Das andere Ich

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Genervt wollte ich in die Küche gehen, als ich die Kellertür hinter mir zu schlagen hörte. Schnell drehte ich mich um, um in die roten Augen meines Bruders zu sehen.

„Hey, was hast du denn im Keller gemacht?" fragte ich ihn und sah ihn abwartend an. Er blickte mich mit großen Augen an, blinzelte ungefähr eine Minute nicht, ehe er an mir vorbei ging um in die Küche zu gehen.

„Hast du Hunger? Ich schon." verwirrt blinzelnd sah ich ihm hinterher, hielt ihn fest um ihm die gleiche Frage erneut zu stellen. Monoton musterte er mich.

„Wieso bist du so früh zu Hause?" lenkte er ab

„Ich bin nicht früher zu Hause als sonst auch. Also, wo sind Mama und Papa und warum warst du im Keller?" wieder antwortete er nicht, löste sich von mir und wollte erneut in die Küche, doch wieder hielt ich ihn auf.

„Wieso zum Teuf-" bevor ich aussprechen konnte, drehte er sich ruckartig zu mir und schlug mir hart mit seiner flachen Hand ins Gesicht. Er entriss sich meinem Griff und ging in die Küche. Ich brauchte Zeit, um das Geschehene zu verarbeiten, denn geschlagen hat er mich noch nie...

Übel nahm ich es ihm nicht, ich nahm ihm nie etwas übel. Selbst wenn er mal wieder Scheiße baute und die Polizei vor unserer Tür stand. Immer nahm ich die Schuld auf mich, was glücklicherweise gut funktionierte, aufgrund unseres identischen Aussehens. So gut wie niemand wusste von ihm, nicht einmal unsere Nachbarn. Ich hatte schon etliche Anzeigen, obwohl ich es nicht war. Doch jedes Mal, nahm ich die Schuld auf mich, damit er nicht in die Klapse kam. Selbst als er vor gut einem Jahr die Katze von unseren Nachbarn umbrachte. Spätestens da, hätten wir reagieren müssen, doch wir liebten ihn alle zu sehr, wir konnten ihn nicht wegschicken. Später war dies wohl unser größter Fehler.

Ich folgte ihm also nach langer Zeit des Nachdenkens in die Küche , um ihn schluchzend auf dem Boden vor zu finden. Er saß angelehnt an der Theke, mit den Knien zur Brust gezogen auf dem Boden, wimmerte immer wieder wie leid es ihm täte, dass er es nicht wollte, doch Sie haben es ihm befohlen. Schnell hockte ich mich zu ihm, umarmte ihn fest.

„Es ist alles okay... keine Sorge. Das passiert mal." unsicher sah er mich an

„Ja?" Er kam mir vor wie ein getretener Welpe, sah mich aus den gleichen braunen, großen Hundeaugen an.

„Ja." beruhigend lächelte ich ihn an, was er leicht erwiderte. Er kuschelte sich etwas an mich, bis er plötzlich aufstand und anfing sich Essen zuzubereiten.

Wieder fiel mir der Keller ein und ich fragte mich auch sogleich, was er nun da unten gesucht hatte.

„Wieso warst du im Keller?"

„Ich habe ein altes Nintendo Spiel gesucht, aber ich habe es nicht gefunden." verwirrt sah ich zur Tür, lehnte mich an die Theke.

„Ehm... du weißt doch eigentlich, dass Spiele und so ähnliches auf dem Dachboden sind?" kurz legte er das Messer weg und betrachtete mich mit schiefgelegtem Kopf.

„Oh..." ohne noch irgend etwas anderes zu sagen, wandte er sich wieder seinem Essen zu .

„Ich geh mal aufs Klo" nickend deutete er mir, dass er mich verstanden hatte und schon ging ich aus dem Raum, doch anstatt ins Bad zu gehen, ging ich in den Keller. Schon als ich die Tür öffnete kam mir ein starker Kupfergeruch entgegen. Kurz verzog ich das Gesicht und ging langsam und leise die Treppe runter. Der Geruch wurde immer stärker, sogar so stark, dass ich mir die Nase zu halten musste. Als ich unten ankam , sah ich nichts, rein gar nichts. An der Wand entlang schleifend, suchte ich den Lichtschalter, bis ich ihn auch fand. Schnell machte ich ihn an, um kurz darauf geschockt festzustellen, dass ich ihn lieber hätte aus lassen sollen.

Vor mir lagen die Leichen meiner Eltern in einer riesigen Blutlache. Meiner Mutter wurden die Nägel raus gerissen und die Finger gebrochen, wodurch diese jetzt stark angeschwollen und verfärbt waren. Während mein Vater keine Zähne mehr hatte und sein Bauch grün und blau geschlagen wurde. Doch umgebracht wurden beide durch einen tiefen Schnitt in den Hals.

Gerade wollte ich auf den Blut verschmierten Tisch zugehen, um zu sehen, was sich darauf befindet, auch wenn ich es mir schon ausmalen konnte. Doch ich wollte es nicht glauben, ich wollte nicht glauben dass mein Bruder unseren Eltern so etwas angetan hat. Bevor ich allerdings einen Schritt auf den Tisch zugehen konnte, wurde ich von einer emotionslosen Stimme aufgehalten.

