Kapitel eins

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Den Teil mit der Geburt und allem überspringen wir mal. Ich würde sagen mein fünfter Geburtstag wäre ein guter Zeitpunkt um anzufangen.

Wenn man fünf Jahre alt ist begreift man die Dinge die passieren wohl nicht so. Aber mit dem Wissen von heute merkt man schnell, dass einiges nicht so lief wie es hätte laufen sollen.
Wenn die Eltern sich streiten und einem erzählen, dass sie sich trennen, weint man vielleicht und man ist auch traurig. Aber am nächsten Tag geht man trotzdem einfach auf den Spielplatz und macht weiter wie vorher. Die wirklichen Ausmaße sind einem nicht klar.
Man merkt auch gar nicht, wie schlecht es seiner Mutter geht. Wie knapp das Geld wirklich war, dass sie oft Tage lang kaum gegessen hat, um wenigstens die Kinder satt zu bekommen.
Doch das sind alles Dinge die um einen herum passieren.
Wenn man zehn Jahre alt ist, kapiert
man auch nicht, dass man seine Oma nach ihrem Tod nie mehr Wiedersehen wird. Wie die Dinge sich immer mehr zum schlechten entwickeln und sich im Schrank deiner Mutter die Weinflaschen sammeln.
Aber wenn du dreizehn bist und deine Mutter fast ein Jahr nicht zu Hause ist, weil sie sich dauerhaft in Kliniken befindet - dann begreifst du die Dinge sehr wohl.
Du nimmst dein Leben selbst in die Hand und wirst schneller erwachsen.
Eigentlich wolltest du immer erwachsen sein, doch wenn du dann erwachsen sein musst, ist alles gar nicht so einfach.
Aber du schaffst auch das und lässt dich nie unterkriegen.
Du bist glücklich. Natürlich nicht immer, aber was nützt es dir den Kopf in den Sand zu stecken.

Genau das alles spielte sich in meinem Leben ab. Aber es ging wieder Berg auf. Nach dem Umzug in eine neue Stadt und einem Stiefvater, der deiner Mutter Kraft gibt, läuft alles viel besser.
Und hier befinden wir uns jetzt. Heute vor fünf Jahren saß ich mit meiner besten Freundin Sissy in unserer Klasse. Die Prüfungen für das Abitur stehen kurz bevor. Gestern habe ich erfahren, dass Sissy auf Tim steht. Mir ist das natürlich schon lange klar gewesen, aber sie hat es immer abgestritten weil er eigentlich ein ziemliches Arschloch ist. Jeder weiß wie viele Mädchen er schon hatte, aber er weiß auch wie man Mädchen um den Finger wickelt. Und Sissy ist seiner Masche verfallen. Aber um ehrlich zu sein wissen wir beide auch, dass niemals etwas zwischen Sissy und ihm passieren würde. Dafür ist sie viel zu unscheinbar. Wir beide. Wir verstehen uns zwar mit allen gut, aber sind nicht gerade typische Mädchen auf die Jungs stehen. Eher schüchtern und dadurch nicht so attraktiv auf andere. Ich erinnere mich noch genau an eine Situation in der ich mit Tim eine Gruppenarbeit machen sollte. Er hat mich gefragt wieso ich immer so lockere Klamotten tragen würde, die alles verdecken. Wieso ich keinen Ausschnitt zeigte. Ich wusste nicht wirklich was ich darauf antworten sollte. Ich fühle mich einfach wohler so. Schon diese Situation war mir leicht unangenehm. Als er dann sagte, ich würde immer wie ein scheues Reh gucken, merkte ich schon wie mir die Röte ins Gesicht stieg. Viele aus unserer Klasse bekamen das Gespräch mit und guckten zu uns rüber. Tim sah mich an und merkte, dass ich rot wurde und tat das schlimmste was er in dieser Situation tun konnte - er sprach mich darauf an. Er sagte ich bräuchte jetzt ja nicht gleich rot werden. Und was passiert wenn man von jemanden darauf angesprochen wird, dass man rot wird? Man wird abrupt noch doller rot. Mein Gesicht musste rot wie eine Tomate gewesen sein. Ich wollte einfach im Erdboden versinken. Vor Scham hielt ich mir das Mathebuch vors Gesicht. Tim lachte. Er meinte es wäre süß.
Ich wollte einfach sterben.
Ich glaub solche Situationen kennt jeder oder?
Aber ab diesem Punkt war mir klar, dass ich Jungs wie Tim nicht gewachsen bin. Das ich in ihren Augen immer eine kleine, schüchterne, graue Maus bin. Und so erging es auch Sissy. Vermutlich sind wir deswegen so gute Freunde. Weil wir uns einfach gegenseitig so gut verstehen.  
Wir unternehmen viel nach der Schule, verbringen unsere Wochenenden zusammen. Zusammen konnten wir sein wer wir waren. Wenn wir beide in der Freizeit zusammen sind, kommen wir uns gar nicht mehr so unscheinbar vor. Wir fühlen uns cool, haben viel Spaß und machen alles worauf wir Lust haben.
Wir machen uns keine Gedanken was andere über uns denken. Wir tanzen bis spät in die Nacht zu unseren Lieblingssongs, spielen Videospiele oder laufen im Dunkeln durch die Straßen und albern rum. Doch am besten sind unsere nächtlichen Fahrradtouren. Manchmal stellen wir uns sogar den Wecker um 4 Uhr morgens, nur um dann mit dem Fahrrad rumzufahren. Diese Stille der Nacht zu fühlen, die frische Briese auf der Haut spüren. Wir fühlen uns frei.
Das Ziel unserer Fahrradtouren ist immer ein etwas weiter entferntes Fastfood-Restaurant.
Wir bestellen immer das gleiche. Ein Chickenburger und ein Softeis, für jeden von uns. Mit unserer Ausbeute fahren wir an einen kleinen See in der Nähe des Fastfood-Restaurants und setzen uns dort auf eine Bank.
Egal ob Schnee liegt oder wir mit kurzen Hosen unterwegs sein können, da es eine laue Sommernacht ist.
Wir reden und lachen viel. Je nachdem wie kalt es ist manchmal stundenlang.
Das war ist Ritual.
Und wenn uns danach ist fahren wir wieder nach Hause, entweder zu ihr oder zu mir und gingen wieder schlafen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 02, 2018 ⏰

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