Kapitel 35 - STILLE

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Kleiner Tipp... "Meet Me in the Hallway" während dieser Tortur macht das Ganze noch besser (... schlimmer...)

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Kapitel 35 - STILLE

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Ich kann keine Musik mehr hören. Seit Tagen habe ich nichts mehr gehört. Keine Melodie, keinen Gesang. Alles zu laut, alles irgendwo eine Erinnerung.

Es ist als hätte Harry nicht nur sich selbst aus meinem Leben extrahiert, sondern gleichzeitig auch meine Liebe zur Musik. Als wären beide mittlerweile untrennbar miteinander verbunden. Ich kann nur traurig lachen. Keine Ahnung wann jedes Lied angefangen hat nach ihm zu klingen.

Seitdem er aus Tessas Wohnung gegangen ist, schleppe ich mich mehr schlecht als recht durch die Woche und durch London. Ich bin erschöpft und gleichzeitig ist mein Körper aufgekratzt ohne Ende. Ich fühle mich wie ein Junkie auf Entzug – nur, dass Harry meine Droge ist. Nachdem wir über zwei Monate jeden Tag Kontakt hatten, fällt es schwer von 100 auf Null zurück zu fallen. Mein Körper, mein Kopf, alles in mir will eine neue Dosis und es ist verdammt hart dagegen anzukämpfen nicht einfach das Handy in die Hand zu nehmen und ihm zu schreiben.

Tagsüber versuche ich zu verdrängen, was passiert ist und arbeite ununterbrochen (es ist das einzige, was mich momentan ablenkt), oder ich jogge durch jeden Park, den London zu bieten hat. Ohne Playlist. Ich höre einfach nur meinem Herz dabei zu, wie es (erstaunlicherweise) immer noch schlägt. Nachts aber, sobald mit die Stille umgibt, liege ich wach und wenn ich nicht müde genug bin, weine ich solange, bis ich leer bin.

Ich kann immer noch nicht glauben, was Harry gesagt hat. Dass er mich ‚peinlich' genannt hat, obwohl er wusste, wie sehr mich das damals schon bei Tom verletzt hat. Dass er gesagt hat, ich würde nicht in sein Leben passen. Ich bin mir mittlerweile zwar sicher, dass ich Recht hatte, und, dass er das alles nur gemacht hat, um mich zu schützen – aber das ändert nichts daran, dass es einfach verdammt weh tut und so falsch war. Es ändert auch nichts daran, dass ich mich jedes Mal so unfassbar schwer fühle, wenn ich daran denke, wie er mir den Rücken zugekehrt hat und aus meinem Leben verschwunden ist.

So hart das alles ist, so dankbar bin ich aber für Tessa. Ich habe keine Ahnung, wie ich die letzten Tage ohne sie überstanden hätte – vor allem, weil ich weder mit meinen Eltern noch mit Jana über Harry sprechen wollte. Nachdem die Sache mit dem Video rausgekommen ist (und ich das erst einmal erklären musste), wollte ich nicht, dass sie sich noch mehr Sorgen um mich als nötig machen. Das zusätzliche Mitleid hätte ich nicht ertragen können. Mir ist klar, dass ich gerade wieder dasselbe abziehe, was Jana mir vorgeworfen hat, und was mich überhaupt erst in die ganze vertrackte Situation gebracht hat (nur dieses Mal mit meiner Familie), aber ich kann nicht anders. Man ändert sich wohl nicht über Nacht.

Ein Teil von mir will auch nicht, dass Harry in ihren Augen schlecht dasteht. Ein bisschen ist es nun einmal meine Schuld, dass alles schiefgegangen ist und ich mache mir immer noch Vorwürfe. Zu viele Sätze, die mit den Worten „Hätte ich doch nur" beginnen, bevölkern meinen Kopf. Und ich weiß, dass meine Eltern und Jana – genau wie Tessa es wieder und wieder tut – nur versuchen würden, mir diese Gedanken auszureden und am Ende die Schuld auf Harry schieben würden. Und das möchte ich nicht. Denn auch wenn mir klar ist, dass er sich scheiße verhalten hat – das kann nicht unser Ende sein. Da ist leider noch etwas in mir, dass hofft, er würde zur Vernunft kommen, sich erklären und es noch einmal mit uns versuchen wollen.

Meine Gedanken sind absurd. Ich weiß, ich muss der Realität ins Auge blicken und endlich damit beginnen sauer auf ihn zu sein, akzeptieren, dass es aus und vorbei ist. Es ist verdammt schwer, diesen Satz auch nur zu denken, doch gerade das ist möglichweise ein Indiz dafür, dass es gut so ist wie es ist. Denn, wenn sich eines gezeigt hat, dann, dass ich ihn vielleicht wirklich zu sehr mag.

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