„Was machst du hier?", schnell drehte ich mich um, sah meinen Zwillingsbruder dort ganz einfach stehen, als wäre nichts vorgefallen, als lägen hier nicht die Leichen unserer Eltern!

„Was ich hier mache?" geschockt und sprachlos sah ich ihn an, wusste nicht was ich antworten sollte „Wohl eher: Was machst du hier?! Wieso hast du das getan?!" ich schrie. Zum ersten mal in meinem Leben, schrie ich meinen Bruder an und es tat mir nicht leid. Er hatte unsere Eltern getötet! Einfach so! Wie konnte er das tun?!

„Es hatte seine Gründe." immer noch emotionslos sah er mich an, kam langsam auf mich zu, doch mit jedem Schritt, den er näher kam, ging ich einen zurück. Bis ich gegen den Tisch stieß und mich auf ihm abstützte, wobei ich direkt in das Blut unserer Eltern fasste. Mit Tränen in den Augen, sah ich nach hinten, auf den Tisch, entdeckte jede Menge Werkzeuge, einige davon mit dem Blut meiner... nein, unserer Eltern befleckt. Ich hörte ein leises Platschen. Mit meinen Augen suchte ich die Quelle des Geräuschs, um sie in einem Messer wieder zu finden, welches etwas über den Tischrand hinaus ragte und von welchem immer wieder Bluttropfen auf den Boden fielen. Ich schluchzte auf, sah zu meinem Zwillingsbruder. Ich sah Mir, Meinem identischen Spiegelbild, in die Augen. Mir liefen die Tränen über die Wange, bis zu meinen Lippen, wo sie einen salzigen Geschmack hinterließen. Ich schloss die Lider, wollte ihm nicht weiter ins Gesicht sehen.

Er packte mich, schleuderte mich auf den Boden. Meine vorher zugekniffenen Augen, öffnete ich wieder, starrte auf den toten Körper meiner Mutter. Ich schrie auf, rutschte an die Wand , um so weit entfernt wie möglich zu sein.

Er kam auf mich zu, packte mich erneut und zwang mich auf die Knie. Drückte mir einen Knebel in den Mund und band diesen hinter meinen Kopf fest. Meine Hände band er hinter meinem Rücken. Ich schüttelte schnell den Kopf, versuchte den Knebel aus meinem Mund zu bekommen. Mein Bruder riss meinen Kopf an meinen Haaren nach hinten, musterte mich mit einem zufriedenem Grinsen auf dem Lippen.

„Weißt du... es fasziniert mich... das Blut fließen zu sehen, wie mit jedem Milliliter ein Stück mehr Leben aus dem Körper entfleucht. Ich liebe es, das warme Blut auf meiner Haut zu spüren, den Geruch. Und die Blicke der Opfer" er sah rüber zu unseren. Nein. Meinen Eltern.

„Du hättest dabei sein sollen, diese flehenden, elenden Blicke der beiden. Wie Papa mich anflehte, Mama in Ruhe zu lassen. Herrlich... die erstickten Schreie durch den Knebel, wie sie zitterten und zuckten. Und schlussendlich an ihrem eigenem Blut erstickten..." er kicherte verrückt, sah mir direkt in die Augen.

„Wie ihr Körper erschlaffte, ihre Augen trüb wurden. Papa weinte... es war so witzig und so leicht ihn umzubringen..." hauchte er. Schwer schluckend sah ich ihn an, die Tränen liefen weiterhin aus meinen glasigen Augen. Ich schüttelte leicht den Kopf, konnte nicht glauben, dass das mein Bruder sein sollte.

Ich kniff die Augen zu, betete , dass dies doch bitte nur ein Traum sei, doch eine schallende Ohrfeige, welche meinen Kopf zur Seite schleuderte, brachte mich wieder in die reale Welt. Das war mein Bruder. Der Junge der mir gegenüber stand, welcher unsere Eltern umbrachte, war mein Zwillingsbruder.

„Du wirst genauso enden." er richtete sich auf, nahm sich ein Messer und rammte es mir immer wieder in dem Bauch. Beim ersten Stich, schrie ich noch erstickt auf, doch je mehr es wurden, desto weniger konnte ich sehen. Meine Sicht wurde verschwommen. Er ließ das Messer in meinem Bauch stecken, ließ mich los, sodass ich seitwärts auf den Boden fiel und mich nicht mehr bewegen konnte. Kurz kicherte er und ging zu einem Stuhl, den ich jetzt erst bemerkte. Er setzte sich und sah mir still und fasziniert bei meinem Leiden zu. Ich schluchzte immer wieder gedämpft, kniff die Augen zu. Dieser Schmerz war unerträglich...

Der Knebel bohrte sich bei jedem Versuch zu schlucken mehr in meinen Rachen.

Zum ersten mal in meinem Leben verfluchte ich meinen Zwillingsbruder. Ich bereute es, ihn jedes mal gedeckt zu haben und fühlte nichts weiter als Hass ihm gegenüber.

PsychoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt