelang gehungert habe, sah ich immer noch normal aus. Ich hatte nie Untergewicht, war immer normal. Auch jetzt, wo ich mehr in der Bulimie, als in der Magersucht stecke, habe ich Normalgewicht. Klar, bulimische Personen sind selten untergewichtig. Trotzdem, bedeutet das, dass man weniger krank ist? Misst man die Schwere der Essstörung am BMI? Als meine Schwester meinen Eltern von dem Hungern erzählt haben, glaubten sie es nicht. Als es mir später besser ging und ich wieder normal aß und zunahm, meinte meine Mutter: „Du bist aber fett geworden, warum kannst du nicht wieder hungern." An diesem Punkt war mir klar, dass es nichts bringt darüber zu reden. Solange du nicht richtig dünn und wirklich krank aussiehst, glaubt keiner, dass du krank bist. Meine Mutter ist auch der Hauptgrund für mein gestörtes Verhältnis zum Essen. Jedes Mal, wenn es mir wieder besser geht, bekomme ich zu hören wie fett ich sei. Meine gestörte selbstwahrnehmung ist vor allem darauf zurückzuführen. Und doch kenne ich es nicht anders.

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