Der Junge

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Der Junge hatte sich in einer fließenden Bewegung vom Bett erhoben und trat jetzt nahe an Severus heran. Zu nahe. Severus wollte zurückweichen, doch seine Beine schienen ihm nicht mehr gehorchen zu wollen. Panik machte sich in seinem Innersten breit. Der Junge umkreise ihn indes langsam. Schließlich kam er ganz nahe an sein Gesicht heran und hauchte „Wir werden sicherlich viel Spaß haben..." Seine Augen glitzerten und seine Stimme triefte vor dunkler Verheißung.
Und dann war Severus Welt auf einmal nur noch unendlicher Schmerz. Die Erde schien anzuhalten und Severus wollte schreien, spürte tief in sich, wie sich der Schrei langsam formte und an die Oberfläche drängte, doch er konnte nicht, er konnte nicht schreien... Alles in ihm fühlte ihn, diesen alles verschlingenden Schmerz, ohne Anfang oder Ende, ohne Namen. Er wollte sterben, wollte nur noch, dass es aufhörte.
So schnell wie er gekommen war verebbte der Schmerz auch wieder. Die Welt begann wieder, sich zu drehen und Severus lag keuchend auf dem Boden und hatte sich zu einer Kugel zusammengerollt. Über ihm stand der Junge und lächelte sadistisch auf ihn herab. Ihm schien zu gefallen, was er da sah. „Oh ja", sagte er zufrieden, „Das tat weh, oder? Und ich kann noch viel mehr. Ich kann machen, dass du dir wünschst, nie geboren worden zu sein. Und ich kann machen, dass das unser Geheimnis bleibt, kann dich stumm machen, unfähig davon zu erzählen..." In seine Augen war ein irres funkeln getreten. Seine Lippen kräuselten sich „Steh auf. Du siehst so lächerlich schwach aus." Seine Stimme klang abfällig, angeekelt. Severus rappelte sich mit Mühe hoch. Seine Hände zitterten und er fror am ganzen Körper.

Vorsichtig ließ er sich auf dem linken, freien Bett nieder. Er verstand, dass der Schmerz eine Illusion gewesen sein musste. Er hatte keinerlei Verletzungen oder Blessuren, also musste der Schmerz ihm von seinem Gehirn vorgespielt worden sein. Langsam bekam Severus Angst vor diesem Ort. Vor diesem Jungen. Was hatte Mr Alconwhitt gesagt? Ein Zuhause, voll Liebe und Geborgenheit? Von wegen! Es war ein langer Tag gewesen und jetzt spürte Severus, trotz seiner Müdigkeit und Erschöpfung, die aufgestaute Wut in sich. Eine Wut auf seinen Vater, weil er so ein Arsch war und auf seine Mutter, weil sie ihn allein in dieser Welt gelassen hatte, auf Mr Alconwhitt, weil er ihm falsche Versprechungen gemacht hatte, auf diesen Ort und eigentlich auf sein ganzes Leben. Warum musste ausgerechnet er so ein beschissenes Leben haben? Aber er wusste, dass rhetorische Fragen einen nicht weiterbrachten. Niemand würde antworten. Vielleicht gab es nicht einmal einen Grund. Und jetzt war er hier, allein, verlassen und verängstigt an einem Ort, der wahrscheinlich mehr als ein Geheimnis hütete und wohl vor den Augen der Öffentlichkeit verbarg.

Severus schreckte hoch. Er schien eingeschlafen zu sein. Das Erste, was er sah, war der Junge aus seinem Zimmer, der sich über ihn beugte. Er hatte ein Taschenmesser in der Hand, mit dem er jetzt bedrohlich nahe an Severus' Hals kam. Seine Augen waren zu Schlitzen verengt. „Wo sind deine Sachen?", zischte er. „Ich hab überall nachgesehen und kann sie nicht finden. Bisher hatten alle Kinder irgendwelche Dinge dabei. Also...", er strich bedächtig mit dem Zeigefinger über die Klinge des Messers, um dann blitzschnell Severus vorne am Hemd zu packen und festzuhalten. „Wo. Sind. Deine?!" Severus versuchte unwillkürlich vor dem Messer zurückzuweichen. „I... ich ha...habe keine", stammelte er und schielte auf die Klinge hinab. „Red keinen Unsinn", herrschte der Junge ihn an. „Ich kenne die Muster. Habe sie alle studiert. Ihre Verhaltensweisen und Gewohnheiten. Und in diesem Muster hat jeder irgendwelche Dinge von Daheim. Dinge, die sie an ihre ach so hübschen kleinen Zuhause erinnern, wo Idylle und familiäre Geborgenheit herrschte bis eine Katastrophe ihr perfektes Weltbild zerstörte. Ich frag dich nochmal: Wo sind sie?" Severus wurde jetzt ungehalten. Sie sollten ihn doch alle in Ruhe lassen! „Und ich sag dir nochmal: Ich hab kein verdammtes Gepäck! Und wenn du's genau wissen willst hab ich auch noch nie an so etwas wie familiäre Idylle oder eine perfekte Welt geglaubt.", herrschte er den Jungen an. Dieser zuckte nicht mit der Wimper und stieß ihn mit einem kräftigen Ruck zurück auf das Bett. „Also gut.", erwiderte er. Seine Augen verengten sich unmerklich und sein Blick bohrte sich abermals in Severus'. Dieser spürte, wie der Schmerz in ihm aufzuwallen drohte. Doch diesmal war er nicht bereit, klein beizugeben. Er war immer noch zu wütend. Und dieser Junge, wer auch immer er sein mochte, hatte kein Recht darauf, ihn zu tyrannisieren. Der Schmerz begann langsam, seine Sinne zu vernebeln, betäubte sein Denken. Er durfte nicht einknicken, es war alles nur eine Illusion. Nur eine Illusion... Der Schmerz ergriff Besitz von ihm und nun gab es nichts außer ihm. Alles war Schmerz. Es gab kein Oben und kein Unten mehr, nur noch diesen allumfassenden Schmerz. Als er schließlich wieder atmen konnte meine er fast so etwas wie Überraschung im Blick des Jungen zu erkennen. Doch einen Wimpernschlag später war dort wieder nur kalte Wut. Der Junge zischte: „Du hast keine Chance. Irgendwann musst du klein beigeben." Dann drehte er sich schwungvoll um und stolzierte zur Tür hinaus. Severus blieb verwirrt zurück. Diesmal waren ihm die Schmerzen nicht ganz so intensiv vorgekommen. Dennoch konnte er nur zittrig atmen und seine Hände bebten. Was war das nur für ein Junge? Seine Mutter hatte beizeiten auch... Dinge geschehen lassen können. Das war für ihn so also nichts ganz so Ungewöhnliches. Aber Schmerz verursachen, das hatte er noch nie gesehen. Auch hatte er immer gedacht, seine Mutter wäre die Einzige. Und dieser Junge war gerade einmal so alt wie er selbst. Er beschloss, dass er trotz seiner Furcht das äußerst interessant fand.

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⏰ Last updated: Mar 19, 2018 ⏰

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Versuchung der DunkelheitWhere stories live. Discover now