Die Geschichte der Zeit

- 1 -

Immer dachte ich,mir würde nichts fehlen. Als hätte ich bereits alles, was ich mir nur wünschen konnte. Als wäre ich komplett. Aber das war ich nie.

Und er zeigte es mir.

Es begann an dem einen Tag, der eigentlich ganz normal schien. Niemand hätte erwartet, dass er etwas besonderes werden würde, geschweige denn, dass er ein Leben verändern würde. Mein Leben.

Ich selber hätte, wenn mir jemand erzählt hätte, dass eine einzige Begegnung alles ändern würde wahrscheinlich angefangen denjenigen auszulachen. Mein Leben war schließlich perfekt. Zumindest zu diesem Zeitpunkt.

Alles war genaustens geplant. Ich war fast 18 Jahre und hatte meinen Abschluss sogut wie in der Tasche. Den Platz an der Uni, an der ich Medizin studieren würde, hatte ich auch schon sicher, durch diverse Beziehungen, die mein Vater hatte spielen lassen. Es war gar nicht anders zu denken gewesen, als dass die Tochter des erfolgreichsten Mediziners der Moderne ebenfalls Medizin studieren würde.

Nicht, dass Sie denken, mein Vater hätte mich dazu gezwungen.

Nein, ich wollte es wirklich. Zumindest zu diesem Zeitpunkt dachte ich das. Was war schließlich falsch daran, Leben zu retten, wenn man die Chance dazu bekam. Einen Studienplatz in der Medizin an einer renommierten Uni zu ergattern war beinahe so unwahrscheinlich, wie von einem Meteoriten getroffen zu werden. Auch, wenn es schwer zu glauben ist, da ein akuter Mangel an Fachärzten herrschte. Aber naja, ich werde mich nicht über das System beschweren.

Denn keiner beschwerte sich jemals über das System. Das System beschützte uns.

Mein Vater hatte vor Kurzem seine Karriere beendet. Er war wirklich ein fabelhafter Chirurg gewesen, aber mit einem anhaltenden Tremor kann man nicht operieren. Also hat er den Beruf, den er so sehr geliebt hat an den Nagel gehängt. Um etwas zu tun, was "ich nicht verstehen würde".

„Warum tust du es dann, Dad?", hatte ich Ihn gefragt, bevor er ging.

„Wenn es keiner probiert, dann kann auch keiner etwas verändern, Kleine."

Keiner kann etwas verändern, wenn es nicht probiert.

Und somit ging er fort. Das war vor zwei Jahren.

Mein Leben verlief in geregelten Bahnen, seit er fortging. Ich hatte eine persönliche Assistentin, die alle meine Termine koordinierte, ich hatte die Bestätigung meiner Annahme an der Uni, bevor ich überhaupt das Abitur abgelegt hatte. Ich hatte allen Luxus, den ich mir wünschen konnte. Mein neues Auto stand, obwohl ich noch nicht volljährig war bereits in der Garage und wartete nur auf eine Spritztour.

Ein tiefseeblauer Maserati SPA. Ich liebte schnelle Autos, auch, wenn ich sie bisher nur auf der Rennstrecke fahren durfte.

Ich spielte dreimal die Woche Klavier in der Hochschule für Musik, sowie Übungsstunden jeden Tag. Außerdem konnte ich die meisten Sprachen fließend, die man im Leben brauchen konnte.

Natürlich musste ich auch zur Schule gehen. Wer auch nicht?

Ich ging auf eine Schule, die mehr Internat war als Schule, mit einer Geschichte, die in etwas so lang war, wie das Römische Imperium an der Macht.

Mein komplettes Leben war bereits geplant und organisiert gewesen, bevor ich überhaupt laufen konnte. Aber das war normal. Hier in Bagen war das Alltag.

Die Kinder wurden zu den Aushängeschildern des Elternhauses und sie taten es gerne, denn es war Tradition und man wollte, dass die Eltern stolz auf einen waren. Selbst, wenn man sie nie zu Gesicht bekam.

Unser System basierte auf Vorausbestimmung. Bei der Geburt wurde festgelegt, was man später tun würde. Wer man war. Und diese Bestimmung folgte einem durch das ganze Leben. Selbst der Zeitpunkt einer Heirat und der Partner wurden vorherbestimmt, ohne, dass man selbst etwas damit zutun hatte. Ein komplizierter Algorithmus rechnete aus, welcher Partner aus welcher Familie am besten zur eigenen Bestimmung passte, so dass sich die beiden Partner gegenseitig unterstützen und verbessern würden.