first chapter

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A l l t a g

Grinsend strecke ich beide Daumen in die Höhe und werde in eine Umarmung gezogen. Ich lege mein Kinn auf seine Schulter und rieche das CK- Parfum, das ich ihm zu seinem zwanzigsten Geburtstag geschenkt habe. Er trägt es jeden Tag.

Als wir uns wieder aus der Umarmung lösen, fröstele ich leicht. Ich habe vergessen, dass ich nur in Unterwäsche hier draußen auf dem Dach stehe.
Augenblicklich legt er mir seine Jacke um und schiebt mich, die Hand auf meinem Rücken platziert, zur Tür.

Drinnen ist es wohlig warm, aber ich beeile mich dennoch, in mein Shirt und meinen Jeansrock zu schlüpfen. Dann ziehe ich die Lederjacke von Sebastian wieder an, sie riecht so gut.

Sebastian wartet vor der Tür. Er darf, verständlicherweise, nicht mit in die Mädchenkabine. Als er sieht, dass ich seine Jacke trage, lächelt er mich an und geht dann neben mir die Treppenstufen hinab.

„Hast du Hunger?", fragt er.
Zur Antwort nicke ich bekräftigend. Das ganze Shooting über habe ich mich so stark konzentriert, dass ich gar nicht gemerkt habe, wie mein Magen grummelt. Den plötzlichen Heißhunger verspürend, blicke ich Sebastian bittend an und frage: „Spanier?"
Spanisches Essen ist mein Liebstes. Auch wenn ich keine Ahnung habe was genau es da gibt.

Sebastian seufzt leise, rollt spielerisch mit den Augen und setzt sich dann in Bewegung in Richtung kleine Kneipe.
Die kleine Kneipe ist der Spanier. Auch wenn das Essen bis auf Pizza, auch nicht gerade spanisch, un identifizierbar ist, der Alkohol und Salate hauen einen glatt vom Hocker. Wortwörtlich. Tatsächlich habe ich mich dort schon ein paar Mal betrunken, aber das war vor ein paar Jahren. Bevor ich dem Vertrag mit der Model- AG unterzeichnet habe.

„Wie war das Shooting?", reißt Sebastian mich aus meinen Gedanken.
„Gut, sehr gut. Ich musste heute auf einem hängenden Fahrrad fahren. Das war ganz schön hoch. Und dazu noch schön aussehen?! Ich habe das wirklich nur mit Mühe hinbekommen. Aber die Shootings danach waren toll. Zusammen mit diesem Male Model von gestern, habe ich in Unterwäsche auf diesem riesigen Bett geshootet. Er ist echt lustig. Nicht so steif wie diese anderen Typen, mit denen ich sonst immer vor der Kamera stehe", ich verdrehe die Augen und schüttele den Kopf. ‚Zumal der Typ heute echt heiß war' fügte ich noch in Gedanken hinzu.

Sebastian lacht und fährt sich mit der Hand durch das Haar.
„Und wie war dein Tag so?"
„Ganz in Ordnung. Mom wollte, dass ich mein Zimmer putze und für sie einkaufen fahre. Ich habe das wirklich nur gemacht, weil ich mich so auf dich gefreut habe!"
Jetzt lache auch ich und ziehe einen gespielt mitleidigen Schmollmund.
Daraufhin stößt er mich mit seinem Ellenbogen an und ich lehne meinen Kopf an seine Schulter.
So gehen wir das kurze Stück zu unserem hoffentlich leckeren Abendessen.

Beim Spanier angelangt, setzen Sebastian und ich uns in eine der hintersten Ecken und bestellen zwei Salate. Er mit Wurst, ich mit Erdbeeren. Außerdem nehme ich ein Glas Wasser, ganz zur Enttäuschung meines besten Freundes, der sich gleich zwei Tequila Shots und ein Glas Wein bestellt.

So viel Alkohol trinkt er ungefähr alle zwei Monate. Ich muss mir also keine Sorgen machen.

Das Essen schmeckt fantastisch, auch wenn es, wie jedes Mal, gesund ist. Manchmal denke ich etwas wehmütig an die Zeiten zurück, als einem die Figur noch mehr oder weniger egal sein konnte. Damals bin ich einmal die Woche mit Sebastian zum Fast Food Restaurant gefahren, um uns auf dem Weg von der Schule nach Hause einen Burger zu gönnen. Aber seit ich den Vertrag mit der Model- Agentur habe, ist mir dies nicht mehr möglich. Fast jede Woche habe ich neue Aufträge und reise viel dafür umher. Natürlich gefällt mir das Modeldasein und das viele Reisen, aber diese einfachen Zeiten fehlen mir manchmal auch.

Sebastian und ich unterhalten uns prächtig und über Gott und die Welt.
Wir lachen, lästern, tratschen und necken uns gegenseitig, wie es bei Freunden so ist. Das können wir nicht oft, denn:

Sebastian ist der Traumtyp vieler Mädchen. Das kann ziemlich nervig sein, wenn die kichernden Girls kommen und denken, er würde ihnen nach einem Klimpern mit den Wimpern die Zunge in den Hals stecken. Oder wenn die eifersüchtigen Mädels mich mit ihren Blicken töten wollen, nur weil ich mit ihm unterwegs bin. Sobald wir uns in Restaurants aufhalten, kommen leicht angetrunkene und sehr freizügig bekleidete Mädchen zum Tisch und bitten um die Nummer von Sebastian. Manchmal gibt er ihnen meine, und ich schreibe ihnen dann, dass er nicht interessiert ist. Das muss hart für sie sein, aber es ist die Strafe für ihre vernichtenden Blicke.
Dabei bin ich nicht mal seine Freundin.

„Serena? Hörst du mir überhaupt zu?", holt Seb mich wiederholt aus meinen Gedanken.
„Äääh was?!"
Lachend lehnt er sich zu mir und spielt mit einer Haarsträhne, die mir ins Gesicht gefallen ist. „Ich habe dir gerade von einem Erlebnis erzählt."
Natürlich möchte ich wissen, was vorgefallen ist, und blicke ihn bittend an. „Wiederholst du es für mich noch einmal?"
"Mmmh..... ich überlege mal....."

Eine kurze Pause entsteht.

„Natürlich. Für dich doch immer", mit diesen Worten lehnt er sich wieder nach hinten.

„Ich war heute ja wie gesagt für Mama einkaufen, und da war ein Behinderter. Er kam nicht über eine Schwelle und ich musste ihm helfen. Die Leute, die an uns vorbei wollten, dachten ich gehöre zu ihm und haben mich an geschimpft, ich solle mal schneller machen. Unglaublich wie die mit fremden Menschen umgehen", Seb schnaubt, „Ich glaube ich würde Suizid begehen, wenn ich im Rollstuhl sitzen müsste, wie der Mann vorhin."

Ich trinke einen Schluck meines Wassers, wären Seb langsam den Kopf schüttelt.
Mehrere Male setzt er zu einem Satz an, doch die Worte kommen ihm nicht über die Lippen. Auch ich traue mich nicht etwas zu sagen.

Seb hat seinen Vater durch dessen Behinderung verloren. Der Mann war verrückt geworden und musste in die Psychiatrie. Richtig darüber hinweg gekommen ist Sebastian nie. Und obwohl er in manchen Momenten so perfekt aussieht, ist er eigentlich ein vernarbter Junge mit bröckeliger Haut.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, verstummen Sebs Worte nicht mehr, bevor sie seinen Mund verlassen. „Ich glaube nicht, dass ich mich umbringen würde. Ich weiß es!"

SEBASTIAN, I'M THINKING OF YOUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt