eighth chapter

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A m s t e r d a m

Eine schöne Stadt.
Es ist mein erstes Mal hier.
Auch Seb scheint es zu gefallen.
Er wirkt zwar weiterhin ernst, genießt aber sichtbar das gute Wetter und die friedliche Umgebung.
Auch Klaudia scheint sich zu entspannen. Sobald sie sieht, dass sich ihr Junge etwas amüsiert, - wenn man es denn so nennen möchte - scheint ihr Leben wieder vollkommen.

Früher war sie das Positive in Person. Es gibt kaum jemanden, der fröhlicher war, als sie.
Aber seit der Sache mit dem Unfall, ist sie viel trauriger gestimmt. Etwas, das mich sehr beschäftigt.

Ich mache mir Vorwürfe.
Ich hätte nicht so dringend nach einem neuen Shirt suchen wollen dürfen.
Ich hätte nicht mit ihm in die Stadt fahren wollen dürfen.

Ich habe viel nachgedacht.
Aber jetzt wird es mir zum ersten Mal bewusst.

Es ist meine Schuld.

Meine Schuld, dass mein bester Freund die Lust am Leben verloren hat und Suizidgedanken hegt. Meine Schuld, dass seine Mutter nicht mehr so positiv gestimmt ist.
Meine Schuld, dass ich die einzig wichtige Person meines Lebens verlieren könnte. Genauso, wie Klaudia es könnte.

Wir hätten immer noch uns,
versuche ich mir einzureden.
Aber es funktioniert nicht.
Denn mir ist klar, dass sie mir nicht so viel bedeutet.

Ist es falsch, solche Gedanken zu hegen?
Wo sie mir doch in der - jedenfalls wie wir bisher dachten - schwersten Phase meines Lebens beigestanden hatte. Die, in der meine Eltern verstorben und keine Verwandten übrig geblieben waren.

Aber ich kann es mir nicht verdenken. Sie ist nicht diejenige, die ich vermisse wenn ich alleine im Bett liege.
Es ist ihr Sohn.

Wir sitzen in einem hübschen Café, um uns herum viele bunte Blumen und das Gold-orangene Licht der untergehenden Sonne. Wir haben uns teure Schüsseln mit Obst bestellt, das so angeordnet ist, als wäre es zum Fotografieren oder Ausstellen da und nicht zum Essen.

Wir sind nicht die einzigen Gäste. Um uns herum sitzen noch viele weitere Menschen, die allesamt Fotos machen. Vorsichtig probiere ich eine Erdbeere. Was, wenn sie aus Plastik ist? Ich habe Glück, sie ist echt. Erst nach der fünften Frucht, entspanne ich mich und genieße die Geschmacksexplosionen, die mir den Tag versüßen.

Das Lachen von einem Pärchen am Nachbartisch dringt zu uns herüber. Ich spitze die Ohren. Es klingt harmonisch, liebevoll und angenehm. Dann höre ich einen leichten Schmatzer. Wie gern würde ich jetzt hier sitzen und das Gleiche mit Sebastian tun, lachen nicht küssen. Doch ich muss aufhören, immer über das wenn und aber nachzudenken. Ich muss wieder in die Realität zurückkehren. Und die Realität ist, dass es mich meine ganze Kraft kosten wird, das zu erreichen. So viel Kraft, wie ich es früher für die Schule nicht übrig hatte. Was vermutlich auch meine mittelmäßigen Noten erklärt.

Ich weiß, wie Sebastian sich fühlt. Wie ein Vogel, der nicht mehr fliegen kann. Wie jemand, der für etwas bestimmt ist - etwas Großes zu erschaffen - und schließlich doch daran gehindert wird.
Er weiß vermutlich nicht mehr, wer er ist. Genau wie ich damals, als meine Eltern verstarben. Ohne seine Hilfe würde ich vermutlich immer noch suchen.

Da ich früher aufgegessen habe, als die anderen, denke ich über einen Zeitvertreib nach.
Ich öffne meine Tasche und ziehe ein kleines Taschenbuch heraus.
Es handelt von Sehnsucht, Trauer und Liebe. Ich trage es immer mit mir herum, lese darin und schreibe Bemerkungen oder sonstiges neben die Zeilen.
Wahllos schlage ich eine Seite auf.
Einhundertzweiundzwanzig.
Sofort springen mir die Zeilen entgegen, die ich mir in letzter Zeit so oft durchgelesen habe.

Sofort springen mir die Zeilen entgegen, die ich mir in letzter Zeit so oft durchgelesen habe

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Wie wahr das ist.

Nachdem auch die anderen fertig sind, stehen wir auf und machen uns auf zu dem Startpunkt einer Grachtenfahrt. Auf dem Weg zu der Anlegestelle, kommen wir an vielen Straßenkünstlern vorbei, denen ich jeweils zwei Euro in ihre Becher werfe. Das, was die dort zustande bringen, finde ich atemberaubend. Zwar weiß ich jetzt, wie Menschen ohne Stuhl sitzen können, finde die Kreativität und den Mut - etwas auf der Straße auszustellen - der Menschen aber dennoch bewundernswert.

Auch Sebastian ist sichtlich beeindruckt.
Er nickt den Künstlern zu, als würden sie ihn wenig interessieren, doch mir entgeht das Funkeln in seinen Augen nicht. Er hat Spaß.

Sobald die Tour auf dem kleinen Boot losgeht, und ein kleines Feuerwerk veranstaltet wird, merke ich, was für einen Zauber diese Stadt hat. Sie ist nicht etwa so besonders wie Paris, die Stadt der Liebe, aber auf seine ganz eigene Art eindrucksvoll. Es scheint ein Glanz auf der Stadt zu liegen, der alles sanft glitzern lässt.

„Gefällt dir die Bootsfahrt?", fragt Klaudia leise und lächelt mich an.
„Ja, es ist magisch", staune ich und kann meinen Blick nicht von den vielen alten Brücken wenden.
„Pass auf, dass du kein Fetisch für diese alten Dinger entwickelst", mischt sich Sebastian sarkastisch ein. Eine Ausdrucksweise, die er in meiner Gegenwart bisher noch nie angewendet hat.
Erschrocken blicke ich ihn an.
Doch sein Blick bleibt kühl.
„Ja ja", murre ich nur.
Und von der einen Sekunde auf die andere, ist die gute Stimmung wie weggeblasen.
Sie macht einer anderen Platz. Einer viel düsteren, angsteinflößenden und raumeinnehmenden Stimmung, als ich sie jemals gefühlt habe.

Was ist los mit dir,

SEBASTIAN?

SEBASTIAN, I'M THINKING OF YOUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt