Blickwinkel

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"Also wollt ihr mir erzählen, dass dieser Pudding verzaubert war und ich... was?" Herausfordernd starrte Dean seinen Bruder an, doch ehe dieser antworten konnte, fuhr der ältere Winchester auch schon fort. "Sag es nicht. Das ist total absurd. Vielleicht habe ich einfach Glück gehabt und den einzig unverzauberten Pudding abbekommen. Mir geht es gut", betonte er entschlossen, was Sams Ansicht, dass es seinem Bruder eben nicht gut ging, sichtlich nur bestärkte. Hilfesuchend sah dieser nämlich nun zu Castiel, der wieder nur den Kopf schüttelte. Auf seine ihm eigene, gelassene Art ergriff der Engel das Wort. "Das glaube ich nicht. Der Zauber würde allerdings auch nicht für Unwohlsein sorgen, sondern für ein Gefühl der Verliebtheit." "Absurd. Ich bin nicht verliebt. Außer vielleicht in diesen Kuchen." Nun wieder breit grinsend, während er versuchte, vom Thema abzulenken, hob Dean demonstrativ den mitgebrachten Apfelkuchen hoch. "Salat und Smoothie für dich, Sammy." Beides stellte er nun vor seinem Bruder ab, ehe es sich Dean kurzerhand auf einem der Betten bequem machte und mit einer Plastikgabel bewaffnet die Plastikverpackung des Kuchens öffnete.


Was er nicht preisgab, aber dafür sorgte, dass die Plastikverpackung nicht sofort aufsprang, sondern sich verklemmte, war der Umstand, dass es den Jäger alle Konzentration kostete, um nicht in Castiels Richtung zu starren. Wann hatte Sam den Engel angerufen? Und wieso, verdammt nochmal?! Nach Deans Ansicht war mit ihm alles in Ordnung und dabei war er der erste, der sich gegen diese ekligen Hexen aussprach, die ihre Körperflüssigkeiten überall verteilten. Widerlich!


Sam und Castiel hingegen tauschten wissende Blicke. Oder zumindest hatte Sam das geglaubt, bis Castiel fragte: "In wen hast du dich verliebt, Dean?" Mental schlug sich Sam vor die Stirn. "Cas... du hast danach als erster mit ihm gesprochen", gab der hochgewachsene Mann vorsichtig zu bedenken. Jetzt schien auch bei Castiel der Groschen zu fallen. "Unfug. Ich steh' doch nicht auf Cas", empörte sich Dean sofort, den Mund noch so voller Kuchen, dass einige Krümel auf seinem Hemd landeten. Vielsagend hob Sam eine Braue. "Dann... kannst du Cas also auch einfach ansehen und dich normal mit ihm unterhalten?" "Natürlich. Cas, du... du bist..." Dean rang um Worte und gestikulierte mit seiner Plastikgabel, während er vorgab, erst noch kauen zu müssen. Ihm fiel einfach nichts Schlagfertiges ein. Verdammt, hatte Cas schon immer so wahnsinnig blaue Augen gehabt? Und dieses Haar, diese Lippen, dieser... Oh nein. Nein! Dean räusperte sich vernehmlich und würgte schließlich nur "Du bist ein Engel" hervor. Nun hob auch Castiel eine Augenbraue.


"Das ist wirklich bedenklich." Den Kuchen vertilgenden Jäger hatten Sam und der Engel inzwischen aus dem Gespräch ausgeschlossen, obgleich Dean darauf bestand, dass er ganz entschieden nicht in Cas oder sonst irgendjemanden verliebt war. Der Umstand allerdings, dass Dean dabei nur mit Sam sprach und es vermied, den Engel anzusehen, verriet ihn gegenüber seinem Bruder mit Leichtigkeit, der sich mehr und mehr über die Situation amüsierte, obwohl natürlich nichts Lustiges daran war, Opfer eines Zaubers zu werden. Sie wussten ja immerhin nicht, wohin das noch führen würde. Einige Leute hatten sich ja sogar schon umgebracht. "Okay, ich schlage vor, dass wir uns nochmal in dem Imbiss umsehen und du, Dean, du bleibst hier." "Was? Kommt nicht in Frage. Wenn da eine Hexe an Leuten herumzaubert, dann bin ich dabei." "Ich denke auch, dass Dean mitkommen sollte", schaltete sich Castiel ein. "Falls der Gegenzauber vor Ort gesprochen werden muss." Sam seufzte ergeben. "Na meinetwegen, aber behaltet eure Finger bei euch, ja?" Während Cas ob dieser Bemerkung lediglich irritiert die Stirn runzelte, schnaubte Dean sofort abfällig. "Nicht witzig, Sam. Nicht witzig."


Die Zeit bis zum Abend totzuschlagen, fiel Dean weitaus schwerer als seinem Bruder, der sich in Recherchen vertiefte, um womöglich mehr über die Hexe oder ihre Intentionen herauszufinden - und über den Zauber selbst, den sie irgendwie würden brechen müssen. Castiel hatte neben einer Stehlampe Stellung bezogen und stand zu Dean purer Enervierung bereits seit geschlagenen drei Stunden so reglos da, als wäre der Engel selbst auch nur ein dekoratives Element in diesem Motelzimmer. Kein normaler Mensch konnte so lange so still halten und hätte er nicht schon gewusst, dass Cas keiner war, wäre ihm der Verdacht spätestens jetzt gekommen."Cas, verdammt, wenn du da noch länger so herumstehst, flippe ich aus. Mach's dir bequem, schmeiß den Fernseher an oder so." Castiel tat wie ihm geheißen, doch Dean entging nicht das selbstzufriedene Schmunzeln auf Sams Gesicht. Der hatte nämlich jedes Wort mitgehört und machte sich seinen Reim darauf. Flimmernd erwachte der Fernseher zum Leben, dann drückte Dean Castiel die Fernbedienung in die Hand, der diese jedoch nicht benutzte, sondern einfach genau das ansah, was gerade lief. Namentlich eine Talkshow, in der gerade eine überaus junge Mutter die feste Überzeugung vertrat, die Zigarette danach sei eine effektive Verhütungsmethode, denn immerhin töte Rauchen Spermien ab und mache unfruchtbar. Um den Engel in hoffnungslose Verwirrung zu stürzen hätte es einer solch skurrilen Aussage allerdings nicht einmal bedurft. Das Konzept von Talkshows kannte er zwar, nachdem Dean es ihm erklärt hatte, doch wieso sich Menschen über so unrelevante Themen so ausgiebig und oftmal ohne fundierte Kenntnisse - selbst nach menschlichen Standards - unterhalten konnten, war ihm noch immer ein Rätsel. Interessant fand Castiel es aber allemal. Auf diese Weise lernte er mehr über die menschliche Denkweise und darüber, was Menschen antrieb, was sie bewegte und was ihnen wichtig war. Er lernte, ihre Reaktionen besser zu begreifen. Dass Tabak jedoch nicht als Verhütungsmittel taugte, fand er, hätte klar sein müssen. Die Menschheit hatte allerlei Methoden gefunden, eine Empfängnis zu verhindern, die überaus effektiv funktionierten. Tabak gehörte schlicht nicht dazu.


Während Castiel sich eine Talkshow ansah, sah sich Dean Castiel an. Die Hülle dieses verschrobenen Idioten, dem persönlicher Freiraum ebenso ein Fremdwort war wie zwischenmenschliche Beziehungen und offenkundig auch die grenzenlose Dummheit der menschlichen Spezies, wenn er sich Cas' Miene so ansah und mit dem Talkthema des Tages abglich. Zumindest letzteres warf er dem Engel nicht vor. Selbst er, ein Mensch, war immer wieder überrascht, wie dumm einige Leute waren.


Cas hingegen war unglaublich. Auf der einen Seite wusste er so viele ganz elementare Dinge nicht und stolperte damit von einem Fettnäpfchen ins nächste - oft zu Deans Unterhaltung - und auf der anderen Seite sprach dieser Kerl einfach mal alle Sprachen, wusste von Dingen, die sich ein Mensch nichtmal vorstellen konnte und war in der Lage, Dinge zu tun, die unmöglich schienen. Castiel hatte ihn sogar, wenn auch mit Hilfe, aus der Hölle geholt. Eine Tat, für die Dean ihm immer dankbar wäre. Weit mehr, als er es je in Worte fassen könnte. Er hoffte einfach nur, der Engel wusste, dass er diese Geste zu schätzen wusste, wenn sie auch sonst nicht immer einer Meinung waren - vor allem, wenn es um die anderen Engel ging, denen Dean offen misstraute. Das alles war Dean immer klar gewesen, doch ihm war nie aufgefallen, dass Cas wohl durchaus als gut aussehend durchging. Also... seine Hülle. Cas selbst war, wie er selbst sagte, ja etwa so groß wie das Crysler Building und für Menschen unsichtbar. Aber diese Ausstrahlung, dieser intensive Blick, das lag klar am Engel selbst, oder? Und diese blauen Augen. Dean hatte gesehen, wie sie blau aufleuchteten, wenn Cas seine Fähigkeiten nutzte. Das musste also auch so ein Engelding sein.


Skeptisch musterte Dean den reglos sitzenden Engel, dessen Blick auf den Fernseher fokussiert war. Castiel wirkte ziemlich fit, allerdings hatte Dean keine Ahnung, ob das einfach auch engelsbedingt war. Immerhin musste sein geflügelter Freund ja auch weder schlafen noch essen, ja nicht einmal duschen! Dabei gehörte eine heiße Dusche für Dean klar zu den Dingen, die man nicht nur um der Nützlichkeit willen tat. Wie von selbst wanderten seine Gedanken weiter und ehe er es sich versah, war das Bild von Castiel vor dem Fernseher vor seinem inneren Auge dem Anblick des Engels unter der Dusche gewichen. Während Deans verklärter Blick mehr und mehr ins Leere ging und sich der ältere Winchester vorstellte, wie Wassertropfen über den Körper Castiels perlten, daran hinabflossen, wie die nassen Strähnen seines Haares herabhingen, wie sich ein Handtuch eng um des Engels Hüfte schmiegte, war besagter Engel auch darauf aufmerksam geworden, dass er angestarrt wurde. Eine Geste, die er erwiderte, jedoch nicht einzuordnen wusste.


"Dean?" Der Angesprochene reagierte nicht, war er doch noch gänzlich in seinem persönlichen Kopfkino gefangen. "Dean?", fragte Castiel noch einmal, diesmal etwas lauter. "Mh? Was?" Dean blinzelte und schluckte nervös, als ihm nun auch klar wurde, woran er da gerade so zufrieden gedacht hatte. "Scheiße, ich bin doch verzaubert", rutschte es ihm heraus. Dean bereute das sofort, denn Sams verhaltenes Lachen genügte, um ihm die Schamesröte ins Gesicht zu treiben. IHM! "Wir sollten uns auf den Weg machen." Etwas zu eilig, als dass es unauffällig hätte wirken gönnen, sprang Dean vom Bett, steuerte die Tür an und schaltete im Vorbeigehen den Fernseher aus. "Kommt ihr?"

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