Zweiter Moment

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Das Dach ruckelte und klapperte im heulenden Wind als wolle es einstürzen, aber Elwa hatte selten etwas so schönes gehört. Das Wetter auf dem Schloss war immer milde gewesen, selbst die Stürme hatten kaum mehr angerichtet als ein paar Rosenbeete durcheinander zu bringen. Ab dem Fluch hatte sie kaum noch sagen können, welche Jahreszeit es war, so beliebig und gleich war jeder Tag gewesen. Sturm, ein wahrer, wirklicher, echter Sturm, war etwas furchtbar aufregendes – so viel anders als in den Büchern, in denen sie davon gelesen hatte.

Elwa wusste wohl, dass der Sturm nichts Gutes für ihre Mission bedeutete. Gemeinsam mit dem stetig herbeigewehten Schnee und der Kälte war das Reisen unmöglich geworden und sie waren gezwungen, in diesem Gasthaus auszuharren, bis die Wege wieder passierbar waren. Nach den Monaten, die sie nie mehr als ein paar Tage an einem Ort verbracht hatten – und auch nur, wenn es etwas zu tun gab – machte die erzwungene Pause allen schwer zu schaffen. Selbst der Holzvogel zog zunehmend aggressiver seine Kreise durch die kleinen Zimmer des Gasthauses.

„Etwas stimmt hier nicht", sagte Asifa, an die Wand direkt neben der Eingangstür gelehnt, die Arme verschränkt. Sie verbrachte die meiste Zeit dort, ungeduldig gegen das Holz tappend, während Tizita draußen durch den Schnee stürmte, als wolle sie es der Leopardin jeden Moment gleichtun.

„Wir werden diese blöde Hütte nie verlassen, natürlich stimmt etwas nicht", murmelte Lore und verdrehte die Augen, während sie den letzten Nadelstich an der Hose setzte, die sie geflickt hatte. Sie war nicht glücklich über ihre Arbeit, aber mit genug Einsatz konnten sie ihre Schuld begleichen, ohne ihr Gold zu gebrauchen. Yusuf und Sharif waren gerade mit dem Wirt unterwegs, um die Löcher zu reparieren, die der Sturm in den Pferdestall geschlagen hatte.

„Nein, etwas anderes", widersprach Asifa. „Etwas Magisches. Ich mag weniger Winter erlebt haben als ein Abendländer, aber das hier ist kein gewöhnlicher Schneesturm."

Willehad sah von seinen Notizen auf, über die er in jeder freien Minute grübelte.

„Es ist nicht ungehört, dass magische Wesen das Wetter beeinflussen", sagte er nachdenklich. „Habt Ihr den Wanderprinzen unterrichtet?"

Ein spöttisches Lächeln kräuselte in Asifas Mundwinkeln, aber sie verkniff sich den spitzen Kommentar, mit dem sie dem armen Prinz Willehad gewöhnlich antwortete. Sie gab herzlich wenig auf Höflichkeit und angemessene Anreden, woran sich Elwa schnell gewöhnt hatte – schneller, als das wahrscheinlich hätte tun sollen -, womit Willehad aber noch immer seine Probleme hatte.

„Ich werde es ihm ausrichten", sagte Elwa rasch, bevor Asifa es sich anders überlegen konnte. Sie spürte den Blick der Morgenländern zu sich wandern, prüfend und stechend, aber auch daran hatte sie sich inzwischen gewöhnt.

„Lasst Euch nicht zu sehr Zeit, Prinzessin, dann kommen wir vielleicht heute noch nach draußen."

Dieses Mal war der Spott in Asifas Stimme kaum zu überhören, aber Elwa kam damit im Gegensatz zu Willehad klar. Es war Asifas Art – wenn man genauer hinsah und hinhörte, merkte man durchaus, dass deutlich weniger Härte in ihr steckte, als sie vorgab. Nur mitteilten durfte man ihr das nicht, das war Elwa klar ohne dass sie es je probiert hätte.

Sie nickte ihren Begleitern kurz zu, bevor sie sich mit raschen schritten in das enge Treppenhaus und hoch zu ihren Zimmern begab. Der Wirt hatte ihnen angeboten, sich auszubreiten, da außer ihnen nur zwei weitere Reisende im Gasthaus blieben und das Stockwerk nahezu leer war, aber sie brauchten nicht mehr als ein Zimmer für die Frauen und eines für die Männer, wie es sich schickte. Dass sie selbst die Nächte entweder am Fenster sitzend oder unten in der dunklen Gaststube verbrachte, musste niemand wissen.

Die Wachende PrinzessinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt