Zerrissen

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Thomas

„Herr Wegener, wenn sie nicht reden wollen, dann muss ich sie leider bitten, zu gehen und meine Zeit nicht zu verschwenden." erklärte die junge Psychologin und sah mich hochnäsig an.

Ja, ich war der letzte Abschaum geworden. Natürlich war Eva gegangen, sie hatte sich in einen schicken Fitnesstrainer verguckt und hatte mich verlassen, als ich vom Flughafen heimgekehrt war. Beinahe wäre ich wieder umgedreht und Josephine hinterher geflogen. Ich brauchte dieses Mädchen, und ich hatte sie zerstört! Ich zitterte vor Wut auf mich, und ich konnte noch nicht mal darüber sprechen. Ich sprang auf und lief aus der Praxis. Rannte einfach durch die Stadt, ohne Ziel, wie schon so oft in den letzten drei Wochen. Ich hoffte, dass mich ein Auto überfuhr oder mich jemand ausrauben wollte, doch ich kam so erbärmlich rüber, dass wohl selbst die Bösewichte einen Bogen um mich machten. Zwei Schülerinnen kamen mir entgegen und starrten mich erschrocken an, ich nickte und ging schneller.

„Herr Wegener?" rief die eine mir nach.

Ich stöhnte. Hörte sie auf mich zukommen. Ich sah zu ihnen runter und spürte, wie ich Jo's Blick vermisste, ihren süßen Blick, der so köstlich gewesen war, in dem Moment, als ich sie geliebt hatte. Bevor ich zum Berserker geworden war.

„Die Leute sagen, sie hätten Krebs. Ist das wahr?" fragte die Kleinere der Beiden.

Ich starrte sie an. Ja, dieser Teufel in mir war wie ein Krebsgeschwür. Doch ich schüttelte den Kopf.

„Nein, ich bin nur depressiv." murmelte ich und ließ sie stehen.

Natürlich hatten sie keine Ahnung, was das bedeutet, und ich auch nicht. Ich blieb vor einem Buchgeschäft stehen und entdeckte, das Karl- Heinz Markmann, also Kalle, ein Buch geschrieben hatte.

„Mit der Zerrissenheit leben" hieß es und ich ging hinein.

Kaum zuhause, begann ich zu lesen, nach drei Sätzen rief ich in Berlin an.

„Markmann?" hörte ich seinen Bass brummen.

„Ich bin es, Tommy."

„Tommy! Wie geht es dir?" fragte er erfreut und ich begann, bitterlich zu weinen.

Er wartete, bis ich reden konnte und sagte:

„Hör zu, ich fahre morgen zur Frankfurter Buchmesse, wollen wir uns dort treffen? Es sind doch Ferien, oder?"

„Ja. Gut, ich...äh. Habe kein Geld, sorry. Der Monat ist fast zu ende."

„Ich lad dich ein. Wenn du willst, bring Anton mit, oder...hat er eine Neue?"

„Ja. Er ist in Spanien. Hör zu, ich komme mir schäbig vor, wenn du bezahlst..."

„Weißt du, wie oft du mir den Arsch gerettet hast? Im wahrsten Sinne des Wortes. Kriegst du das mit deiner Frau denn geregelt?"

„Sie ist weg. Hat nen Neuen." seufzte ich.

„Ach, ich verstehe."

„Nein, tust du nicht. Ich erkläre es dir, wenn wir uns sehen. Danke, Kalle."

„Ich freue mich auf dich. Bis morgen."

Ich ging duschen und begann, aufzuräumen. Wusch meine Sachen, bügelte und als ich fertig war, war wenigstens etwas wie früher. Kalle gab mir Hoffnung. Vielleicht konnte er mir helfen. Ich dachte, dieser Tag könnte nicht besser werden, als das Telefon klingelte und ich durch das Rauschen hörte, dass der Anrufer weit entfernt sein musste.

„Herr Wegener?" hörte ich ihre süße Stimme fragen.

„Himmel, nenne mich bitte Thomas. Bist du es, Josephine?"

Verlorene KinderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt