Warum sieht niemand die Verzweiflung?

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Hoseok


Warum konnte niemand sehen, wie sehr ich litt? Wie schmerzhaft meine eigenen Gedanken waren und wie heftig ich gegen meinen eigenen Körper kämpfte? Niemand konnte es sehen.

Doch ich wollte es auch nicht. Sie sollten sich keine Sorgen um mich machen. Ich wollte ihr Sonnenschein bleiben. Ich durfte mir keine Fehler leisten und niemals durfte ich meine Gedanken verraten.

Es war so schwer.

Meine Gedanken kreisten in meinem Kopf und ich konnte ihnen nur nachgehen, weil die anderen noch ihre Aufnahmen machten, meine waren bereits seit zwei Tagen fertig. Ich war allein in unserem Dorm. Allein in meinem Zimmer. Alles wirkte dunkel, ich hatte das Licht noch nicht angeschaltet, obwohl draußen die Sonne bereits untergegangen war. Mit ihr war auch meine Kraft verschwunden. Die kleinste Bewegung fiel mir schwer und der Gang zum Lichtschalter kam mir wie eine unüberwindbare Herausforderung vor.

Meine Hüfte schmerzte. Ich hatte mich an irgendeiner Kante gestoßen, das kam häufiger vor. Ich wusste nicht, ob mein Körper das mit Absicht tat oder aus Unaufmerksamkeit, doch ich genoss den Schmerz auf eine seltsame Art und Weise.

Ich war zu schwach, die Klinge über meine Haut tanzen zu lassen, wie ich es manchmal gern tun würde. Die blauen Flecken waren schmerzhaft, aber nur von kurzer Dauer, sie würden bei den Fans keine Befürchtungen hervorrufen, zumal sie durch meine Kleidung verborgen wurden.

Ich war nicht gut genug. Ich trainierte so hart, wie ich nur konnte, doch es reichte nicht, um mit den anderen mithalten zu können. Sie wären ohne mich besser dran.

Meine Nase kribbelte, als ich die Tränen aufkommen spürte. Normalerweise würde ich sie zurück drängen, aber weshalb die Anstrengung.

Warum bemerkten die anderen nicht, wie ich mich fühlte? Warum war es ihnen egal, dass ich nicht mehr vernünftig aß? Warum sahen sie die Flecken auf meiner Haut nicht? Warum?

Meine Finger fanden einen Bluterguss an meinem Oberschenkel und drückten fest zu. Der Schmerz fühlte sich vertraut an, willkommen. Ich drückte zu, bis ich zischte und die Tränen den Stoff meiner Hose benetzten.

Warum gelang es mir jedes Mal aufs Neue zu lächeln, wenn Jin fragte, wie es mir ging, oder Jimin fragte, ob es weh tat, wenn ich mich am Tisch angestoßen hatte? Warum konnte ich sagen 'Nein, alles okay' oder 'Ist nicht so schlimm', 'Mir geht es gut'? Warum konnte ich ihnen eine Maske zeigen? Und warum konnten sie die Maske nicht von meinem wahren Gesicht unterscheiden?

Ein zittriges Schluchzen entrang sich meiner Kehle.

Warum konnte niemand sehen, wie sehr ich litt?

Ich erstarrte, als im Flur das Licht anging. Ich konnte sie lachen hören.

Der schmale Lichtschein unter meiner Tür schien wie eine Barriere zwischen meiner Dunkelheit und ihrem Licht.

Jeden Moment konnte die Tür aufgehen und einer von ihnen würde mich so sehen.

Im Dunkeln an meinem Fenster sitzend. Verheult und schwach. Verzweifelt.
Das durfte ich nicht zulassen.

Ich richtete mich langsam auf und trat an mein Bett heran, schob mich unter die kalte Decke. Mein Gesicht war noch immer zum Fenster gerichtet.

„Hyung, willst du nicht-“, platzte Jungkook, unser Maknae, in mein Zimmer, hielt aber inne, als er bemerkte, dass ich 'schlief'.

„Hoseok-Hyung, Jin-Hyung sagt, in zehn Minuten gibt es Essen“, sagte er etwas leiser und ich murmelte irgendetwas Unverständliches vor mich hin. Ich war froh, als meine Stimme die Tränen nicht erahnen ließ.

Warum sieht niemand die Verzweiflung? (Hoseok OS)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt