Moment der Wahrheit

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Nachdem Niall und sein Fahrer, der sehr angestrengt versucht hatte, uns nicht anzusehen, mich an meiner Wohnung abgesetzt hatten, war er wohl direkt wieder zum Flughafen und zur Tour zurückgekehrt. Wie ich die Fans und Klatschblätter-Journalisten kannte, würde man ihm sowieso wieder eine Solo-Karriere, Affäre oder Drogensucht andichten. Ob wohl jemand eine mögliche Vaterschaft in Betracht zog? Der Abschied war komisch gewesen, denn irgendwie war ich ganz froh, dass ich ihn nicht mehr in meiner Nähe hatte, aber zum anderen hatte ich auch nicht gewollt, dass er wieder ging. Vielleicht waren das auch einfach die Schwangerschaftshormone? War es zu früh, um mein Gefühlschaos auf die Schwangerschaft zu schieben? Ich seufzte bei diesem Gedanken auf und setzte mich in mein Bett. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich noch immer Nialls Kapuzenjacke trug. Ich zog sie nicht aus, sondern sah mir stattdessen das Ultraschallbild an. Das war unser Kind.

So langsam hatte ich das Gefühl, dass ich vereinsamte. Alle meine Freunde, abgesehen von Josy, waren auf der Tour und ich saß hier in London fest. Klar, ich verstand mich gut mit meinen Kollegen, aber auch Stan war eher so drauf, dass er auf ein Cider ausgehen wollte und nicht als einziger trinken wollte. Und ich würde ganz sicher nicht schwanger trinken. Vermutlich würde er mich sogar unterstützen, wenn er wüsste, dass ich schwanger war. Aber wenn ich von Niall erwartete, dass er sich an unsere Abmachung hielt, dann musste ich das auch. Wir befanden uns gerade noch im zweiten Schwangerschaftsmonat, am Montag würde erst die achte Schwangerschaftswoche beginnen. Ab der zwölften Woche konnte man wohl recht sicher sagen, ob das Kind gesund war. Natürlich konnte immer noch etwas passieren und man konnte nicht alles so früh diagnostizieren, aber es würde ziemlich sicher sein. Das hatte Dr. Johnson zumindest gesagt und das Internet, mein Freund und Helfer, bestätigte das. So ein bisschen freute ich mich ja schon auf die Reaktionen der anderen, aber gerade fühlte ich mich einfach einsam. Ich erwähnte es am Samstag Josy gegenüber und sie zwang mich fast schon, dass ich jetzt Stacy und sie zu Familienausflügen begleiten musste.

Die nächsten drei Schwangerschaftswochen, also numero ocho, nueve und diez, verliefen ziemlich ähnlich: Ich versuchte so oft es ging auszuschlafen, hatte dann ein spätes Frühstück, ging für ein paar Stunden arbeiten und machte es mir dann abends auf dem Sofa gemütlich und sah mir einen Film an, wenn mein innerer Schweinehund siegte. Ansonsten zwang ich mich ab und zu auch mal zu Schwangerschaftsyoga, auch wenn ich mir sicher war, dass es gar nichts bringen würde und ich sowieso noch nicht „schwanger genug" dafür war. An den Wochenenden musste ich dann mit Stacy und Josy mal in den Zoo, mal auf einen Bauernhof, in das Naturkundemuseum oder einfach auf einen Spielplatz. Je mehr ich die Kinder dort betrachtete, fragte ich mich, ob ich wohl einen Jungen oder ein Mädchen in mir trug. Und würde das Kind mehr nach Niall oder mehr nach mir kommen? Würde es meinen chaotischen Lebensstil irgendwo in seinen Genen tragen? Und würde es musikalisch sein? Immerhin spielte ich ja Schlagzeug und Niall Gitarre - von seiner himmlischen Stimme ganz zu schweigen. Da blieb unserem Kind doch gar nichts anderes übrig, als auch ein Händchen für Musik zu haben. Oder doch nicht? Was, wenn ich jetzt anfing, Erwartungen an das arme Kind zu haben und es denen später gar nicht gerecht werden konnte?

Ich ertappte mich in der elften Schwangerschaftswoche mehrmals dabei, wie ich das Kontaktbuch meines Handys nach Nialls Namen durchsuchte oder ihm eine Nachricht schicken wollte, die gar nichts mit dem Kind zu tun hatte. Verdammt, diese blöden Hormone. Vermutlich wollte mein Körper mir damit nur signalisieren, dass die Steinzeitmenschen zwei Elternteile gebraucht hatten, um das Überleben ihres Kindes zu sichern. Urinstinkt und so. Deswegen vermisste ich Niall. Warum auch sonst? Alles andere wäre Unfug. Ich ertappte mich außerdem noch dabei, wie ich anfing mit dem kleinen Etwas zu sprechen, wie ich das Kind heimlich nannte. Es war dämlich, denn das Kind konnte mich ja weder hören, noch antworten, aber ich schob das einfach auf meine Hormone, wie so ziemlich alles eigentlich. Josy grinste manchmal verdächtig oft, wenn ich eine Reaktion oder einen Gedanken mit meinen Hormonen begründete und sie machte Andeutungen, dass das eine gar nichts mit dem anderen zu tun haben konnte, aber ich wollte es nicht hören. Wieso sonst sollte ich denn Niall vermissen? Wieso sonst sollte ich manchmal heimlich mit seiner Kapuzenjacke schlafen? Und wieso sonst sollte ich besagte Jacke nicht waschen, damit sie seinen Geruch beibehielt, obwohl sie mittlerweile mehr nach mir roch als nach ihm? Vermutlich war auch einfach jede Schwangerschaft anders und aus diesem Grund konnte Josy meine Gedanken und Gefühle nicht ganz nachvollziehen. Daran musste es liegen.

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