1. Eine ungewöhnliche Begegnung

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Warmes Sonnenlicht drang durch den dünnen Vorhang vor dem Fenster und durchflutete mein Zimmer. Gedankenverloren ließ ich meinen Blick umher gleiten, bis er auf den kleinen Wecker neben dem Bett fiel. Viertel nach sieben zeigte er an und noch während ich bereits den Tag plante, fiel mir siedend heiß ein, dass heute Montag war. Und zwar der Montag nach den Ferien. Hastig sprang ich aus dem Bett und ging ins Bad.

Eine Viertelstunde später hatte ich meine Morgentoilette beendet und stolperte, unter dem ungewohnten Gewicht meiner Tasche schwankend, die Treppe hinunter in die Küche. Meine kleine Schwester Maggie saß bereits am Tisch und mampfte unerhört munter an ihrem Käsebrot.

„Morgen, Maggie", murmelte ich verschlafen.

„Hallo Clara. Bist du aber heute schon wach..."

Waren kleine Schwestern immer so nervig?

Bevor ich etwas erwidern konnte, trat meine Mutter ins Zimmer. „Guten Morgen, Clara. Hast du gut geschlafen?"

„So gut wie jeden Montag."

Sie lachte. „Also nicht so gut." Genau wie Maggie war sie eine beständige Frühaufsteherin, wobei ich in der Hinsicht leider nach meinem Vater kam und das Bett am liebsten nicht vor halb elf verließ.

Meine Mutter Mareike blickte zur Küchenuhr. „Oh, schon zwanzig vor Acht - ihr müsst los." Sie begleitete uns vor die Tür, wo schon unsere Fahrräder auf uns warteten. „Magdalena, vergiss nicht, dass du jetzt in den Trakt, wo die Klassenräume der Vierer liegen, gehen musst. Ich glaube, der ist im zweiten Stock. Und denk daran..."

„Ich weiß, Mama", unterbrach sie Maggie und schwang sich energisch in den Sattel. Ich folgte ihr.

„Ach, und Clara, dein Chemiebuch lag unten neben der Treppe, ich hoffe, du hast..."

„Hab' ich. Tschüss!"

„Bis heute Mittag, ihr beiden!"

Mit einer Hand winkend trat Maggie in die Pedale und ich folgte ihr rasch. Nebeneinander fahrend ließen wir das Haus bald hinter uns. Von unserem kleinen Vorort aus bis zur Schule brauchten wir gewöhnlich eine knappe Viertelstunde, doch Maggies fröhlicher Eifer spornte mich an und so sausten wir mit peitschenden Haaren den Fahrradweg entlang, vorbei an dicht belaubten Bäumen und dürren Sträuchern. Vor der Hauptstraße hielten wir an der Ampel, um den trotz der frühen Stunde sehr dichten Verkehr durchzulassen.

Träge ließ ich meinen Blick schweifen, als ich ihn bemerkte. Ein hochgewachsener Junge stand lässig an einen silbernen Wagen gelehnt vor dem Stadtbüro. Gelangweilt fuhr er sich mit der Hand durch die goldblonden Haare, die im Morgenlicht sanft schimmerten, und blickte sich um. Noch bevor ich wegsehen konnte, traf sein Blick auf meinen. Seine braunen Augen durchbohrten mich förmlich mit einer Intensität, die mich an lodernde Flammen denken ließ.

Da passierte es. Ein glühend heißer Wind traf mich, er raubte mir den Atem und verbrannte meine Arme. Verzweifelt schnappte ich nach Luft. Mit tränenverschleierten Augen sah ich zu dem Jungen. Er wirkte wie in Trance, seine Kleidung und Haare flatterten wild umher. Langsam hob er seine Hand zu seinem Hals und berührte einen großen Stein, der in eine lederne Schnur eingefädelt war. Der Stein glühte kurz auf und der furchtbare Wind verschwand ebenso plötzlich, wie er gekommen war. Ich keuchte und rang noch immer nach Luft. Mein Körper war schweißgebadet.

„Clara, kommst du? Es ist grün." Ungeduldig zerrte Maggie an meinem Ärmel. Sie sah mich an. „Ist was? Du bist ja ganz blass", stellte sie fest.

„Nein, alles in Ordnung, ich habe nur kurz..." Mein Blick schweifte zum Stadtbüro und meine Stimme verklang. Der rätselhafte Junge war verschwunden, ebenso, wie der silberne Wagen. Was hatte das alles zu bedeuten? Mit gerunzelter Stirn folgte ich Maggie über die Straße, bis sich unsere Wege trennten.

Flut und Flammen - Die Kraft der ElementeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt