Kapitel 1

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von: Natalia Komenova

an: Scott Kent

Betreff: Treffen am 27.09.2014

Datum: 23.09.2014

Sehr geehrter Herr Dr. Kent,

leider muss ich Ihnen mitteilen, dass ich unser Treffen am 27.09. in Singapur absagen muss. Der Grund hierfür liegt bei einer Erkankrung, die mich wohl an mein Bett bindet. Nur ungern würde ich Sie anstecken, weswegen es wohl besser ist, zu Hause zu bleiben. Natürlich hätte ich mich auf ein Treffen mehr als nur gefreut, doch ich denke, dass es nur logisch wäre, mich auszuruhen. Ich hoffe, Sie haben mich in nicht allzu viele Pläne miteinbezoge. Grüßen Sie ihre Frau und Tochter von mir, bitte sagen Sie insbesondere ihrer Frau ein großes Entschuldigen meinerseits. Hat nicht ihre Tochter übrigens Geburtstag im nächsten Monat? Ich werde ein Geschenk schon in nächster Woche abschicken, allerdings besteht die Gefahr, dass die Postgemeinde es wieder verliert. (Diesen Vorfall kennen wir ja leider nur zu gut.) 

Mal das Thema gewechselt - Steigt Ihnen der Ruhm schon zum Kopf? Gestern hat mich mein Mann auf ein Interview mit Ihnen in der russischen GQ aufmerksam gemacht.  Nichts gege Sie, aber bei den banalen Fragen tun Sie mir wirklich Leid! Passiert es wirklich so häufig, dass sich Interviewer eher nach Ihren sexuellen Präferenzen fragen? Allein die Schlagzeile ist schon lächerlich - "Brain is the new sexy" Kennt man diese Zeile nicht irgendwo her? Wie auch immer, von einem Männermodemagazin kann man nicht viel erwarten. Ehrlich gesagt, es wundert mich, dass Sie überhaupt dem Gespräch zugestimmt haben. 

Nun ja, etwas Positives findet man in dieser Sache schon. Mittlerweile spricht jeder Forscher in meinem Umkreis nur noch von Ihnen, genau so wie die einfachen Leute, die keine Ahnung von Ihren Worten haben. Manche sehen Sie sogar als Held an! Aber es ist mehr als nur verständlich, seit Jahren hoffte man auf nützliche Fortschritte gegen diese schreckliche Krankheiten und nun ist es geschafft. 

Haben Sie schon Neuigkeiten von dem amerikanischen Forschungsinstitut bekommen? Was sind ihre nächsten Schritte? Leider geben sie keine nähere Informationen an die Presse weiter. 

Ich freue mich auf ihre Antwort!

MFG

Dr. Natalia Komenova

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Lächelnd klappe ich den Laptop und schiebe ihn von meinen Knien. "Dr. Komenova?", fragt Elise und ich nicke. "Leider hat sie unser Treffen in Singapur abgesagt, wegen einer ominösen Krankheit.", antworte ich und zucke die Schultern. "Oh, wie schade. Wenn sie krank ist, dann ruf' sie doch einfach mal an!" Ich seufze. Elf Jahre Ehe und sie hat immer noch nicht verstanden, wie sehr ich es hasse, Leute anzurufen. Vielleicht will sie es auch einfach nicht verstehen, das ist wahrscheinlicher. "Sie lässt dich und Kendra grüßen. Und sie möchte ihr gern etwas zum Geburtstag schicken. Hoffentlich geht das nicht wieder bei der Post verloren..." Elise nickt. Wie wunderschön sie doch ist. In den letzten Tagen, Wochen, hatte ich kaum eine freie Minuten zum Atmen. Pressekonferenzen, Vorträge vor gelangweilten Studenten, Partys, Empfänge, Einladungen zum Brunch, zu viel für Leute wie mich.

"Was steht morgen an, Dr. Sexy?", schnurrt Elise und streichelt meinen Arm. "Jetzt fang du nicht auch schon so an! Es ist schon erniedrigend genug, wenn mich diese Klatschblätter so nennen." Ich schlage die Hände vors Gesicht. "Und das trotz meines IQ's von 190."

Laute Rufe reißen mich am nächsten Morgen unschön aus dem Schlaf. Blinzelnd schaue ich mich um, blicke direkt in die wachen braunen Augen meiner Tochter. "Guten Morgen, Sonnenschein.", murmele ich und gebe ihr einen Kuss auf die Stirn. "Daddy, was machen die ganzen Menschen da draußen?", fragt sie und klammert sich an mich. Fast will ich sie schon fragen, was sie meint, doch dann fällt es mir wieder ein. Ich bin ja jetzt Superstar und Genie zugleich. "Das sind Leute, die nichts mit sich anzufangen wissen, Schatz.", antworte ich und quäle mich aus dem Bett. Verschlafen stolpere ich zum Fenster und sofort bricht das Blitzlichtgewitter los.

"Da ist er!"

"Los, mach ein Foto, Harvey!"

"Hey Dr. Sexy, lächeln Sie mal!"

Wütend lasse ich die Jalousien herunter und stapfe aus dem Raum. "Scotty? Bist du wach?", höre ich Elise' gedämpfte Stimme aus dem Bad. "Jaaa!", gebe ich zurück. Die Badezimmertür öffnet sich und ich höre ein Kichern. "Was?", rufe ich gereizt. Elise kommt mir auf dem Flur entgegen und grinst mich breit an. "Haben sie dir schon einen guten Morgen gewünscht, Dr. Sexy?", lacht sie und stupst mich an. "Haha, witzig. Ich glaube, die werden wir erst los, wenn wir im Flieger nach Singapur sitzen.", antworte ich und mache mich auf den Weg in die Küche.

"Daddy, muss ich heute in die Schule?", fragt Kendra mich, während sie in ihrem Müsli herum stochert. Ich werfe einen kurzen Blick auf Elise, die mir mit einem Nicken zu verstehen gibt, dass es meine Aufgabe ist, diese Frage zu beantworten. "Warum solltest du denn nicht gehen müssen?", frage ich und Kendra schaut mich mit großen Augen an. "Aber Daddy, wir fliegen doch schon übermorgen weg!", antwortet sie. "Genau, deswegen musst du heute auch in die Schule und dich von all deinen Freundinnen und Freunden verabschieden. Vor allem von Mrs. Carter, sie wird dich nächste Woche sicherlich am meisten vermissen.", sage ich und streiche über Kendras blonden Wuschelschopf. "Schließlich gibst du doch immer die besten Antworten in ihrem Unterricht. Das hat sie mir selbst erzählt." Kendra springt auf und will aus der Küche rennen, doch ich bekomme sie gerade noch so am Handgelenk zu fassen. "Wo willst du denn hin, Prinzessin?", frage ich sie verwundert. "Daddy, du bist doof! Jetzt, wo mich doch Mrs. Carter vermissen wird, müssen wir gleich losfahren, damit ich genug gute Antworten für die ganze Woche geben kann! Komm schon!" Damit sprintet sie davon.

Ich schaue verzweifelt zu Elise. Die hält sich lachend die Hand vor den Mund und verschluckt sich fast an einem Müslikrümel. "Tja, das hast du nun davon. Hast sie doch gehört; ihr müsst sofort los. Die Autoschlüssel müssten noch in meiner Jackentasche sein."

- Wir freuen uns natürlich unglaublich über Kommentare für das erste Kapitel.

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