May's P.o.V.
Zufrieden überblickte ich das Hauptquartier. Inzwischen waren wir fast 40 Mädchen, und ich vertraute jeder von ihnen. Alle trainierten, einige übten den Nahkampf, andere das Schießen. Christy und Lara waren in der Küche um das Essen vorzubereiten und die drei Sanitäter füllten ihren Vorrat an Medikamenten und Verbandszeug auf. Es war wichtig für uns, gesund zu bleiben, wenn wir überleben wollten. In New Yorks Straßen zu überleben war nicht leicht, aber es war angenehmer in einer Gruppe. Ich hatte viele der Mädchen auf der Straße gefunden, wo sie sich schon Jahre lang allein durchgeschlagen hatten. Andere kamen aus guten Häusern, entsprachen aber nicht den Vorstellungen ihrer reichen Eltern. Doch das härteste Schicksal hatte wohl Lucy, meine Stellvertreterin. Sie war als Kind von ihrem Stiefvater missbraucht worden. Ihre Mutter hasste sie und sonst hatte sie niemanden. Sie lief weg, landete auf der Straße. Sie geriet fast jeden Tag in Prügeleien. Bis ich sie eines Tages rettete. Der Mann, der sie bedrohte, hätte sie vermutlich totgeschlagen, wenn ich nicht eingegriffen hätte. Zu dieser Zeit bestand meine Gang aus gerade einmal zwölf Mädchen, die sich einfach nicht mehr alleine durchschlagen wollten. Doch inzwischen hatte sich das verändert. Wir waren fast alle miteinander befreundet und vertrauten einander. Jungen gab es hier keine. Ich hatte damit ursprünglich verhindern wollen, dass die Mädchen abgelenkt wurden. Inzwischen hatte ich jedoch gemerkt, dass das nichts gebracht hatte. Einige Mädchen, zu denen ich selbst auch gehörte, waren bi- bzw. homosexuell, und diejenigen, die hetero waren, fingen einfach außerhalb ihres Ganglebens was mit Jungs an. Es war also nicht unbedingt verwunderlich, im Hauptquartier zwei Mädchen miteinander rumknutschen zu sehen. Doch aktuell waren alle mit ihrem Training beschäftigt, welches ich von der Galerie, die einmal um die komplette Halle herumlief, gut beobachten konnte.
„Hallo May", hörte ich jemanden hinter mir sagen. „Hi Sara", erwiderte ich ohne mich umzudrehen. Sara war unsere Computerexpertin und konnte auf dem Gebiet so ziemlich ALLES. „Was gibt's Neues?", wollte ich wissen. Sie trat näher an mich heran um mir ins Ohr zu flüstern. „Wir haben einen Eindringling!"
„Was?!", drehte ich mich zu ihr um. „May, beruhig dich-" „Nein! Wo ist er? Wie lange ist er hier? Und wie, verdammt nochmal, ist er hier reingekommen?" Ich atmete ein paar Mal tief durch. „Er versteckt sich aktuell in der Garage, ich weiß nicht, wie lange er schon hier ist und ich habe absolut keine Ahnung, wie er hier reingekommen ist!" Okay, okay. Keine Panik. Nur einer. Damit wurden wir schon fertig. „Lucy, Freya, Maddy, kommt mal her!", rief ich meine drei engsten Vertrauten zu mir. „Was gibt's denn May?", wollte Maddy wissen. „Sara hat festgestellt, dass wir einen Eindringling haben. Er versteckt sich in den Garagen. Ihr nehmt euch jetzt alle eine Pistole und dann schnappen wir ihn uns!"
Wenig später schlichen wir mit den Pistolen im Anschlag durch die Garage. Wir hatten vergleichsweise wenige Autos, trotzdem boten die wenigen, die hier standen, eine ganze Menge Versteckmöglichkeiten. „Lucy", rief ich sie zu mir, da ich einen Schatten hinter einem der Autos entdeckt hatte. Ich gab ihr mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass wir uns aufteilen sollten und schlich mich dann von links an. Schließlich entdeckte ich auch unseren Eindringling. Er saß mit dem Rücken zu mir, hatte mich offenbar noch nicht bemerkt. Ich drückte ihm die Pistole an den Hinterkopf. „Eine falsche Bewegung und ich drücke ab", warnte ich ihn. „Du bist alleine", gab er zurück. In genau diesem Moment kam Lucy uns von vorne entgegen. „Nein, bin ich nicht. Und jetzt steh ganz langsam auf", gab ich zurück. „Lucy, gib Freya und Maddy Bescheid" Sie nickte und entfernte sich von uns, um einen kurzen Pfiff auszustoßen.
Lucy und ich führten den Jungen mit vorgehaltenen Pistolen ins Hauptquartier. „Was machen wir mit ihm?", wollte Freya wissen. „Du und Maddy, ihr sperrt ihn erstmal ein", erklärte ich. Bei den beiden bestand immerhin keine Gefahr, dass er sie irgendwie um den Finger wickeln könnte, um ihn freizulassen. Kurz darauf stürmte eine Gruppe von Mädchen auf mich zu, die mich mit Fragen überschüttete. „Wer ist das?" „Wie ist er rein gekommen?" „Es ist ein Junge?" „Ist er süß?" „Wenn er süß ist, darf ich ihn bitte verhören?" „Ruhe!", brüllte ich schließlich. Sofort waren die Mädels still. „ Wir wissen nicht, wie er hier reingekommen ist. Und ich werde nicht riskieren, dass er eine von euch beim Verhör einwickelt und sie dazu bringt, ihn freizulassen. Das heißt im Klartext, ich werde ihn verhören."
„Hey, sorry für die raue Behandlung." Ich lehnte mich an das Gitter der Zelle und schaute zu dem Jungen hinein. Er saß still auf dem Bett und hatte sich noch nicht gerührt seit ich hier war. Jetzt hob er jedoch langsam den Kopf und schaute mich direkt an. „Schon okay, mir geht's gut." „Okay, hervorragend. Ich nehme an, dass du mich kennst und weißt, wo du hier bist, daher stelle ich mich jetzt nicht vor. Was hattest du hier zu suchen?", wollte ich wissen. Er schüttelte den Kopf. „Das kann ich dir nicht sagen." „Hör mal, Süßer, nicht alle Mädels sind hier so nett wie ich. Ich würde dir raten, es mir jetzt zu sagen, dann können wir das schnell und schmerzlos hinter uns bringen." Er schwieg weiterhin beharrlich. „Komm mal her", wechselte ich abrupt das Thema. Er stand langsam auf und ich musterte ihn kurz. Er war kaum größer als ich, mit dunkelblonden Haaren und braunen Augen. Insgesamt sah er schon nicht schlecht aus, aber davon würde ich mich ganz sicher nicht ablenken lassen. Er kam auf mich zu, bis er mir direkt gegenüber stand. Nur noch das Gitter trennte uns. Ich trat noch einen Schritt näher an ihn heran, sodass fast mein ganzer Körper seinen berührte und mein Gesicht nur noch einige Zentimeter von seinem entfernt war. Ich sah, wie sein Gesicht sich leicht rot verfärbte und musste lächeln. Einige Jungs machten es mir wirklich zu leicht. „Hör mir zu, Süßer. Entweder bist du ein Spion, ob für die Polizei, eine andere Gang, was weiß ich, und dann bist du wirklich, wirklich mies, oder du bist ein verwirrter Typ, der nur aus Versehen hier reingestolpert ist, was du mir aber auch einfach erzählen könntest. Also?" Ich sah ihn auffordernd an, dann streckte ich meine Hand zwischen den Gitterstäben hindurch und berührte leicht sein Gesicht. Er zuckte zurück, ich aber ließ meine Hand, wo sie war und, sah, dass ich mein Ziel erreicht hatte: Sein Gesicht war noch eine Spur röter geworden. „Du bist echt süß. So unschuldig. Ich wette, du hattest noch nicht mal deinen ersten Kuss", sagte ich und beugte mich so weit vor, bis ich seinen Atem auf meinen Lippen spüren konnte. „A.. also... ich...", stotterte er und ich lehnte mich wieder zurück. Es war immer wieder erstaunlich, welche Wirkung ein Mädchen auf einen Jungen haben konnte. Ich nahm meine Hand wieder weg von ihm und wandte mich zum Gehen. Für heute hatte ich genug getan. „Hey", hörte ich ihn mir nachrufen. „Ja?", wandte ich mich um. „Wie heißt du eigentlich?" „Ich bin May, aber ich vermute mal, dass du das sowieso schon wusstest. Und du?" „Ich heiße Thomas."
DU LIEST GERADE
My Bloody Gangster
RandomMary, von fast allen nur May genannt, ist die meistgesuchte Verbrecherin von New York. Ihre Gang, die Blue Eagles, sind in der ganzen Stadt aufgrund ihrer Skrupellosigkeit bekannt und gefürchtet. Doch was, wenn sich ihre knallharte Anführerin mal ve...