Dunkle Flure

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Lucy  wartete vor der Tür auf ihn

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Lucy wartete vor der Tür auf ihn. Sie trug ein braunes Kleid aus grobem Leinen, warme, etwas klobige geschnürte Stiefel, wollene Strümpfe und ein graues Schaltuch, das sie sich um die Schultern geschlungen hatte. Severus zitterte schon wieder leicht. Während der Beerdigung hatte er die schneidende Kälte nicht bemerkt, doch jetzt registrierte er die niedrigen Temperaturen.

„Hey - ich bin Lucy", stellte sich das Mädchen nun vor. Sie hatte ein warmes, echtes Lächeln. „Und wie heißt du?" Severus mochte sie sofort. „Severus", nannte er seinen eigenen Namen und deutete mit einem Nicken eine leichte Verbeugung an. „Erfreut dich kennen zu lernen, Severus", erwiderte Lucy. Sie hatte lange aschblonde Zöpfe. „Ich bin hier sozusagen in Lehre. Bis vor einem halben Jahr war ich Gouvernante bei einer reichen Familie. Jetzt will ich Erzieherin werden. Aber du bist sicher müde. Komm, ich zeig dir dein Zimmer." Und mit diesen Worten nahm sie ihn einfach bei der Hand. „Du warst Gouvernante?", fragte Severus mit großen Augen. Er hatte bereits Vertrauen zu ihr gefasst. „Dann musst du ziemlich gebildet sein. Kannst du Französisch?" Seine Augen leuchteten. „Mais oui!", antwortete sie lachend. „Mes parents tenaient une bonne formation pout très importante." „Was heißt das?" Er hing nun förmlich an ihren Lippen. Severus war schon immer sehr wissbegierig gewesen. Seine Mutter hatte stets mit einem etwas traurigen Lächeln auf den Lippen behauptet, Bildung sei der Schlüssel zu einem besseren Leben. Und nichts wünschte sich Severus mehr als ein besseres Leben. Auch für seine Mutter. „Meine Eltern hielten eine gute Bildung für sehr wichtig", erwiderte sie. Aber ihre Augen blitzten jetzt nicht mehr ganz so und ein trauriger Zug legte sich um ihren Mund. „Warum bist du traurig?", fragte Severus unschuldig und seine kleine Hand drückte mitfühlend ihre. „Es ist nur", sie versuchte aufmunternd zu lächeln, was ihr nicht ganz gelang, „Meine Eltern - sie starben vor drei Jahren. Deshalb bin ich auch jetzt hier. Ursprünglich war meine Familie sehr wohlhabend." Severus wusste, wie es sich anfühlte, einen geliebten Menschen zu verlieren. Es war, wie wenn man eine vertraute Treppe hinaufstieg und seinen Fuß auf die letzte Stufe setzen wollte und dann... - war da plötzlich nichts mehr. Der Fuß hing haltsuchend in der Luft und es durchfuhr einen ein gewaltiger Schreck. Wenn dann noch die Treppe an einen geliebten Ort führte, fehlte einem auf einmal jegliche Verbindung. Es reißt ein Loch in das Leben. Er konnte jedoch nichts tun außer abermals ihre Hand zu drücken. So war er doch selbst ein Opfer des grausamen Gefährten, welcher sich Tod nannte. Er war allgegenwärtig, unvermeidlich. Und doch kam er so oft einfach zu früh um grausam auseinanderzureißen, was die Leben der Hinterbliebenen waren.

Aber Lucy lächelte schon wieder und sie stiegen gemeinsam die breite Treppe hinauf ins zweite Stockwerk.
Oben sah es anders aus als unten. Die Decke war wie in Ms Dragsters Büro niedriger, wurde aber auch hier von den schweren Eichenholzbalken getragen. Der Boden hier war aus dem gleichen Holz wie die Decke und die alten ausgetretenen Dielen knarrten beim darüber gehen. Rechts und links des langen Flures, in den sie nun traten gingen Holztüren ab. Neben den Türen waren jeweils kleine Nummern aus Messing angebracht. Es war düster und kaum Licht drang in den langen Flur, da es nur vereinzelt schmale, mit einem Messinggitter versehene Fenster gab.
Severus fand, es roch nach Verzweiflung und gestorbener Hoffnung. Hier liegen viele Träume begraben, war ein Gedanke, der sich auf einmal in seinen Kopf schlich. Als wüsste Lucy, was er meinte drückte sie seine Hand, so wie er zuvor ihre gedrückt hatte. „Warum sind die Fenster vergittert?", fragte er mit bedrückter Stimme. Auch hier herrschte die seltsame Stille, die ihn langsam zu verschlucken schien. Selbst seine eigene Stimme klang gedämpft. Auch Lucy schien die Stimme gesenkt zu haben: „Letztes Jahr ist laut Ms Dragster ein Kind hinuntergefallen. Es ist durch das Fenster geklettert und hat sich durch den schmalen Rahmen gezwängt und als es unten aufschlug war es tot. Bevor das Mädchen starb hat sie in großen blutroten Buchstaben „der Schuldige wird in die Hölle kommen" an ihre Zimmerwand geschrieben. Das waren ihre letzten Worte. Manche sagen, sie sei absichtlich gesprungen." Als Lucy Severus erschrockenes Gesicht sah beeilte sie sich zu sagen: „Aber das sind natürlich alles nur Geschichten. Gerüchte, nichts weiter. Ein Unfall." Ihre Stimme klang etwas zu hektisch. „Ein Unfall, sonst nichts. Nur ein Unfall." Sie lachte ein leicht hysterisches, nervöses Lachen. „Und nun wird es Zeit, dein Zimmer aufzusuchen. Du bist bestimmt müde und außerdem braucht es sicher Zeit bis du und Tom euch kennengelernt habt." Ihre Schritte beschleunigten sich nun. Severus zählte die Türen. 20, 22, 24, ...
„Wer ist Tom?", fragte Severus schließlich als sie eine weitere Treppe erreichten. Die Zimmer hatten mit der Nummer 30 aufgehört. Diese Treppe war viel kleiner als die im Eingangsbereich und aus einfachen Holzbrettern. Es schien als wäre alles auf den ersten Blick unsichtbare hier ärmlich und einfach. So war diese Treppe mehr eine Stiege, die Severus jetzt nach Lucy hinaufkletterte. „Tom ist dein Zimmergenosse", meinte Lucy kurz angebunden. Sie wirkte, als hätte sie nun vor irgendetwas Angst. Severus war gar nicht wohl bei der Sache. Schließlich ging Lucy mit ihm den Gang entlang. Hier war es noch dunkler als im Stockwerk darunter. Die Decke war so niedrig, dass selbst Lucy sich beinahe bücken musste um nicht mit dem Kopf daran zustoßen. Der abgetretene Holzboden war staubig. Hier oben befanden sich nur noch 15 Zimmer. Immer gegenüber lagen sie, mit den gleichen Nummernschildern wie im Stockwerk darunter. Ganz am Ende des Gangs sah Severus eine einzelne, einsame Tür. Neben ihrem Rahmen war die Nummer 45 angebracht. Lucy war stehengeblieben. Sie deutete auf die Tür. „Das dort hinten ist dein Zimmer.", meinte sie. „Ich muss jetzt wieder nach unten, geh du nur und mache dich etwas mit Tom bekannt." Dann drückte sie ihm die Schulter, zog ihr Tuch enger um ihre Schultern und eilte die Treppe nach unten. Severus meinte, sie noch „Viel Glück!" wispern zu hören.

Er schluckte und ging auf die Tür zu. Es schien eine Kälte von ihr auszugehen, die nicht real war. Als er kurz vor der Tür stand schienen auf einmal all seine menschlichen Instinkte zur Flucht zu drängen, schrien danach, er solle verschwinden, wegrennen, nur weg von dieser Tür. Seine Hand zitterte, als er sich zwang, sie anzuheben und auf die Klinke zu legen. Langsam, mit aller Willenskraft, die er aufzubringen vermochte, drückte er sie herunter. Als die Tür sich langsam und quietschend aufdrücken ließ, schien die Illusion seiner Angst fortgewischt zu sein.
Severus blickte in eine kleine Kammer. Der Boden und die Decke waren die gleichen wie im Flur, die Wände waren einfach nur weiß verputzt. Die Farbe war nach all den Jahren ein wenig grau geworden. Rechts und links von der Tür standen zwei einfache Betten mit solidem Holzgestell und zwei Schränke aus einfachem Holz. An der Wand gegenüber der Tür war ein schmales Fenster, welches wie alle anderen vergittert war. Auf seiner Fensterbank lagen allerlei einsame Spielsachen, ein Jo-Jo, ein bunter kleiner Kreisel, eine Pfeife... Severus konnte sogar eine kleine, silberne Mundharmonika entdecken. Erschrocken zuckte er zusammen, als er plötzlich eine Präsenz spürte. Ein unheimliches, bedrohliches Gefühl, dass da noch jemand war.

Er blickte sich um und da war er. Auf dem Bett rechts neben der Tür saß eine kleine Gestalt mit halblangen, dunklen Haaren Severus wich instinktiv einen Schritt zurück. Der Junge auf dem Bett hob jetzt den Blick und starrte ihn an. Seine Augen waren kalt und irgendwie leblos und sein Blick brannte sich in Severus'. Severus spürte wie er sich in sein tiefstes Innerstes bohrte und all die schlimmen Dinge sah, die er dort eingeschlossen hatte. Er sah seine Mutter, tot in ihrem Bett, das blasse Gesicht ausgemergelt, ihre leblose Hand schlaff an ihrer Seite. Er sah seinen Vater, rasend vor Wut, Stühle umwerfend und mit der Flasche in die Luft schlagend wie er versuchte, Severus zu erwischen. Er sah ihn mit Severus über dem Knie, immer wieder zuschlagend während heiße Tränen über Severus' Gesicht liefen. Er sah wie der dunkle Sarg langsam in die Erde gelassen wurde und er sah seine Mutter, tränenüberströmt ihr Kind haltend, ihren Mann anflehend, ihnen nichts zu tun.
Severus keuchte. Seine Hand griff in die Luft, fand den Türrahmen und hielt sich daran fest. Sein Blick verschwamm und es brauchte einen Moment, bis er sich wieder auf den Jungen fixierte. Dieser grinste. Es war das Grinsen eines Hais, eines Jägers und es schien durch und durch böse. Seine Stimme klang diabolisch als er mit heiserer Stimme flüsterte: „Willkommen in Zimmer 45."

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Versuchung der DunkelheitWhere stories live. Discover now